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Indien will mehr Zusammenarbeit mit Bangladesch, 10.09.2011

Historischer Besuch in Bangladesch

Von Indien will Zusammenarbeit mit Nachbarland stärken

Von Hilmar König *

Der zweitägige Besuch von Indiens Premier Manmohan Singh in Bangladesch Mitte der Woche war die erste Visite eines indischen Regierungschefs in dem Nachbarland seit zwölf Jahren. Kurz vor seinem Eintreffen in der Hauptstadt Dhaka erklärte Singh, Indien sehe sich verpflichtet, Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, bei seinen Entwicklungsbemühungen volle Unterstützung zu gewähren. »Unsere Partnerschaft mit Bangladesch ist für die Stabilität und Prosperität unserer eigenen Nordostregion wichtig. Es ist eine Partnerschaft, die positive Auswirkungen auf die gesamte südasiatische Region haben kann«, unterstrich er. Dipu Moni, die Außenministerin Bangladeschs, sprach von einem »historischen Besuch«, der den Weg für eine prosperierende Zukunft der ganzen Region ebnen würde.

Die zweitägige Visite trug einen starken wirtschaftlichen Akzent. Beide Seiten hatten ein Dutzend Abkommen, Verträge und Absichtserklärungen vorbereitet, von denen einige unterzeichnet wurden. Dabei geht es unter anderem um die zollfreie Einfuhr von Produkten aus Bangladesch nach Indien, den Transit von Gütern, den Anschluß von Eisenbahnverbindungen und die Nutzung von Häfen. Aber auch über den Schutz des Bengalischen Königstigers, die Bewahrung der Biovielfalt oder die Zusammenarbeit zwischen der Dhaka University und der Jawaharlal Nehru University Delhi wurden Abkommen geschlossen. Ungelöst bleibt bis auf weiteres die Frage der gemeinsamen Nutzung von Flüssen.

Zu einer Einigung dürfte es hingegen über das Problem der mehr als hundert indischen Enklaven auf dem Territorium Bangladeschs und bangladeschischen Enklaven auf indischem Gebiet kommen. Die dort siedelnden Menschen sind faktisch staatenlos, weil sich keine Seite für sie verantwortlich fühlt. »Es gibt hier keine Schule, kein Hospital, keine Straßen und keine Elektrizität. Weder von Bangladesch noch von Indien kommt jemand, unsere Dispute zu regeln«, äußerte eine Dorfbewohnerin. Das Enklavenproblem entstand schon zu Zeiten der Maharadschas und kleinen Lokalfürsten. Es konnte weder nach der Spaltung Bengalens in das indische Westbengalen und das pakistanische Ostbengalen im Jahr 1947 noch nach der Unabhängigkeit Bangladeschs Anfang der 1970er Jahre gelöst werden. Künftig sollen die jeweiligen Bewohner selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden können.

Über Jahrzehnte glich das Verhältnis zwischen beiden Ländern einer Berg- und Talfahrt. Indien hatte 1971 den Freiheitskampf der Bangladeschi tatkräftig unterstützt. Bis zur Ermordung von Sheikh Mujibur Rahman im Jahre 1975, dem »Vater der Unabhängigkeit«, gab es eine ersprießliche Partnerschaft, für die ein auf 25 Jahre ausgelegter Vertrag über Freundschaft, Kooperation und Frieden sorgte. Dieser wurde im Jahre 1997 nicht verlängert. Immer wenn die Awami-Liga unter der Premierministerin Hasina Wajed – der Tochter von Sheikh Mujibur Rahman – an der Regierung war, entspannte sich das Verhältnis. Sobald die Bangladesh Nationalist Party unter Premier Khaleda Zia regierte, verschärften sich die Beziehungen, wozu auch Indiens Haltung als »hegemonistischer großer Bruder« beitrug.

Mit dem offiziellen Indien-Besuch von Hasina Wajed im Januar 2010 kam die Wende. Seitdem wagt man auch, die heißen Eisen wie Wasseraufteilung, Grenz- und Enklavenfragen anzupacken. Jetzt scheint sich Indien ernsthaft für eine weitere Klimaverbesserung einzusetzen. Für Neu-Delhi ist es nicht zuletzt wichtig, den zunehmenden Einfluß Pekings in dem Nachbarland zu kontern. China ist Bangladeschs größter Handelspartner.

* Aus: junge Welt, 9. September 2011


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