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Bangladesch und Billigtextilien: Branchenvertreter, Politiker und globale Konzerne weisen Mitverantwortung für Brandkatastrophe mit 111 Todesopfern zurück

Von Thomas Berger *

In Bangladesch sind am Dienstag zahlreiche Opfer des Brandes in einer Textilfabrik zu Grabe getragen worden. Zugleich schaltete sich auch Premierministerin Sheikh Hasina Wajed in die öffentliche Debatte um die Tragödie ein. Zur Eröffnung einer Textilmesse in der Hauptstadt Dhaka rief sie die Unternehmer der Branche auf, alles zu tun, damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederhole. Die Regierung ihrerseits habe bereits Untersuchungskommissionen gebildet, um die genauen Hintergründe zu ermitteln. Derzeit gehen die Behörden von Brandstiftung aus, zwei Verdächtige sollen festgenommen worden sein.

Es ist die größte Katastrophe dieser Art seit Jahren. 111 Arbeiterinnen und Arbeiter kamen ums Leben, als am Sonnabend in Ashulia ein mehrstöckiges Fabrikgebäude ausbrannte (jW berichtete). Das Feuer war bisherigen Berichten zufolge im Erdgeschoß ausgebrochen. Es fehlte offenbar an Fluchtwegen, viele der Näherinnen in den oberen Etagen waren in der Flammenhölle gefangen.

Das Gebäude entsprach offenbar in keiner Weise den Anforderungen an eine Fabrikanlage. Auch der Feuerwehr war es nur mit großer Mühe gelungen, an die Brandstätte zu gelangen – die Straße war viel zu eng.

Das, aber auch die fehlenden Notausgänge, stellen keine Einzelfälle dar. Von der Tageszeitung The Daily Star befragte Beschäftigte aus umliegenden Fabriken der Stadt berichteten, daß es in ihren Betrieben nicht anders aussehe. Aus Furcht vor Repressalien wollten die Befragten ihre Namen nicht nennen. Eine Mitschuld an dem tödlichen Inferno weist der Präsident von Bangladeschs Architektenkammer den Behörden zu. Es sei ihm ein Rätsel, wie die zuständige Bauaufsicht die Errichtung des Gebäudes ohne Fluchtwege für den Fall eines Brandes überhaupt genehmigen konnte, wird Musbasshar Hussain im Daily Star zitiert.

Immer deutlicher wird auch, wieviele westliche Bekleidungsfirmen in der Fertigungsstätte unter den dort herrschenden Bedingungen produzieren ließen. Tazreen Fashions, Betreiber der niedergebrannten Fabrik, bzw. dessen Mutterunternehmen Tuba Group, zählt einheimischen Medienberichten zufolge 29 internationale Konzerne zu deren Auftraggebern. Diese versuchen nach Kräften, eine Mitverantwortung von sich zu weisen.

Die US-Kette Walmart – weltgrößter Einzelhandelskonzern – hat Anfang der Woche jede Mitverantwortung von sich gewiesen. Man habe offiziell nichts davon gewußt, daß in dem Betrieb für das Unternehmen genäht wurde. Die Geschäftsverbindung mit Tazreen Fashions sei umgehend beendet worden, hieß es.

Reporter haben derweil herausgefunden, daß die Tuba Group zwischen 2009 und 2010 für ein Jahr von einem globalen Zertifizierungsprogramm als »mittelmäßig« eingestuft wurde, was die Einhaltung bestimmter Mindeststandards betrifft. Seit Februar 2010 habe es aber keine neuen Untersuchungen gegeben, das Siegel sei abgelaufen.

Tazreen Fashions und seine Mutterfirma produzieren u.a. für die deutschen Konzerne kik (Tengelmann-Gruppe) und C&A. Neben Walmart ließ den Angaben zufolge auch IKEA bei der Firma fertigen. Letztere teilte auf Nachfrage von Journalisten aus Bangladesch mit, man habe zumindest mit der abgebrannten Fabrik in Ashulia nichts zu tun gehabt.

Den Zorn erzürnter Beschäftigter in der Branche hat sich auch der US-Rapper und Unternehmer Sean Combs, früher »Puff Daddy« genannt, zugezogen. Dessen Modelabel ENYCE soll ebenfalls in der Anlage produzierte Stücke bezogen haben. Aktivisten haben in den verkohlten Überresten des Materiallagers, das im Erdgeschoß den Brandherd bildete, Teile mit entsprechend eindeutiger Etikettierung gefunden und dokumentiert. Dies hatte unter anderem Kalpona Akter, Chefin der Organisation Bangladesh Centre for Worker Solidarity, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP berichtet.

Die Branche versucht indes, einfach weiterzumachen. Das zeigt nicht zuletzt die Messe in Dhaka, die trotz des Dramas in Ashulia und der mindestens 700 Toten durch ähnliche Vorfälle seit 2006 nicht abgesagt worden war. Politiker und Unternehmer wähnen Bangladesch in zu großer Abhängigkeit von der Branche, als daß deren Geschäftsgrundlage tatsächlich angetastet werden könnte. Zwar mahnte auch die Premierministerin dringend eine Verbesserung beispielsweise der Löschwasserversorgung unmittelbar an den Fabriken an. Hasina verwies zugleich auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung des Sektors. Die Textilexporte könnten dem bitterarmen südasiatischen Land allein in den kommenden fünf Jahren Einnahmen von umgerechnet 50 Milliarden US-Dollar bescheren. Dazu sollen auch etliche Anlagen beitragen, die in neuen Sonderwirtschaftszonen geplant sind. Nahe Chittagong, zweitgrößte Metropole und bedeutendste Hafenstadt des Landes, wollen beispielsweise japanische und türkische Investoren bauen und produzieren lassen. Die heimische Industrie- und Handelskammer zeigt sich in offiziellen Statements besorgt –sie fürchtet um die ausreichende Stromversorgung der neuen Fabriken. Brand- und Arbeitsschutz oder Einhaltung der ohnehin lächerlich geringen Mindestlöhne wurden nicht erwähnt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. November 2012


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