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Turbulenzen in Bangladesch

Premierministerin Hasina Wajed unter wachsendem Druck

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

In Bangladesch sieht sich Premierministerin Hasina Wajed wachsendem Druck von verschiedenen Seiten ausgesetzt: Staatspräsident Abdul Hamid will sie an einen Tisch mit Oppositionsführerin Khaleda Zia bringen. Diese droht mit Boykott der Parlamentswahlen im Januar 2014. Arbeiter und Gewerkschaften der Textilbranche fordern höhere Löhne und sichere Arbeitsbedingungen. Für Donnerstag hat die Bangladesh Nationalist Party (BNP) einen politisch motivierten Transportstreik angekündigt.

Die regierende 14-Parteien-Koalition, die von der Awami-Liga der Premierministerin dominiert wird, und die 18-Parteien-Allianz Khaleda Zias liegen sich wegen der Vorbereitung der Parlamentswahlen im Januar 2014 in den Haaren. Am Montag bildete Hasina Wajed ein sogenanntes Allparteien-Kabinett, dem aber bislang nur Minister ihrer Koalition angehören. Die Opposition lehnte eine Mitarbeit an dieser »Farce« strikt ab und droht mit der Mobilisierung der Bevölkerung und mit Boykott des Votums. Sie will hingegen ein »Non-Party«-Kabinett, das nicht aus Politikern, sondern aus Technokraten und Bürokraten bestehen und »unparteiisch« die Wahl vorbereiten soll. Die BNP als Hauptkraft des Oppositionsbündnisses stößt sich vor allem daran, daß Hasina Wajed auch in dem gerade gebildeten Kabinett die Regierungschefin bleibt. Zwischen der BNP-Vorsitzenden Khaleda Zia, die auch schon Premierministerin war, und Hasina Wajed besteht eine erbitterte Rivalität um die Macht.

Staatspräsident Abdul Hamid soll die Kontroverse nun schlichten. Eine Delegation der Oppositionsparteien trug ihm am Dienstag ihr Anliegen vor: Es müsse versucht werden, die Verfassung zu ändern, um dem Willen des Volkes zu entsprechen. Hamid versicherte diplomatisch, zur Lösung des Problems alles im Rahmen der Verfassung Mögliche zu unternehmen, und forderte beide Seiten zum Dialog auf. Auch Bangladeschs Wahlkommission ersuchte die Hilfe des Präsidenten. Man brauche eine Interimsregierung, in der alle Parteien berücksichtigt werden. »Wir wollen eine freie, faire und friedliche Wahl vorbereiten, die allen gleiche Chancen gibt«, sagte Chefwahlkommissar Kazi Rakibuddin Ahmad. Hasina Wajed hat inzwischen den Einsatz erhöht und der BNP zwölf Ministerposten angeboten. Doch ob das der Ausweg aus der Sackgasse ist, scheint zweifelhaft. Zunächst müßten die beiden Rivalinnen miteinander sprechen. Eine Einladung dazu hatte Frau Zia kürzlich abgelehnt und mit einer Serie von gewalttätigen Streiks beantworten lassen. Am Donnerstag will sie nun Verkehr und Transport lahmlegen lassen.

In den vergangenen Tagen haben zudem Gewerkschaften und Arbeiter der Textilbranche, die 80 Prozent der Exporte und Milliardengewinne erwirtschaftet, mit Streiks auf sich aufmerksam gemacht. Sie verlangen bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Ein Angebot der staatlichen Lohnbehörde, die Einkommen auf umgerechnet 68 Dollar im Monat zu erhöhen, lehnten sie als völlig ungenügend ab. Der Arbeitsminister wollte am Mittwoch Führer von 54 Gewerkschaftsgruppen zu Gesprächen empfangen.

In einer Erklärung verwies die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) darauf, daß in Bangladesch die Löhne in der Textilindustrie in 30 Jahren lediglich dreimal erhöht wurden. Dringend erforderlich seien Reformen in diesem Sektor, wozu sichere Arbeitsbedingungen und faire Löhne gehörten. Immer wieder kommt es in Textilfabriken des Landes zu Bränden und anderen Katastrophen. Das hat dem Industriezweig, der massiv Markenfirmen des Westens beliefert, den Ruf einer »Todesfalle« eingebracht. Ein erster Schritt, die skandalöse Lage zu ändern, ist ein im Juli geschlossenes Brandschutzabkommen, dem 70 internationale Konzerne beigetreten sind.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. November 2013


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