Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die Unternehmen tun nichts"

Diskussionen in Deutschland nach Fabrikeinsturz in Bangladesch

Von Jörg Meyer *

In Bangladesch gehen wütende Textilarbeiter auf die Straße. In Deutschland werden die Forderungen nach einem internationalen Brandschutzabkommen lauter.

Die Zahl der Toten nach dem Einsturz eines Geschäftsgebäudes in Bangladesch ist auf über 308 gestiegen. In der Hauptstadt Dhaka tobten auch am Freitag heftige Proteste von Arbeiterinnen und Arbeitern gegen die Arbeitsbedingungen. Zwei Bekleidungsfabriken und Autos brannten, es kam zu Straßenschlachten. Die Polizei ging mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas gegen die Protestierenden vor.

In Deutschland geht die Diskussion um eine internationales Brandschutzabkommen für die Zulieferbetriebe der Bekleidungskonzerne weiter. Vertreter der Gewerkschaft ver.di und der Vorsitzende der Textilarbeitergewerkschaft NGWF aus Bangladesch, Amirual Haque Amin, trafen sich am Dienstag mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning. Amin warb für die Unterstützung eines internationalen vom US-Textilkonzern PVH initiierten Brandschutzabkommens.

Vor dem Hintergrund des jüngsten Fabrikeinsturzes in Bangladesch fordert Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, die Unternehmen in der Bekleidungsbranche zum Handeln auf. nd-Gespräch über Arbeitsbedingungen und Korruptionsbekämpfung. Mehr

Das Treffen im Rahmen der gewerkschaftlichen »ExChains«-Kampagne statt. Darin geht es um die Offenlegung der gesamten Produktionskette - von der Landwirtschaft, über die Herstellung der Stoffe bis zu den Bekleidungsfabriken und den Händlern. Die Gesamtbetriebsräte des schwedischen Bekleidungsriesen »Hennes & Mauritz« sowie Zara, forderten ihre Arbeitgeber auf auf, dem PVH-Abkommen beizutreten. H&M ist der zweitgrößte Abnehmer von Kleidung in Bangladesch.

PVH hatte die Umsetzung des Abkommens, mit dem Millioneninvestitionen in die Sicherheit der Bekleidungsfabriken verbunden wären, von der Beteiligung anderer Unternehmen abhängig gemacht. Bislang hat in Deutschland nur Tchibo unterschrieben. Der schwedische H&M-Konzern als zweitgrößter Auftraggeber in Asien verweigert bislang die Unterschrift, aber auch C&A Zara oder Walmart. Ulrich Dalibor, Leiter der Bundesfachgruppe Einzelhandel bei ver.di, äußerte in dem Zusammenhang gegenüber »nd« Kritik am Handelskonzern Metro: »Wir haben uns mit hochrangigen Vertretern der Metro Group getroffen, um für das PVH-Abkommen zu werben. Nachdem sie sich das alles angehört hatten, sagten sie, man wolle doch lieber bei BSCI die Mitarbeit intensivieren.«

BSCI (»Business Social Compliance Initiative«) ist eine von der Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels gegründete Plattform, die zwar auf den internationalen Verträgen der UN-Arbeitsorganisation ILO beruht, in erster Linie auf Selbstverpflichtungen der Industrie basiere. Unabhängige Prüfungen der Zulieferer seien nicht vorgesehen. BSCI verteile ein »Gütesiegel für die Unternehmenshomepage«, ohne dass die Unternehmen etwas dafür tun müssten, kritisierte der Gewerkschafter. »Wir brauchen verbindliche Standards und keine Selbstverpflichtungen«, sagte Frauke Banse von der Kampagne für Sauberer Kleidung. »Und wir brauchen fundamentale Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften und den Beschäftigten.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. April 2013


Wie stoppt man das Sterben der Textilarbeiter?

Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, über die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Bangladeschs

Von Jörg Meyer **


nd: Herr Löning, Sie haben Anfang der Woche Gewerkschafter zum Gespräch über die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie eingeladen. Warum?

Löning: Unter anderem hat der Vorsitzende der Textilarbeitergewerkschaft in Bangladesch, Amirual Haque Amin, aus der Sicht der dort Beschäftigten die Lage geschildert. Es ist wichtig für uns, diese Informationen aus erster Hand zu bekommen.

Von internationalen Gewerkschaften gibt es einen Vorschlag für ein Brandschutzabkommen, dass bislang nur der New Yorker Branchenriese PVH und Tchibo unterzeichnet haben. Es fehlen aber noch Unterschriften von anderen großen Konzernen, damit es in Kraft treten kann. Werden Sie nach dem Treffen jetzt auch dafür werben?

An dem gewerkschaftlichen Ansatz finde ich sehr klug, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die zentrale Monitoringinstanz sind - also die Überprüfungen der Sicherheitsstandards selbst mit in der Hand haben. Das ist auch das Beste, denn sie sind es ja, die täglich vor Ort sind. Trotzdem ist es in erster Linie wichtig, dass sich eine relevante Anzahl von Akteuren aus der Bekleidungsindustrie zusammensetzt und verbindliche Standards setzt.

Wieso fällt es denn augenscheinlich den Firmen in Europa so schwer, sich Regeln zu geben, die auch ein gehalten werden?

In den letzten Jahren hat sich viel getan. Das reicht aber noch nicht. Bei dem verheerenden Brand in einer Bekleidungsfabrik in Pakistan im September haben wir gesehen, dass die Firma erst kurz davor überprüft worden ist. Wie kann es dann geschehen, dass sie kurz danach abbrennt? Da kann ja etwas nicht stimmen. Aber die Verantwortung liegt nicht bei den Unternehmen allein.

Das heißt?

Die primäre Verantwortung für die Durchsetzung der Gesetze, für die Einhaltung von Mindestlöhnen, von Arbeitsstandards und von Bauvorschriften liegt bei der jeweiligen Landesregierung.

Was sehen Sie an der Stelle für Probleme?

In der Region ist die Korruption weit verbreitet. Das ist ein Riesenproblem, weil Korruption dazu führt, dass Gesetze umgangen werden und Kontrollen nicht transparent und unabhängig ablaufen. Darum will ich nicht allein die Firmen in Bausch und Bogen verdammen.

Was kann hier getan werden, damit dort das Sterben in den Bekleidungsfabriken dort aufhört?

Da gibt es unterschiedliche Handlungsstränge. Als Konsumenten müssen wir wissen, dass ein T-Shirt für 4,99 Euro nicht zu guten Bedingungen produziert worden sein kann. Bei einem T-Shirt für 14,99 Euro können wir uns zwar auch nicht sicher sein, aber zumindest steigt die Chance. Die Modeunternehmen sind allesamt auf ihren Ruf bedacht und reagieren empfindlich auf Kritik. Dieser Macht müssen wir uns als Kunden bewusst sein.

Auf der anderen Seite müssen wir die Unternehmen dazu anhalten, Global Compact, dem internationalen Pakt für eine soziale und ökologische Entwicklung, beizutreten.

Und letztens können wir die Länder über Entwicklungshilfe darin unterstützen, dass die Korruption bekämpft und verlässliche Regierungen und ein Rechtssystem aufgebaut werden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. April 2013


Zurück zur Bangladesch-Seite

Zur Menschenrechts-Seite

Zurück zur Homepage