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Bangladesch arbeitet seine Geschichte auf

Erste Haftbefehle wurden gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher erlassen

Von Hilmar König *

Das im März gebildete Kriegsverbrechertribunal in Bangladesch hat zu Wochenbeginn erste Haftbefehle ausgestellt. Zugleich nahm ein Parlamentsausschuss zur Überprüfung aller seit 1972 vorgenommenen Verfassungsergänzungen gegen den Widerstand der Opposition seine Arbeit auf.

Gegen den Vorsitzenden, den Generalsekretär und zwei Assistenzsekretäre der islamistischen Partei Jamaat-e-Islami ergingen am Montag (26. Juli) offiziell Haftbefehle. Die Beschuldigten sitzen jedoch bereits seit einem Monat in Untersuchungshaft. Laut Tribunalchef Gulam Arif Tipu waren die vier Parteiführer an »schrecklichen Verbrechen wie Völkermord, Töten, Folter, Brandstiftung und Vertreibung während des Befreiungskrieges beteiligt«. Das Tribunal untersucht Verbrechen gegen die Menschlichkeit und identifiziert Personen, die während des Unabhängigkeitskrieges 1971 mit (West-)Pakistan kollaborierten und Zivilisten töteten. Nach Darstellung der Regierung kostete der Krieg damals drei Millionen Bengalen das Leben. Bangladesch - ehemals Ostpakistan - arbeitet damit ein düsteres Kapitel seiner Geschichte auf.

Seit Herbst 2008 wird Bangladesch von einer Koalition unter Führung der Awami-Liga regiert, die einst vom Architekten der Unabhängigkeit, dem 1975 ermordeten Sheikh Mujibur Rahman, gegründet wurde. Regierungschefin ist heute dessen Tochter Sheikh Hasina Wajed. Die Opposition, angeführt von der Bangladesh Nationalist Party (BNP) der früheren Ministerpräsidentin Begum Khaleda Zia, boykottiert dagegen seit Wochen das Parlament. Sie lehnt auch die Mitarbeit in einem Parlamentsausschuss ab, der alle Ergänzungen der Verfassung von 1972 überprüfen soll. Das Grundgesetz war nach der Ermordung Mujibur Rahmans vom Militär in wesentlichen Passagen verändert worden. Ursprünglich waren Nationalismus, Sozialismus, Demokratie und Säkularismus zu Grundprinzipien des Staates erklärt worden. Die Generäle dagegen machten Bangladesch zur islamischen Republik, in die Präambel wurde eine Lobpreisung Gottes aufgenommen, religiöse Parteien wurden zugelassen, der Begriff Sozialismus wurde ersatzlos gestrichen.

Premierministerin Hasina Wajed erklärte nun vor dem Parlament, Ziel des Untersuchungsausschusses sei es, den Geist des Befreiungskrieges wiederzubeleben und das Volk zu befähigen, die Früchte der Demokratie zu ernten. Der Ausschuss solle dazu beitragen, die Bürgerrechte zu gewährleisten und illegale Machtübernahmen zu verhindern.

Die Initiative der Regierung folgt einer Gerichtsentscheidung aus dem Frühjahr. Darin wurden die Militärregimes zwischen August 1975 und April 1979 für verfassungswidrig erklärt. Die BNP und ihre Partner verweigern die Mitarbeit im Ausschuss, weil der ihrer Meinung nach nicht nationalen, sondern Parteiinteressen folgt und deshalb illegal sei.

Die Ausschussarbeit steckt noch in der Anfangsphase. Längst ist noch nicht entschieden, ob die Regierungskoalition die Chance nutzt, wichtige Punkte aus ihrem Wahlmanifest in die Verfassung einfließen zu lassen, beispielsweise die Forderung, statt 45 künftig 100 von insgesamt 300 Parlamentssitzen für Frauen zu reservieren.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Juli 2010


Zurück zum Ursprung?

Bangladesch befaßt sich mit düsteren Kapiteln der Vergangenheit

Von Hilmar König **


Der vor einigen Tagen gebildete parlamentarische Ausschuß in Bangladesch, der die Änderungen an der Verfassung von 1972 überprüfen soll, hat noch gar nicht richtig mit seiner Arbeit begonnen. Doch allein seine Existenz ist oppositionellen Kreisen ein Dorn im Auge. Die 1972er Verfassung wurde 1975 nach der Ermordung von Sheikh Mujibur Rahman, dem »Vater der Nation«, vom herrschenden Militär in wesentlichen Passagen geändert. Die Urfassung erklärte Nationalismus, Sozialismus, Demokratie und Säkularismus zu Grundelementen des Staates.

