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Rechtsanspruch fehlt

Arbeitsbedingungen in Bangladesch ein Jahr nach dem Rana-Plaza-Einsturz

Von Jörn Boewe *

Die Fernsehbilder vom Einsturz des Rana-Plaza-Hochhauses in Bangladesch vor einem Jahr erschütterten die Welt. Mindestens 1127 Menschen wurden getötet und 2438 verletzt, als das neungeschossige Fabrikgebäude am 24. April 2013 einstürzte. Es war der schwerste Industrie­unfall in der Geschichte des südasiatischen Landes, und er kam nicht überraschend. Bereits am Tag zuvor war das Gebäude wegen Rissen in tragenden Wänden baupolizeilich gesperrt worden, dennoch setzten die dort tätigen Firmen die Produktion fort.

Mindestens 28 transnationale Textil­unternehmen hatten damals im Rana Plaza produzieren lassen. Darunter so bekannte Marken wie Benetton, El Corte Inglés, KiK, Mango, die Adler Modemärkte, C&A, Carrefour, Kids Fashion Group und Walmart. Nur wenige Überlebende und Hinterbliebene der Katastrophe haben bislang Wiedergutmachungszahlungen erhalten. Erst seit Ende März dieses Jahres können sie sich für den Entschädigungsprozeß registrieren lassen. Am Jahrestag selbst sollen ihre Familien eine erste Vorauszahlung von 50000 Taka (ca. 465 Euro) erhalten, teilte die »Kampagne für saubere Kleidung« kürzlich mit. Der von der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der UNO koordinierte Entschädigungsfonds ist jedoch immer noch völlig unzureichend finanziert. Mehr als drei Viertel der angestrebten 40 Millionen US-Dollar wurden bis heute nicht eingezahlt. Von den deutschen Firmen hat nach Auskunft des entwicklungspolitischen Inkota-Netzwerkes bislang einzig die Discountkette KiK einen Beitrag geleistet.

Statt dessen setzt die Mehrheit der Unternehmen offenbar auf billige Marketingaktionen. Auch wenn für den Großteil der Konsumenten in westlichen Industriestaaten Kriterien wie Preis, Qualität, modisches Design bei Kaufentscheidungen im Vordergrund stehen – es ist ihnen durchaus nicht gleichgültig, unter welchen Bedingungen ihre »Klamotten« produziert werden. Seit den 1990ern wächst das Interesse an »fair und ökologisch« produzierter Kleidung. Die wichtigsten Textilhandelsketten – H&M, C&A, Otto, Adidas u.a. – haben angekündigt, innerhalb der nächsten Jahre ihr komplettes Sortiment auf »nachhaltig erzeugte Baumwolle« umzustellen. Was sich hinter solchen Versprechen konkret verbirgt, ist für die Kunden aber schwer zu durchschauen. Die seit Jahren mit dem Thema befaßte Christliche Initiative Romero (CIR) listet auf ihrer Internetseite – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – 28 Siegel und Standards für »faire« und »grüne Mode« auf. Grundsätzlich gibt es dabei drei Arten von Zertifikaten.

Am weitesten verbreitetet sind Qualitätssiegel, die sich Unternehmen selbst ausstellen. »C&A Bio Cotton« ist das älteste und bekannteste dieser Art. Produkte bestehen zu 100 Prozent aus Biobaumwolle, genmanipuliertes Saatgut wird nicht verwendet. Lieferanten müssen sich zur Einhaltung eines Verhaltenskodexes verpflichten, der zur »Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Menschen in den Herstellungsländern« führen soll. Kinderarbeit bleibt erlaubt, sofern die Kinder mindestens 14 sind. Die Zahlung national verbindlicher Mindestlöhne wird garantiert – existenzsichernd müssen sie aber nicht sein.

Problematisch an diesen Selbstverpflichtungen ist vor allem das Fehlen unabhängiger Kontrolle. Nicht viel besser sind Zertifikate, die von Zusammenschlüssen verschiedener privater Unternehmen vergeben werden. Der bedeutendste seiner Art ist die 2003 gegründete Business Social Compliance Initiative (BSCI) mit über 900 Mitgliedsunternehmen, darunter ­Aldi, Lidl, Otto, Metro und Deichmann. Sie nimmt immerhin Bezug auf die ILO-Kernarbeitsnormen: keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, gleiche Bezahlung für Mann und Frau, Gewerkschaftsfreiheit, insbesondere Recht auf Streiks und Tarifverhandlungen. Existenzsichernde Löhne sind aber auch bei der BSCI nicht zwingend vorgeschrieben. NGOs und Gewerkschaften werden nur beratend herangezogen, nicht aber in Entscheidungen eingebunden. Wie unzureichend ihre Kontrollmechanismen sind, zeigte sich daran, daß mehrere der im Rana Plaza untergebrachten Firmen kurz vor dem Einsturz durch die BSCI zertifiziert worden waren.

Aussagekräftiger sind sogenannte »Multi-Stakeholder-Initiativen« (MSI), in denen neben Unternehmen auch Gewerkschaften und NGOs gleichberechtigt beteiligt sind. Vorreiter dieser Art von Initiativen ist die Fair Wear Foundation (FWF). Bei ihr stehen soziale Kriterien wie existenzsichernde Löhne im Fokus. Es gibt unabhängige lokale Beschwerdestellen für Beschäftigte, eine jährliche Überprüfung der Managementsysteme bei den Mitgliedsunternehmen und externe Kontrollen. Die Kosten werden aus den Mitgliedsbeiträgen der Organisation finanziert.

Weil Siegel und Standards letztlich die Arbeitsbedingungen nicht wirksam verbessert haben, fordern entwicklungspolitische Organisationen vor allem schärfere Haftungsregeln. Seit 2011 ist dies auch Beschlußlage der UNO. Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen sollen die Möglichkeit zur Beschwerde und einen Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung haben, heißt es in den einstimmig beschlossenen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Umsetzung in nationales Recht läßt – auch in Berlin – bislang auf sich warten. Der Bundestag müsse per Gesetz verbindlich festlegen, welche Arbeitsrechte deutsche Unternehmen bei ausländischen Tochterfirmen und Zulieferern beachten müssen, fordert eine Ende Februar veröffentlichte Studie der Organisationen Misereor und Germanwatch. Bei Verstößen müßten Beschäftigte aus den Produktionsländern die Unternehmen vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz verklagen können.

* Aus: junge Welt, Dienstag 22. April 2014


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