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Kein Blut mehr am T-Shirt?

Bangladesch erhöht Fabrikstandards

Von Jörg Meyer *

Dass jetzt so viele Unternehmen das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch unterzeichnet haben, ist politisch ein Erfolg für Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften. Doch bis es wirklich besser wird in den Fabriken, vergeht wohl noch einige Zeit.

Die Rettungsarbeiten sind 20 Tage nach dem Einsturz des Rana Plaza in einem Vorort der Hauptstadt Dhaka am Dienstag offiziell beendet worden. 1127 Tote und 2500 Verletzte - die meisten von ihnen Frauen - sind nach dem schlimmsten Fabrikunfall in der Geschichte Bangladeschs zu beklagen.

Die jüngste Katastrophe hat nun Bewegung in die Bekleidungsindustrie gebracht. Die Regierung in Bangladesch kündigte an, gewerkschaftliche Organisierung zu erleichtern und den Mindestlohn für die Arbeiterinnen und Arbeiter zu erhöhen. Bislang musste der Fabrikbesitzer zustimmen, bevor die Gewerkschaft im Betrieb aktiv werden konnte. Hunderte Fabriken, in denen die Sicherheitsmängel besonders gravierend waren, sollten gestern geschlossen werden.

Auch im Westen gerieten die Bekleidungskonzerne, die ihren Profit unter anderem den lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen in den asiatischen Fabriken verdanken, unter Druck. Die Branchenriesen Hennes und Mauritz (H&M), C&A, Inditex/Zara, Primark/Penny und andere wollen dem Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch beitreten. Die Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign - CCC) begrüßte den Schritt und forderte andere Unternehmen auf, ebenfalls zu unterschreiben.

Das Abkommen ging vor gut zwei Jahren aus einer Initiative von internationalen Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und Verbraucherorganisationen hervor. Es setzt verbindliche Standards und basiert im Wesentlichen auf Transparenz bei Sicherheitskontrollen und Mängelbeseitigung und darauf, dass die Auftraggeber die Maßnahmen für den Brandschutz sowie die Gebäudesicherheit bei ihren Produzenten in Bangladesch bezahlen. Das Recht der Arbeiterinnen und Arbeiter, bei Gefährdungen die Arbeit zu verweigern, gehört auch dazu.

Dass jetzt auf einen Schlag so viele Firmen dem Abkommen beitreten, ist ein politischer Erfolg, sagt Heiner Köhnen vom internationalen Gewerkschafternetzwerk TIE. Die staatliche deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ hatte am 29. April zu einem runden Tisch eingeladen, um wenige Tage nach dem Gebäudeeinsturz bei Dhaka über Verbesserungen der Sicherheit in den Bekleidungsfabriken zu reden. Köhnen übt schwere Kritik an der GIZ. Die habe ein unternehmerfreundlicheres Abkommen in einer »total verwässerten Form« gewollt, sagte der Gewerkschafter. Die GIZ vereinbarte mit den beteiligten Unternehmen eine Frist bis zum 15. Mai, um ihr Abkommen zu unterzeichnen. Doch die CCC, die internationale Gewerkschaft IndustriAll und weitere Gewerkschaften seien hart geblieben und hätten parallel ihr eigenes Papier verhandelt. »Hätten wir nicht an einem Strang gezogen, hätten wir das nie geschafft«, sagt Köhnen.

Doch der Gewerkschafter ist auch realistisch, was die Reichweite des Brandschutzabkommens angeht. »Die Organisierungsbedingungen haben sich erhöht, und die Arbeiterinnen können sicherer sein, dass sie nicht vom einstürzenden Gebäude erschlagen werden oder in verschlossenen Räumen verbrennen.« An Arbeitszeiten, Stress, Krankheit und miesen Löhnen ändere sich nichts.

Bis wirklich kein Blut mehr am T-Shirt oder Luxusbustier aus Bangladesch klebt, wird also noch einige Zeit vergehen. Aber immerhin ist jetzt auch die Möglichkeit für gewerkschaftliche Organisierung eröffnet und damit ein Fuß in der Tür zu besseren Bedingungen in Bangladeschs Bekleidungs- und Textilindustrie - nach fast 2000 Toten seit 2006.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. Mai 2013


Eine moralisch-ethische Frage

Der Grünenabgeordnete Uwe Kekeritz über schlimme Produktionsbedingungen und die Rolle der Politik **

Die Praktiken der Unternehmen müssen öffentlich gemacht werden, sagt Uwe Kekeritz. Bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat er deshalb am Montag Beschwerde gegen die Bekleidungsfirmen C&A, KiK und Karl Rieker eingelegt.

nd: Was ist der Grund für Ihre Beschwerde? Das ist kein gewöhnlicher Schritt.

