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Brücke zwischen Asien und Europa

Bei Konferenz in Minsk diskutierten Experten das Verhältnis von EU und Belarus

Von Piotr Luczak *

Neunzig Flugminuten dauert es bis in eine »andere Welt«, die Republik Belarus mit ihren zehn Millionen Einwohnern. Die im Flieger verteilte Ausgabe der französischen Tageszeitung Le Monde schwadronierte über die ökonomische Situation, in der Hauptstadt Minsk seien riesige Schlangen vor Lebensmittelgeschäften zu beobachten, die Regale seien leer und es drohe Hunger. Das Bild vor Ort jedoch war ein anderes: Die Geschäfte waren mit Waren aller Art ausgestattet, die Menschen kauften die Waren des täglichen Bedarfs. Ein Beispiel dafür, in was für einer Atmosphäre in der vergangenen Woche in Minsk eine internationale Konferenz stattfand, zu der die belorussische Regierung und das »European Center of Geopolitical Analysis« Experten aus der EU und der Russischen Föderation eingeladen hatten, um die Chancen der von Brüssel und Berlin favorisierten »Partnerschaft mit Osteuropa« auszuloten. Auf Seiten der Gastgeber nahmen der Leiter der Europaabteilung im Außenministerium, Dimitri Jarmoliuk, und Präsident Lukaschenkos Europaberater Sergej Musienko teil.

Ausgehend von der feindlichen Propaganda seitens der EU gegen Belarus äußerten sich alle Gäste skeptisch zu den Möglichkeiten für ein tatsächlich faires Miteinander. »Wenn ein Konglomerat von 19 Ländern mit 450 Millionen Einwohnern und einer aggressiven Ausrichtung in Politik und Wirtschaft von Partnerschaft spricht, dann bestimmt nicht auf Augenhöhe«, sagte der österreichische KPÖ-Landtagsabgeordnete aus der Steiermark Philip Funovits. Die Diskutanten waren sich einig, daß für Belarus ein Beitritt in die EU gewaltigeVerheerungen in allen gesellschaftlichen Bereichen bedeuten würde.

Die Republik Belarus definiert ihr Gesellschaftskonzept als »soziale Marktwirtschaft«, was dort noch nicht zur leeren Worthülse wie in der BRD verkommen ist. Alle Güter der Daseinsvorsorge befinden sich noch in öffentlichem Eigentum, Bildung und medizinische Versorgung sind gratis. Energie und die Grundstoffindustrie sind staatlich organisiert. Bereits das Straßenbild in Minsk und anderen Städten spricht davon, daß die Verhinderung von Armut an oberster Stelle steht. Im Gegensatz zu Berlin sind hier Bettler nirgends zu sehen.

Trotz der Destabilisierungsversuche aus Ost und West bestehe für Belarus die Möglichkeit, sich als Brücke zwischen Asien und Europa zu verstehen und somit einen Beitrag zur Völkerverständigung zu leisten, sagte der französische Publizist Pierre Levy. Die EU und die besonders aggressiv agierende deutsche Bundesregierung dächten jedoch nicht daran, auf die Übernahme des belorussischen Marktes zu verzichten und rüsteten deshalb allerlei Hilfstruppen mit hohen Geldbeträgen auf, so Levi weiter. Einigkeit bestand darin, daß es für die weitere Entwicklung und den Modellcharakter des Landes es wichtig sei, daß Belarus auf die Entfesselung eines kalten Krieges durch die EU endlich mit einer eigenen medialen Gegenoffensive antwortet, um so dem Lügengespinst zu begegnen.

Die Konferenz in Minsk stellte eine erste Kontaktaufnahme zu antineoliberalen Kräften aus den EU-Ländern dar. Ob die Warnungen der westlichen Experten auf fruchtbaren Boden fallen werden, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Doch das Bemühen um Verbündete außerhalb des imperialistischen Korridors wie Venezuela oder China zahlt sich allmählich aus.

* Aus: junge Welt, 10. Mai 2011


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