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"Wir brauchen einklagbare Regelungen"

Brandkatastrophen in Bangladesch: "Selbstverpflichtung" der Konzerne ist nur einer erster Schritt. Gespräch mit Thomas Seibert *


Thomas Seibert ist Südasien-Referent der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico international.

Nach der Katastrophe von Bangladesch mit über 1000 Toten haben Textilkonzerne eine Selbstverpflichtung unterschrieben, den Brandschutz und die Gebäudesicherheit in Fabriken zu erhöhen. Wer kontrolliert, ob sie dieser auch nachkommen?

Die Einhaltung des Abkommens überprüft ein »Steering Committee«, das paritätisch von den Unternehmen und Gewerkschaften besetzt ist und nach Mehrheit entscheidet: Es wird also ein unabhängiges Inspektionssystem eingerichtet, der Einfluß der Gewerkschaften und Beschäftigten wird verstärkt. Die Konzerne kommen für den Umbau der Fabriken auf. Aber: Es ist eine freiwillige Vereinbarung, obwohl die Regelung der Arbeitsbedingungen eigentlich eine gesellschaftliche Aufgabe ist und per Gesetz zu treffen wäre.

Medico international wertet das Sicherheitsabkommen der großen Handelsketten – darunter H&M, C&A, Tchibo, Otto, Primark, Aldi, Zara, Benetton sowie Abercrombie & Fitch – als einen »ersten Schritt«. Ist es nicht vielmehr eine dreiste PR-Kampagne?

Ich glaube, daß sich die Unterzeichner erst einmal an diese Regelungen halten werden. Problematisch ist, daß das Abkommen auf Bangladesch begrenzt ist. Anderswo herrschen dieselben unerträglichen Bedingungen: Im September 2012 verbrannten 300 Arbeiterinnen und Arbeiter im pakistanischen Karatschi, in einer Fabrik, die den deutschen Discounter KiK belieferte.

Warum hat KiK nicht einmal die Absicht erklärt, gleiche Verpflichtungen auch für Pakistan einzugehen?

Geschieht das nicht, wird das Abkommen schlicht zum »Wettbewerbsnachteil« für Bangladesch. Dann werden die Produktions- und Lieferketten dorthin verlegt, wo man weitermachen kann wie bisher. Deshalb fordern wir die Ausweitung der Regelung auf alle Produktions- und Lieferländer.

Reicht ein Sicherheitsabkommen? Müssen nicht auch Löhne und Arbeitsbedingungen international neu geregelt werden?

Die Arbeit in den Weltmarktfabriken kostet auch ohne Großbrand und Hauseinsturz ungezählte Menschenleben. Die Leute schuften bis zu 14 Stunden täglich für 35 Dollar im Monat. Der Gewerkschaft beizutreten, ist oft lebensgefährlich. Damit sind die nächsten Forderungen schon benannt: Verdopplung und Durchsetzung des Mindestlohns, Begrenzung der Arbeitszeit, freie gewerkschaftliche Organisation. Auch dazu brauchen wir international einklagbare gesetzliche Regelungen.

Wer soll solche Forderungen durchsetzen?

Die mörderische Logik des kapitalistischen Weltmarkts kann nur global gebrochen werden: von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, politischen Parteien im Süden wie im Norden, gemein­sam. Wir haben deshalb die pakistanische Gewerkschafterin Zehra Khan nach Deutschland eingeladen. Sie wird am 23. Mai auf dem Umfairteilen-Kongreß in Berlin sprechen und am 1. Juni an den »Blockupy«-Krisenprotesten in Frankfurt teilnehmen.

Welche konkreten Vorschläge haben Sie, etwas zu verändern?

Bleiben wir beim Bangladesch-Abkommen. Das haben die lokalen Gewerkschaften, international agierende Gewerkschaftsbünde und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchgesetzt, in einer Ausnahmesituation, die die Konzerne zum Nachgeben zwang.

Das reicht aber nicht, weil es nur um Bangladesch, nur um Brandschutz, nur um Selbstverpflichtungen geht. Das sagen wir in den Medien; aber auch auf dem Umfairteilen-Kongreß, bei Blockupy, zu ver.di-Kolleginnen und Kollegen, zu sozialen Aktivisten, den Linken und den Grünen. Wir wollen diese Frage an die weitergeben, die nach ihrer Beantwortung suchen müssen: Wie erkämpfen wir heute globale gesetzliche Regelungen zu Mindestlöhnen, zur Begrenzung der Arbeitszeit, zur weltweiten Durchsetzung des Rechts auf freien Zugang zu Gesundheit? Diese Frage stellt sich gerade den Gewerkschaften, die hier in Deutschland für sich selbst Mindestlöhne, Arbeitszeitbegrenzungen, freien Zugang zu Gesundheit fordern. All dies kann heutzutage nur noch international sinnvoll geregelt werden. Wenn das verstanden wird, können wir nachlegen und fragen, was der tausendfache Tod in asiatischen Textilfabriken damit zu tun hat, daß deutsche Konsumentinnen und Konsumenten im Durchschnitt jährlich zwischen 40 und 70 Kleidungsstücke kaufen.

Interview: Gitta Düperthal

* junge Welt, Dienstag, 21. Mai 2013


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