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Tchibo als Feuerlöscher

Konzern unterschreibt Brandschutzabkommen für Textilbranche in Bangladesch

Von Jörg Meyer *

Als erstes Unternehmen hat Tchibo ein wegweisendes Brandschutzabkommen unterzeichnet. Gewerkschaften stellten gestern eine internationale Kampagne für bessere Bedingungen in den Bekleidungsfabriken in Asien vor.

Tchibo will sich für den Brandschutz in Bangladesch einsetzen. Der Händler von Kaffee, Konsumgütern und Klamotten hat eine Vereinbarung mit Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften unterzeichnet, teilte das entwicklungspolitische Netzwerk Inkota am Donnerstag mit. Das unterzeichnete Abkommen, das explizit die Kontrolle durch die Beschäftigten vorsieht, geht zurück auf eine Initiative des New Yorker Bekleidungskonzerns PVH Corporation. Das Papier, das unter anderem die Kampagne für Saubere Kleidung sowie acht internationale und Bangladesch-Gewerkschaften vereinbarten, sieht vor, dass der Brand- und Gebäudeschutz in Bekleidungsfabriken auf die international gültigen Vorschriften und Standards erhöht wird. Dazu sollen unabhängige Kontrollgremien unter Einbeziehung der Belegschaften und Gewerkschaften eingerichtet werden. Auch sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter entsprechend geschult werden. PVH will für das Programm zwei Jahre lang jeweils eine Million US-Dollar ausgeben, sagte ver.di Handelsexperte Johann Rösch am Donnerstag.

Das Problem ist jedoch: PVH bindet die Umsetzung und Finanzierung daran, dass mindestens drei andere große Bekleidungskonzerne mit an Bord kommen. Doch die zieren sich.

Besondere Kritik übten ver.di und das internationale Gewerkschafternetzwerk TIE am Bekleidungsriesen Hennes und Mauritz (H&M). Der habe zwar eine Plakatkampagne zum Thema Brandschutz gestartet, wolle das Abkommen aber nicht unterzeichnen. H&M ist der zweitgrößte Abnehmer in Bangladesch.

Zusammen mit Gewerkschaftern aus Sri Lanka und Indien stellten ver.di und TIE gestern ihre neue »ExChains«-Kampagne vor. In deren Rahmen sollen die Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Bekleidungsproduktion thematisiert werden. »H&M nimmt bei der prekären Beschäftigung in seinen Filialen hierzulande einen Spitzenplatz ein«, sagte Heiner Köhnen von TIE.

Ziel der Kampagne ist die Durchsetzung von vier Forderungen, die Beschäftigte aus Einzelhandel und Bekleidungsfabriken zusammen entwickelt haben. Die erste Forderung ist denn auch die Unterzeichnung des PVH-Brandschutzabkommens. Des Weiteren geht es um Lohnerhöhungen, freien Gewerkschaftszugang in die Fabriken und die Offenlegung der Zulieferer. Mit der Kampagne sollen die Strukturen in der globalisierten Bekleidungsindustrie verändert werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. September 2012


"Wir müssen sehr klandestin arbeiten"

nd-Gespräch über die Situation in den Bekleidungsfabriken in Sri Lanka und Indien **

Meghna Sukumar ist seit vier Jahren aktives Mitglied der indischen Textilarbeiterinnengewerkschaft GFWU / NTUI. Die studierte Sozialarbeiterin stammt aus der sechstgrößten Stadt Indiens, dem südindischen Chennai. Anton Markus ist Generalsekretär der Gewerkschaft der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Freihandelszonen in Sri Lanka. Mit den Gewerkschaftern sprach nd-Redakteur Jörg Meyer.


nd: Herr Markus, Sie sagen, die Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten zehn Jahren verschlechtert. Ich dachte, die Gewerkschaften in der Bekleidungsbranche hätten an Kraft gewonnen. Liege ich komplett falsch?

Anton Markus: Die Gewerkschaften werden stärker. Aber wir sind noch nicht in der Position, Arbeitgeber und Regierungen herauszufordern. Die Freihandelspolitik führt dazu, dass sie sehr eng zusammenarbeiten. Wo es früher die Tripartheit gab, das Zusammenwirken von Staat, Arbeitgebern und Gewerkschaften, ist es nur noch eine Bipartheit. Der Organisierungsgrad in Sri Lanka liegt bei unter zehn Prozent.

