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Konkurrenz für Indien

Neben der Textilbranche boomt in Bangladesch auch das Pharmageschäft, vor allem mit Generika. Führende Unternehmen haben Marktanteile vom Nachbarn im Visier

Von Thomas Berger *

In Bangladesch werden nicht nur Billigklamotten für westliche Modelabels hergestellt. Seit Jahren bereits wächst auch die Pharmabranche. Das Geschäft mit Pillen und Seren ist zu einer wichtigen Säule der Wirtschaft in dem bevölkerungsreichen südasiatischen Land geworden. Allein in den Jahren 2011 und 2012 sind die Exporte um rund 24 Prozent gewachsen – auf umgerechnet 59,82 Millionen US-Dollar. Das scheint nicht allzuviel, doch die Wachstumsrate bleibt hoch. Seit 2008/2009 haben sich die Ausfuhren fast verdoppelt. Als Basis dieses Exportaufschwungs dient ein großer einheimischer Markt – mit einem momentanen Umsatz von umgerechnet 1,3 Milliarden Dollar. Anders als viele sich entwickelnden Staaten des Südens ist Bangladesch ein nahezu kompletter Selbstversorger: 97 Prozent der Medikamente und medizinischen Hilfsmittel werden im eigenen Lande produziert. Rund 200 Firmen sind gegenwärtig in der Branche aktiv, sie beschäftigen nach Zunahmen in der jüngsten Zeit etwa 100000 Menschen. Vor allem die 20 führenden Unternehmen wollen zu Global Players werden. Den heimischen Markt dominieren sie bereits (zu 82 Prozent), jetzt setzen sie auf einen weiteren Ausbau des Exportgeschäfts. Das scheint verlockend. Laut einem Bericht der Tageszeitung The Daily Star von vergangener Woche werden weltweit mit pharmazeutischen Produkten derzeit rund 1,3 Billionen (1300 Milliarden) US-Dollar umgesetzt, davon allein 200 Milliarden mit den sogenannten Generika (Produkte, deren Patentschutz auf den Wirkstoff abgelaufen ist, auch Nachahmermedikamente genannt). Zwar ist Bangladesch bereits auch mit Europa im Geschäft, die Unternehmen möchten sich perspektivisch jedoch ein weit größeres Stück von diesem Kuchen sichern.

Als zentral für die weitere Entwicklung des Sektors wird die Etablierung eines Hochtechnologieparks und Forschungszentrums angesehen. Die Umsetzung dieses Projektes ist 2012 ins Stocken geraten, ursprünglich sollte in dem Komplex schon seit vergangenem Jahr gearbeitet werden. Das Zentrum soll die weitgehende Selbstversorgung mit Aktiven Pharmazeutischen Inhaltsstoffen (API; Active Pharmaceutical Ingredients) absichern – das biologisch wirksame chemische Herzstück der Medikamente und anderer Medizinprodukte muß bislang für beachtliche Kosten importiert werden, vorrangig aus dem benachbarten Indien und aus China. Bestimmte abschließende Tests für die Neuzulassung von Produkten müssen ebenfalls noch im Ausland stattfinden, eigene Anlagen dazu fehlen bislang. Die Zusammenfassung all dessen in dem Hochtechnologiepark, so die Forderung der Branche an die Regierung in Dhaka, würde Produktionsabläufe straffen und Kosten senken. Letzterer Punkt wird vor allem als Argument verwendet, um bezahlbare Preise für den ärmeren Bevölkerungsteil garantieren zu können.

Prinzipiell geht es den Firmen in erster Linie um die Eroberung neuer Marktanteile. Schwierigkeiten der bisher mit einem Geschäftsvolumen von 14 Milliarden Dollar noch zehnmal größeren Pharmabranche des großen Nachbarn Indien bei Exporten in die USA haben Begehrlichkeiten der heimischen Pharmabosse geweckt. Sie wollen dem alten Rivalen dort Abnehmer streitig machen. So hatte die US-Kontrollbehörde FDA erst im Januar wegen festgestellter Qualitätsmängel alle Einfuhren von Ranbaxy Laboratories Ltd., Indiens größtem Pharmaexporteur, gestoppt. Für den milliardenschweren Sektor ist dies bislang der größte Rückschlag. Vereinzelt sind auch Produkte von Konkurrenten wie Sun Pharmaceuticals betroffen. Offensichtlich hat die FDA insgesamt ihre Kontrollen ausgeweitet und ist bei Importware aus Indien aufgrund bestimmter Mängel generell besonders wachsam geworden.

Bangladeschs Pharmaziefirmen wiederum profitieren auch von einer Sondervereinbarung im TRIPS-Abkommen (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) der Welthandelsorganisation (WTO), wonach bis 2016 der Patentschutz für Medikamente in den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries, LDC) gelockert ist. Einheimische Unternehmen dürfen Generika nicht nur für den eigenen Markt herstellen, sondern auch in andere LDC exportieren. In der 50 Länder umfassenden Gruppe ist Bangladesch bislang das einzige, das über eine leistungsstarke Pharmaindustrie verfügt und dieses Zugeständnis auch wirklich nutzen kann.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. April 2014


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