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Regeln für Schrottplatz

Neues Urteil: Bangladeschs Schiffsabwracker dürfen weitermachen. Richter verordnen der Branche jedoch Sicherheits- und Umweltschutzauflagen

Von Thomas Berger *

Die Kulis von Chittagong können weiterschuften, der größte Schiffsfriedhof der Welt bleibt vorerst in Betrieb. Dennoch haben Bangladeschs Umweltverbände am Montag vor dem zweithöchsten Gericht des Landes erneut einen wichtigen Teilsieg gegen die Abwrackmafia errungen. Zwar ruderte die zuständige Kammer des High Court diesmal gegenüber früheren Urteilen zugunsten der Verschrottungsindustrie zurück, zugleich aber legten die Richter Wert darauf, Schutzmaßmaßnahmen für die Beschäftigten beim Zerlegen von ausgedienten Ozeanriesen genauer als je zuvor zu bestimmen. Wie schon bei den vorangegangenen Urteilen (jW berichtete) wird das Parlament ausdrücklich aufgefordert, die Gesetzeslage auf einen aktuellen Stand zu bringen.

Von einer generellen Schließung der Abwrackunternehmen ist keine Rede mehr. In dieser Hinsicht dürfen die Eigentümer der Firmen, die ausrangierte Luxusliner, Frachtschiffe und Tanker auseinanderbauen, das Urteil als Sieg für sich verbuchen. Noch am 19. Januar dieses Jahres war in einer vorläufigen Entscheidung der weitere Import von Schiffen untersagt worden. Dies ist nun hinfällig: Eine Petition der Bangladesh Ship Breakers Association (BSBA), der Dachvereinigung von 72 ortsansässigen Betrieben der Branche, hatte eine erneute Verhandlung nötig gemacht. Dem aktuellen Urteil zufolge dürfen nun weiterhin Wasserfahrzeuge, die giftige Substanzen enthalten, solange eingeführt werden, bis das neue Gesetz vorliegt. Lediglich die Demontage der gefährlichen Schiffe hat vorerst zu unterbleiben. Alle übrigen Arbeiten können wieder aufgenommen werden.

Doch die Auflagen der beiden Richter, Shamsuddin Chowdhury Manik und Sheikh Zakir Hossain, haben es in sich. So verboten sie beispielsweise ab sofort den Einsatz minderjähriger Arbeiter. Beschäftigte auf den Schrottplätzen, die über 18 Jahre alt sind, müssen künftig ein Training, also eine Art Lehre, absolvieren. Der Branche wurde aufgetragen, dafür ein »Institut« einzurichten, das von der staatlichen Marine-Akademie überwacht werden soll. Die Einweisung in die Arbeiten soll zwei Monate dauern und neben den praktischen Schritten auch 15 Tage Theorieunterricht umfassen.

Insgesamt werden der Schrottindustrie, die bisher nahezu alles tun und lassen konnte, was sie wollte, mit dem Urteil noch weitere Zügel angelegt. Ein Spezialteam, bestehend aus einem Arzt, einem Marineingenieur, einem Chemieexperten und dem Vertreter einer namhaften Umweltgruppe, soll die Firmen regelmäßig kontrollieren. Arbeiten bei Dunkelheit sind verboten, die Beschäftigten erhalten mit dem Urteil erstmals gesonderte Verpflegungsplätze jenseits der Bereiche, wo sie inmitten von Stahlteilen und Giftschlamm arbeiten. Für die Arbeiter soll zudem ein extra Krankenhaus errichtet werden. Einfache Schutzutensilien wie Handschuhe und Helm, die bislang fast unbekannt auf den Abwrackplätzen waren, sind künftig Pflicht.

Keines der früheren Urteile ist bisher so ins Detail gegangen wie das der beiden Richter. So schreiben sie auch vor, daß Asbest grundsätzlich bereits vor dem Einlaufen der Schrottschiffe in Bangladeschs Gewässer von Bord entfernt werden müsse. Der krebserregende Stoff und andere Gifte müssen zukünftig separat gelagert werden. Außerdem habe das entsprechende Gelände, klar ersichtlich für jedermann in der Landessprache Bangla, als Gefahrenherd gekennzeichnet zu sein. All diese Maßnahmen sind Fortschritte in Sachen Umwelt- und Gesundheitsschutz. Bislang konnten beispielsweise gefährliche Substanzen ungehindert in Boden und Grundwasser gelangen.

Die »grüne« Anwaltsvereinigung Bangladesh Environmental Lawyers’ Association (BELA), die vor zwei Jahren das erste Grundsatzurteil in Sachen Schiffsverschrottung erstritten hatte und nach wie vor entschiedenster Gegner der skrupellosen Geschäftemacher der Branche ist, will trotz aller positiven Punkte gegen einzelne Passagen des Urteils Widerspruch einlegen. Das betrifft insbesondere die Erlaubnis, weiterhin auch Öltanker in Chittagong verschrotten zu können. Diese Schiffe, so die BELA-Sprecherin Syeda Rizwana Hasan, seien viel gefährlicher als manche der Giftkähne, auf die sonst der Fokus der Öffentlichkeit gerichtet sei. Bei alten Öltankern seien die Arbeiter einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt, an Krebs zu erkranken. Obgleich vor dem Obersten Gerichtshof noch eine Berufung gegen den ersten Richterspruch von März 2009 läuft, kommen beide Seiten mit dem jetzigen Urteil offenbar zurecht. Zehntausende Arbeiter hätten eine Sicherheit, nicht ohne Lohn und Brot dazustehen und ihre Familien ernähren zu können. Zugleich könnte bei entsprechender Umsetzung das skandalöse Niveau beim Arbeits- und Umweltschutz endlich beseitigt werden. Jetzt ist die große Frage, wie schnell die Maßnahmen greifen und wann ein entsprechendes neues Gesetz auf den Weg gebracht wird.

* Aus: junge Welt, 9. März 2011

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