Meghna Sukumar: In Indien sind nur fünf Prozent der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Bekleidungsindustrie organisiert. Die unabhängigen Gewerkschaften, wie unsere, versuchen, oft als einzige in der Branche etwas zu erreichen, weil die parteinahen Gewerkschaften die Branche oft für unorganisierbar halten. Ich denke, wir werden auch in Indien stärker und gewinnen an Einfluss. Aber wir sehen auch sich verschlechternde Arbeitsbedingungen und immer mehr Arbeitsplätze, die im informellen Sektor entstehen.

Wie ist das Verhältnis von formeller und informeller Arbeit?

Sukumar: Es gibt große Fabriken mit mehreren Tausend Arbeitern in den Freihandelszonen, aber es gibt auch kleine Subunternehmen, das macht es für uns oft schwer, die ganze Wertschöpfungskette nachzuzeichnen. Sehen Regierung und Arbeitgeber Sie als Verhandlungspartner? Sukumar: Absolut nicht! Die unabhängigen Gewerkschaften werden auf keiner Regierungsebene anerkannt. Beispielsweise: In der Mindestlohnkommission sitzt in der Regel die Regierungspartei und dominiert das Gremium.

Markus: Wegen unserer Aktivitäten, besonders wegen unserer internationalen Beziehungen zu anderen Gewerkschaften, müssen sie mit uns reden. Das passt ihnen ganz und gar nicht. Den gepriesenen Sozialen Dialog gibt es jedoch nicht. Die unabhängigen Gewerkschaften werden als Sozialpartner nicht anerkannt, manchmal sogar als »Terroristen« bezeichnet. Die parteinahen Gewerkschaften werden vorgezogen, weil sie machen, was die Parteien wollen.

Wer sind die Frauen in den Bekleidungsfabriken?

Sukumar: Viele beginnen nach der zehnten Klasse dort zu arbeiten. Sie sind meist zwischen 17 und 23. Viele Unternehmen weigern sich, verheiratete oder ältere Frauen einzustellen. Die könnten wegen zu viele freie Tage nehmen wollen. Die älteren Arbeiterinnen sind meist alleinerziehend. Viele sind ungelernt, viele Analphabetinnen. Markus: In Sri Lanka versuchen die Unternehmer alles, um die Leute in den Fabriken zu halten. Wir haben 30 000 freie Stellen. Die Leute gehen mittlerweile lieber in den Mittleren Osten als in die Fabrik und arbeiten dort unter fürchterlichen Bedingungen als Haushaltshilfe. Wenn eine ältere Arbeiterin eine junge anwirbt für die Fabrik, bekommt sie mehr Geld.

Für eine Gewerkschaft ist das doch eine gute Ausgangssituation, wenn die Arbeitskraft knapp ist.

Markus: Das stimmt, aber wir können die Situation nicht nutzen, weil noch zu Wenige in der Gewerkschaft organisiert sind, und ohne Organisierung läuft es nicht.

Wie werden denn neue Fabriken organisiert?

Sukumar: Wir müssen sehr klandestin arbeiten. Vieles läuft in den Wohnheimen und Ortschaften. Wir behandeln dort Themen, die weniger konfrontativ sind und nicht direkt mit ihrem Arbeitsplatz zu tun haben. Beispielsweise Mindestlohn, der jeden etwas angeht, oder Sozialversicherung. Durch diese Gespräche werden sich die Menschen ihrer Situation bewusster. Dann beginnen sie auch, die Probleme an ihrem eigenen Arbeitsplatz anzusprechen, wie Unfälle oder sexuelle Übergriffe. Das ist ein schlimmes Problem.
Wenn eine Frau einen Übergriff anzeigt, kann es sein, dass sie gefeuert wird. Das ist schon oft vorgekommen. Die Arbeiterinnen sind zu 80 Prozent Frauen, die Vorarbeiter und die Manager alles Männer.

Markus: Es gibt Gesetze dagegen, die werden aber wie auch die Arbeitsgesetze nicht durchgesetzt.

Sukumar: Naja, und wenn die Managements herausfinden, dass wir in der Fabrik aktiv sind, reicht ihr Repertoire von körperlichen Angriffen über falsche Anschuldigungen bis hin zu Kündigungen.

