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Recht und Justiz auf ihrer Seite

Bangladesch: Frauen wehren sich erfolgreich gegen zunehmenden gesellschaftlichen Druck, sich zu verschleiern

Von Thomas Berger *

Drei Urteile des High Courts, des zweithöchsten Gerichts des Landes, in grundsätzlich der gleichen Angelegenheit: Zumindest die Justiz haben die Frauen in Bangladesch klar auf ihrer Seite. Der gesellschaftliche Druck auf sie, sich zu verschleiern, mag zunehmen, doch zur Not können sie sich immer noch erfolgreich gerichtlich zur Wehr setzen. Zuletzt gelang dies Sultana Arjuman Banu, Direktorin einer Primarschule. Unerhört mutet nicht nur aus westlicher Sicht an, was sich ein Regierungsbeamter ihr gegenüber herausnahm. Auch die Richter waren ob der Beschimpfung als »unkultivierte Nutte« schockiert. Es gebe kein Gesetz, das die Verschleierung vorschreibe, und gerade seitens eines gebildeten Staatsdieners sei eine solche Wortwahl einer Schulleiterin gegenüber absolut unverständlich.

Bangladescher sind mehrheitlich streng islamisch. Anders als etwa in Afghanistan, Pakistan, im Iran oder in den Golfstaaten hat der Schleier in diesem Teil des indischen Subkontinents aber keine kulturelle Verankerung. Viele Frauen tragen ihr Haar offen, andere ein Kopftuch oder einen Schleier, manche aber auch eine Burka.

Da viele Männer aus dem Land am Gangesdelta in den reichen arabischen Emiraten als Gastarbeiter schuften, übernehmen sie aber - bewußt oder unbewußt - die dort herrschenden Vorstellungen über die »richtige« Bekleidung ihrer Partnerinnen und Töchter. Tatsächlich tragen immer mehr Frauen in der Öffentlichkeit einen Schleier. Gerichte betonten jedoch wiederholt, dies müsse die freie Entscheidung jeder einzelnen sein. Niemand dürfe Frauen bedrohen und beschimpfen, wenn sie sich aus seiner Sicht »unschicklich« kleiden. So bekamen im März einige Polizisten einen hochrichterlichen Rüffel. Sie hatten in einer Provinzstadt im Norden des Landes neun Teenager verhaftet und sie gezwungen, Burkas zu tragen. Auch der Direktor eines Colleges, der eine entsprechende Kleidungsrichtlinie für seine Schülerinnen durchsetzen wollte, erlitt vor Gericht eine Niederlage.

Der Kulturkampf um den Schleier beschäftigt nicht nur Juristen. Gerade die regierende Koalition um die liberale Awami-Liga von Premierministerin Sheikh Hasina Wajed bemüht sich, das Erstarken islamistischer Kräfte zu unterbinden. So sieht das Bildungsministerium in einem jüngst veröffentlichten Erlaß jeden Versuch, Mädchen von der Teilnahme am Sport und an kulturellen Aktivitäten auszuschließen oder ihnen hinsichtlich der Kleidung Vorschriften zu machen, als Straftatbestand.

Doch dem Druck ist nicht so einfach zu begegnen. So fühlten sich bisweilen Frauen, die die Verschleierung eigentlich ablehnen, genau damit auf der Straße am sichersten, sagte die Anwältin Sara Hossain gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Sie hatte im Auftrag von Sultana Arjuman Banu das jüngste Urteil erstritten. Dabei wagt es längst nicht jede bedrängte Frau, vor Gericht zu ziehen. Als wichtige Signale und Ermutigung für viele dürfen die Urteile in dieser Angelegenheit dennoch gelten

* Aus: junge Welt, 8. Oktober 2010


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