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"Bankier der Armen" geht in die Politik

Friedensnobelpreisträger Junus will zur Wahl in Bangladesch mit eigener Partei antreten

Von Hilmar König, Delhi *

Der Friedensnobelpreisträger Mohammed Junus hat die Bildung einer eigenen Partei »Nagarik Shakti« (Bürgermacht) verkündet. Mit ihr will er sich an den nächsten Parlamentswahlen beteiligen.

Ob in den Teestuben, den Büros, Zeitungsredaktionen, Werkstätten oder unter den Studenten in Bang-ladeschs Hauptstadt Dhaka – überall beherrscht gegenwärtig ein Thema die Gespräche: Mohammed Junus, mit seiner Grameen Bank, die den Bedürftigsten Mikrokredite gewährt, als »Bankier der Armen« bekannt geworden, geht in die Politik. Ist der Träger des Friedensnobelpreises 2006 dafür hart genug? Hat er die politische Elite, die sich an den Ressourcen der Nation bereichert, nicht als korrupt und ineffizient verurteilt? Und jetzt will dieser Gentleman in der politischen Landschaft Flagge zeigen?

Junus hat sich für sein Unterfangen den Segen des Volkes geholt. In einem offenen Brief fragte er die künftigen Wähler, ob sie ihn in der Politik sehen wollen. Darauf habe es, so teilte sein Büro mit, eine »unerwartet große positive« Reaktion gegeben. Doch so überraschend kann diese nicht gewesen sein, denn über sieben Millionen Bangladescher profitierten in mehr als 30 Jahren von den Aktivitäten der Grameen Bank. Nach deren Angaben haben 80 Prozent der Armen in Bangladesch Zugang zu Mikrokrediten, die dem Aufbau einer bescheidenen Existenzgrundlage dienen. 100 Prozent der Kinder von Grameen-Bank-Familien gehen zur Schule. Die Bank reicht zudem Stipendien aus und hat 15 000 Medizin- und Ingenieurstudenten Anleihen zur Finanzierung ihres Bildungsweges zur Verfügung gestellt. Deshalb kann nicht erstaunen, dass Junus unter den Armen populär ist, als ihr Anwalt gilt und mit ihrer Unterstützung als künftiger Politiker rechnen kann.

Als er vor ein paar Tagen die Geburt seiner Partei »Bürgermacht« verkündete – die offizielle Namensgebung und Etablierung soll noch im Februar stattfinden –, erklärte Mohammed Junus: »Ich kann mich unter keinen Umständen länger aus der Politik heraushalten.« Jetzt sei der richtige Zeitpunkt für die Gründung einer alternativen politische Partei. Neues politisches Denken sei erforderlich. Da das alte System der sich befehdenden und an der Macht abwechselnden beiden Hauptparteien das Potenzial Bangladeschs zerstört habe, müsse ein grundlegender Wandel eingeleitet werden.

Seit Mitte Januar ist eine Übergangsregierung in Dhaka im Amt, die von dem Technokraten Fakhruddin Ahmed geleitet wird. Dieser hat Reformen des Wahlprozesses und verschiedener Institutionen versprochen, einen neuen Chefwahlkommissar eingesetzt, mit der Korrektur der Wählerlisten begonnen und Maßnahmen gegen Korruption und politisch motivierte Gewalt eingeleitet. Er äußerte, seine Administration sei verpflichtet, ein demokratisches Umfeld zu schaffen, in dem so bald wie möglich freie und faire Wahlen durchgeführt werden können.

Eigentlich sollten bereits am 22. Januar Parlamentswahlen stattfinden. Aber wegen Gewalttätigkeiten zwischen politischen Aktivisten der beiden Hauptparteien, der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami-Liga, denen seit Jahresbeginn 45 Menschen zum Opfer fielen, mussten das Votum verschoben und die jetzige Übergangsregierung installiert werden. Staatspräsident Iajuddin Ahmed rief im Januar den Ausnahmezustand aus, der noch immer gilt. Armeechef Moin Ahmed sagte dazu, die Zivilregierung übe die Macht aus, es existiere kein Kriegsrecht. Das Militär unterstütze die Regierung lediglich in ihrem Kampf gegen die Korruption.

Der Friedensnobelpreisträger will umgehend in jedem Dorf mit der Bildung von Komitees beginnen, die die Absichten seiner Bürgerpartei propagieren. Deren Kandidaten für die Parlamentswahlen werden in allen 300 Wahlkreisen aufgestellt.

Die etablierten Parteien kommentieren den Vorstoß des »Champions der Armen« auf die politische Bühne nicht gerade freundlich. Die Chefin der Awami-Liga, Sheikh Hasina Wajed, sagte, »plötzliche Neulinge in der Politik« seien gefährlich und müssten mit Argwohn betrachtet werden. Sie würden der Nation oft mehr schaden als Gutes tun. Moudud Ahmed von der BNP glaubt, es wäre besser, wenn Junus diesen Schritt nicht getan hätte. Unter der Bevölkerung hingegen überwiegt die Ansicht, man habe mit der »Bürgermacht« nun ein Chance, zwischen gut und böse zu wählen, und Aussicht auf eine ordentlich funktionierende Regierung in der Zukunft.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2007


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