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Todesurteil in Dhaka

Bangladesch: Oppositionsabgeordneter wegen Kriegsverbrechen 1971 schuldig befunden

Von Thomas Berger *

Nach mehr als drei Jahrzehnten ist in Bangladesch die Aufarbeitung der während des Unabhängigkeitskrieges 1971 begangenen Verbrechen in Gang gekommen. Am Dienstag hat ein Gericht in der Hauptstadt Dhaka ein weiteres Todesurteil wegen Mordes verhängt. Ein Abgeordneter der größten Oppositionspartei, Salauddin Qader Chowdhury von der rechtskonservativen Bangladesh Nationalist Party (BNP), wurde in neun von 23 Anklagepunkten für schuldig befunden. Mindestens 105 Todesfälle sollen direkt auf sein Konto gehen.

41 Zeugen hatten die Vertreter der Anklage vor dem Sondertribunal zur Untersuchung von Kriegsverbrechen aus jener Zeit aufgeboten. Darunter war auch ein Augenzeuge, der direkt gesehen haben will, wie der jetzt Verurteilte den Gründer einer Fabrik für Kräutermedizin erschossen hat. Nutan Singh gehörte zur hinduistischen Minderheit im vormaligen Ost-Pakistan, die damals besonders im Visier radikalislamischer Eiferer stand. Der heutige Abgeordnete soll damals im Keller seines Anwesens eine Folterzelle betrieben haben und ist laut Gericht auch der Beteiligung an zwei Massakern mit 35 und 69 Opfern überführt.

172 Seiten lang ist das Urteil, bei dessen Verkündung vor Gericht an verschiedenen Punkten in Dhaka und anderen Landesteilen zusätzliche Sicherheitskräfte postiert wurden, um möglichen Unruhen vorzubeugen, wie es sie nach früheren Prozessen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher gegeben hatte. Diesmal wurde immerhin zum ersten Mal ein Mitglied des aktuellen Parlaments zum Tode verurteilt. Zudem ist Chowdhury in der BNP kein kleines Licht, sondern gehört zu den einflußreichsten Vertretern der Partei.

Bisher waren vor allem Islamisten der mit der BNP verbündeten religiös-fundamentalistischen Jamaat-e-Islami (JI) wegen ihrer mörderischen Aktivitäten vor vier Jahrzehnten vor Gericht gelandet. Erst vor zwei Wochen hatte Bangladeschs Oberster Gerichtshof den JI-Führer Abdul Kader Mullah in einem Revisionsverfahren zum Tode verurteilt. Der prominente Islamist hatte gegen eine im Februar in der ersten Instanz verhängte Gefängnisstrafe Einspruch eingelegt. Das Ergebnis war jedoch, daß die Richter noch über das Strafmaß des Sondertribunals hinausgingen und die Höchststrafe verhängten. Das erstinstanzliche Urteil im Februar hatte Proteste von zwei Seiten ausgelöst. Während viele Hinterbliebene von Opfern des damaligen Konfliktes das erste Urteil deutlich zu mild fanden, sahen JI-Mitglieder und Sympathisanten in dem ganzen Verfahren einen politisch motivierten Prozeß.

Bangladesch hatte 1971 seine Unabhängigkeit von Pakistan erkämpft, dafür aber einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Das Regime in Islamabad und dessen mächtiges Militär wollten die Eigenstaatlichkeit des früheren Ost-Pakistans mit allen Mitteln verhindern. Zur Brutalität der Soldaten gesellten sich die Übergriffe radikaler Islamisten auf die Bevölkerung. Gerade Minderheiten, denen Sympathien für den Unabhängigkeitskampf unterstellt wurden, gerieten in das Visier des Todesschwadronen. Erst das Eingreifen des großen Nachbarn Indien konnte den Kriegsverlauf zugunsten der Bangladescher wenden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. Oktober 2013


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