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Teure Billigklamotten

Mies bezahlt, entrechtet und ausgesperrt: Textilarbeiterinnen in Bangladesch kämpfen verzweifelt um höhere Entlohnung

Von Thomas Berger *

In Bangladesch sind die seit Wochen andauernden Arbeitskämpfe eskaliert. Im Mittelpunkt steht dabei die Textilbranche, deren Beschäftigte fast verzweifelt für höhere Mindestlöhne streiten. Seit einer Woche organisieren Gewerkschaften verstärkt Protestaktionen, um ihre eher bescheidenen Forderungen durchzusetzen. Im Gegenzug haben die Firmenbesitzer seit Sonnabend ihre Arbeiterinnen und Arbeiter einfach ausgesperrt – die Produktionsstätten wurden für unbestimmte Zeit geschlossen.

Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen ist Ashulia. Das in den zurückliegenden fünf Jahren neu aus dem Boden gewucherte Industriegebiet am Rande der Elf-Millionen-Metropole Dhaka, ist eine Art Zentrum der globalen Textilindustrie. Während vielen Modelabels China als Produktionsstandort allmählich zu teuer geworden ist, boomt hier die Branche weiter. Das beschert den großen internationalen Bekleidungsketten günstige Einkaufsbedingungen und den Fabrikbesitzern einträgliche Geschäfte. Nur die vorwiegend weiblichen Beschäftigten haben – außer der »Gnade« überhaupt entlohnt zu werden – wenig davon.

In den vergangenen Wochen ist es in Ashulia fast täglich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Protestierenden gekommen. Die Sicherheitskräfte gingen in gewohnter Weise mit Schlagstöcken und Tränengas vor. Inzwischen sind etwa 500 verletzte Demonstranten registriert worden. Diese wiederum sollen laut Presseberichten etwa 300 Fahrzeuge beschädigt oder zerstört haben, in 200 Fabriken seien schwere Schäden registriert worden. An der gegenwärtigen Aussperrung beteiligen sich etwa 350 Unternehmen.

Es ist zwei Jahre her, daß die Textilarbeiterinnen eine Verdoppelung ihrer monatlichen Bezüge von 1600 auf 3000 Taka (umgerechnet etwa 29 Euro) erkämpft hatten. In der Praxis wurde diese Lohnsteigerung zunächst verschleppt, vielerorts gar nicht umgesetzt. Bereits im Dezember 2010 kam es deshalb erneut zu wütenden Protesten. Bei dieser Fortsetzung der Arbeitskämpfe war es erklärtes Ziel der Gewerkschaften, eine weitere Steigerung des monatlichen Mindestlohns auf 5000 Taka (rund 48 Euro) durchzusetzen. Das gelang nicht. Inzwischen haben sich die sozialökonomischen Rahmenbedingungen für die Arbeiter weiter verschlechtert. Die Kaufkraft ist gesunken, die erkämpfte Lohnsteigerung wurde fast völlig von der Teuerungsrate bei den Lebenshaltungskosten aufgefressen.

Allein ihre Miete habe sich zuletzt von 1000 auf 1400 Taka monatlich erhöht, berichtete eine Textilarbeiterin in der englischsprachigen Tageszeitung The Daily Star (Montagausgabe). Sie müsse sich deshalb beim Einkauf weiter einschränken und sogar auf den Kauf von Eiern verzichten – eine der wenigen erschwinglichen Proteinquellen. Schon der Blick auf die Inflationsrate, die im Mai bei gut zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat lag, spricht für sich. Während die Ausgaben für Nahrungsmittel und sonstige Grundbedarfsgüter ständig stiegen, sind die Löhne seit Ende 2010 gleich geblieben sind.

Ein weiteres Problem für die Streikenden ist die Tatsache, daß die Gewerkschaften der Branche nicht einig sind. An den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in Ashulia sind in erster Linie Verbände, die der größten Oppositionspartei – der rechtskonservativen BNP – nahestehen, engagiert.

Im internationalen Vergleich steht Bangladesch mit seinen Löhnen im Textilsektor weit hinten. Obwohl hier für nahezu alle großen westlichen Modekonzerne und zahlreiche Kaufhausketten produziert wird, fristen die meisten Arbeitssklaven ein elendes Dasein. Ein Großteil der rund drei Millionen Beschäftigten der Branche muß für das geringe Einkommen nicht selten zwischen zehn und 16 Stunden schuften. Das Land ist auch heute noch unterentwickelt und arm. Die Billigtextilindustrie gilt daher vielen als unverzichtbarer Wirtschaftszweig, zeichnet sie doch für rund 80 Prozent der Exporte verantwortlich. Profiteure sind neben den Fabrikeignern als Auftragsfertiger und den großen westlichen Modelabels auch die Konsumenten in Westeuropa, den USA und Japan, die sich gern »Schnäppchen« vorsetzen lassen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Juni 2012


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