Die Generäle machten daraus eine islamische Republik und ließen den Begriff Sozialismus ersatzlos streichen. In die Präambel nahm man eine Passage auf, die Gott lobpreist. Und Parteien, die auf religiösem Fundament stehen, wurden zugelassen. Ob man überhaupt zu den Grundelementen zurück will, ließ die Regierungskoalition, in der die Awami Liga von Premier Sheikh Hasina Wajed den Ton angibt und die die Initiative zur Bildung des Parlamentsausschusses ergriff, noch offen.

Die Premierministerin begründete dieser Tage vor der Volksvertretung die Notwendigkeit zur Überprüfung der Verfassung so: Ziel sei, den Geist des Befreiungskrieges von 1971 wiederzubeleben und das Volk zu befähigen, die Früchte der Demokratie zu ernten. Der Ausschuß solle dazu beitragen, die Bürgerrechte zu gewährleisten und illegale Machtübernahmen zu verhindern. Ganz wichtig sei es, Wege für künftige Versuche zu blockieren, die Staatsmacht mit dem Verhängen des Kriegsrechts an sich zu reißen.

Die Politikerin erinnerte daran, daß drei Millionen Menschen ihr Leben und über 200000 Mütter und Töchter des Landes ihre Unantastbarkeit für die Unabhängigkeit der bengalischen Heimat hatten opfern müssen. Den Kampf des damaligen Ostpakistan für die Befreiung vom westpakistanischen Joch hatte Nachbar Indien massiv unterstützt.Mit der Bildung des parlamentarischen Ausschusses folgt die Regierung einer gerichtlichen Entscheidung aus dem Frühjahr. Darin wurde bestätigt, daß die Regimes zwischen August 1975 bis April 1979 verfassungswidrig waren. Es hatte in dieser Zeit Putsche und Gegenputsche, Kriegsrecht und eine rigorose Militärdiktatur gegeben.

Die Opposition, angeführt von der Bangladesh Nationalist Party der früheren Ministerpräsidentin Begum Khaleda Zia, lehnt bislang die Mitarbeit in dem Ausschuß ab. Ihr paßt nicht, daß sie nur einen Vertreter in dem Gremium haben soll und daß die Einladung dazu nicht vom Parlamentssekretariat, sondern vom Fraktionschef der Awami Liga kam. Dahinter vermutet sie eine von Parteiinteressen geleitete »Verschwörung«. Opposition und Regierungsseite sollten gleich stark vertreten sein. Auch der namhafte Jurist Kamal Hossain, der maßgeblich an der Verfassung von 1972 mitarbeitete, warnte die Regierung vor überhastetem Aktionismus.

Er favorisiert, die öffentliche Meinung bei der Arbeit an der Konstitution zu berücksichtigen und auf einen nationalen Konsens zu orientieren. In indirektem Zusammenhang zur Arbeit des Untersuchungsausschusses steht das im März gebildete Kriegsverbrechertribunal. Es stellte am Montag offiziell die ersten Haftbefehle gegen vier Führer der islamistischen Partei Jamaat-e-Islami aus. Sie sitzen jedoch bereits seit einem Monat in Untersuchungshaft. Tribunalchef Gulam Arif Tipu erklärte, die vier Parteiführer seien an »schrecklichen Verbrechen wie Genozid, Töten, Folter, Brandstiftung und Vertreibung während des Befreiungskrieges« beteiligt gewesen. Das Tribunal untersucht Verbrechen gegen die Menschlichkeit und identifiziert Personen, die im Unabhängigkeitskampf mit den pakistanischen Okkupanten kollaborierten und Zivilisten töteten. Bangladesch unter der Führung von Premierministerin Sheikh Hasina Wajed arbeitet damit ein düsteres Kapitel seiner jüngeren Geschichte auf. Ihre Partei, die Awami-Liga, hatte im Herbst 2008 die Parlamentswahlen gewonnen und regiert seitdem mit einer aus vier politischen Parteien bestehenden Allianz.

** Aus: junge Welt, 30. Juli 2010


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