Markus: Bei uns ist es ähnlich. Außerdem gibt es schwarze Listen. Wer gewerkschaftlich aktiv ist und darum rausfliegt, hat große Probleme in der Freihandelszone einen neuen Job zu finden. Das ist absolut illegal, aber sie machen das ganz offen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. September 2012


Von der Fabrik bis in den Laden

Internationale Gewerkschaftskampagne will die Strukturen in der Bekleidungsindustrie verändern

Von Jörg Meyer ***


Brandschutz, höhere Löhne, Gewerkschaftsfreiheit und Offenlegung der Zulieferer - mit diesen Forderungen soll eine gestern gestartete internationale Kampagne die Situation in der Bekleidungsindustrie verbessern.

Mit einer neuen Kampagne, die gestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, will »ExChains«, Druck auf die internationalen Textilkonzerne und ihre Zulieferer machen. In dem seit mehreren Jahren laufenden Projekt arbeitet das internationale Bildungsnetzwerk für Arbeiter TIE (transnationals information exchange) zusammen mit Dienstleistungs- und Textilarbeitergewerkschaften aus Sri Lanka, Bangladesch und Deutschland zusammen.

Dafür initiierte TIE vor knapp zehn Jahren das Projekt »ExChains«. In dessen Selbstbeschreibung heißt es: »ExChains ist ein Beschäftigtennetzwerk entlang der globalen Wertschöpfungskette von der Bekleidungsproduktion Asiens bis zum europäischen Einzelhandel.« Ziel ist die Veränderung der Strukturen in der globalen Bekleidungsindustrie. Die vier zentralen Forderungen der Kampagne, Unterzeichnung der internationalen Brandschutzvereinbarung, die der US-amerikanischer Textilriese PVH initiiert hat, aber nicht durchführen will, wenn nicht mindestens drei europäische Konzerne teilnehmen sowie die Anhebung der Löhne, damit die Arbeiterinnen ein annähernd menschenwürdiges Leben führen können.

Drittens fordert ExChains Zugangsrechte für Gewerkschaften in die Betriebe und letztens die Offenlegung der Zulieferketten. Zu oft konnten sich nach Unglücken wie dem in Pakistan letzte Woche, Unternehmen hinter undurchsichtigen Subunternehmen verstecken und alle Schuld von sich weisen. Die Forderungen wurden von Beschäftigten aus den Fabriken dort und im Einzelhandel hier gemeinsam entwickelt, Aktionen sollen eng koordiniert werden.

Die Kampagne richtet sich sowohl an eine breite Öffentlichkeit als auch an die Beschäftigten und Betriebsräte selbst. Sie sollen vor Ort die Bedingungen thematisieren, unter denen die Klamotten die sie bei H&M, Zara und Co. verkaufen hergestellt werden. Beispielsweise bei H&M wollen in der nächsten Woche bei Betriebsversammlungen die asiatischen Gewerkschafter die Kolleginnen im Handel von ihren Bedingungen berichten.

Johann Rösch, Einzelhandelssekretär bei ver.di, war 2011 mit Betriebsräten von H&M, Zara und Metro in Bangladesch, hat sich dort legale und illegale Fabriken angesehen. »Wir haben mit schlimmen Verhältnissen gerechnet, aber die Realität hat uns schockiert«, sagte Rösch am Donnerstag bei der Vorstellung der Kampagne. Er habe aber auch erkannt, »wie engagiert die Näherinnen und ihre Gewerkschaft NGWF für Verbesserungen ihrer Situation kämpfen«, was ihn und den Rest der Delegation »tief beeindruckt« habe. Der Kreis von Betriebsräten, die ExChains unterstützen, sei seitdem enorm gewachsen. »Aufklären und Unruhe stiften« heißt für Rösch die Devise. Aber er auch ist Realist und weiß: »Es wird ein langer Kampf zur Durchsetzung von Menschenrechten. Aber es gibt auch immer Verbraucher, die diesen unterstützen.«

Bei H&M und ZARA fordern inzwischen auch die Gesamtbetriebsräte die Unternehmensleitung auf, sich für die vier Forderungen einzusetzen. Beteuerungen seitens des H&M-Managements, man setze sich doch ein, bleiben nach Ansicht der Gewerkschaften so lange unglaubwürdig, wie der zweitgrößte Produzent in Bangladesch das Brandschutzabkommen nicht unterzeichnet und seine Macht nicht einsetzt, damit sich die Situation in den Textilfabriken verbessert.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. September 2012


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