Kekeritz: Es geht um eine moralisch-ethische Frage. Die drei Firmen beziehen Kleidung, Stoffe aus Bangladesch, und es ist bekannt, unter welchen Bedingungen dort produziert wird. Es geht um Sicherheitsstandards, um miserable Löhne und um Menschenrechte. Wenn die Leute 14, 15, 16 Stunden arbeiten müssen, dann sind die Menschenrechte missachtet.

Und was kann die OECD da tun?

Alle Unterzeichnerstaaten der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen müssen eine Nationale Kontaktstelle einrichten, bei der Beschwerden gegen Unternehmen eingereicht werden können, die gegen die Leitsätze verstoßen und Menschen ausbeuten. Die Beseitigung der Missstände ist jedoch nicht juristisch einklagbar. Die Bedeutung der Beschwerde liegt also darin, dass das Thema in die Öffentlichkeit kommt, dass darüber diskutiert wird und es ein Vermittlungsverfahren gibt. Nichts fürchten diese Unternehmen mehr als die öffentliche Meinung. Und darum werden die reagieren.

Was jetzt ja auch passiert ist. Das Brandschutzabkommen haben gestern viele Unternehmen unterzeichnet.

Das ist trotzdem ein Skandal. Das Abkommen gab es schon länger, Tchibo und der US-Bekleidungskonzern PVH, Mutterkonzern von beispielsweise Calvin Klein, hatten es als erste unterzeichnet. Die deutschen und andere europäische Unternehmen haben gesagt, da sind uns die Auflagen zu hart, da machen wir nicht mit. Und auch die staatliche Entwicklungshilfeorganisation GIZ hat lieber mit Unternehmen verhandelt als mit Gewerkschaften und Initiativen. Auf Grund der Vorfälle der letzten Monate haben sie aber gemerkt, dass es hochgefährlich ist: Die Öffentlichkeit könnte immer kritischer werden. Darum treten sie jetzt dem Abkommen bei. Man muss aufpassen, dass da kein »Fairwashing« geschieht.

Bei den letzten Katastrophen lag eine Ursache auch in der Korruption vor Ort. Wo liegen denn die Verantwortlichkeiten bei Auftraggebern hier und Produzenten dort?

Wir können die Regierung Bangladeschs und die zuständigen Ministerien nicht aus der Verantwortung lassen. Die tragen eine ganz große Schuld. Aber wenn ich dort einkaufe und ich kenne die Bedingungen, dann bin ich verpflichtet, die Verhältnisse zu verändern oder dort eben nicht einzukaufen.

Und was könnte der Gesetzgeber hierzulande tun, um das zu unterbinden?

Tatsächlich kann nur auf europäischer Ebene ein Regelwerk entstehen. In Brüssel wurde beispielsweise unlängst entschieden, dass Unternehmen im Rohstoffsektor ihre Geschäftsbeziehungen offen legen müssen. Dies ist ein wichtiger Schritt, um festzustellen, ob die Unternehmen unter ausbeuterischen Bedingungen produzieren lassen. Die Bundesregierung hat bis zuletzt gegen diese Offenlegungspflichten gekämpft - und verloren. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese Pflichten auf andere Branchen ausgeweitet werden. Wir brauchen dringend Offenlegungspflichten für die Textilbranche, um Klarheit in den Markt zu bringen. Schwarz-Gelb muss endlich aufhören zu bremsen und zu blockieren. Hier in Deutschland müssen wir vor allem weiter öffentlichen Druck machen, damit endlich etwas geschieht.

** Uwe Kekeritz sitzt für die Grünen im Bundestag. Der 1953 Geborene stammt aus dem Allgäu und ist seit 1990 Mitglied von Bündnis 90/Grüne. Im Bundestag arbeitet er im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Kekeritz ist zudem Sprecher der Grünenfraktion für Gesundheit in Entwicklungsländern. Mit ihm sprach nd-Redakteur Jörg Meyer.

Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. Mai 2013


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