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Die Entwicklungspolitik ignoriert das Problem des Älterwerdens

Haseeb Khan: Auch der Süden muss Antworten auf den demografischen Wandel finden

Während derzeit in vielen Entwicklungsländern noch bis zu fünfzig Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt sind, wird sich dies bald stark ändern. Um den damit verbundenen sozialen, ökonomischen und ökologischen Effekten vorzubeugen, muss dieses Thema mehr Beachtung in der Entwicklungszusammenarbeit bekommen, meint Haseeb Khan. Der 55-jährige , Direktor des Research Integration Centre (RIC) in Dhaka, Hauptstadt von Bangladesch, arbeitet auf internationaler Ebene zum Thema Älterwerden. Für das "Neue Deutschland" (ND) sprach mit ihm Kai Walter.



ND: Herr Khan, Sie kommen aus einem der dichtbesiedeltsten Länder der Erde. Wie ist derzeit die Altersstruktur in Bangladesch?

Khan: Von etwa 155 Millionen Einwohnern sind in Bangladesch sieben bis acht Prozent über 60 Jahre alt. Der Anteil wird jedoch stark zunehmen. Wir rechnen mit einer Verdopplung auf 17 Prozent bis 2050. Die Älteren zählen auch zu den 75 Prozent der Bevölkerung, die auf dem Land leben, dort wo die Armut am größten ist. Wir schätzen, dass die Hälfte der über 60-Jährigen in Bangladesch extrem arm sind. Das heißt, sie haben weniger als einen US-Dollar pro Tag zum Leben. Der Wandel in der Altersstruktur wirkt sich vor allem negativ für die Älteren aus, wie auch der Klimawandel, von dem unser Land besonders betroffen ist.

Sie sprechen in einem Zug über den Klimawandel und den demografischen Wandel. Wie hängt das zusammen?

Es sind vielleicht auf den ersten Blick zwei ganz verschiedene Dinge. Aber in Bangladesch hängen sie eng zusammen. Wir sind extrem stark durch tropische Stürme, Flutwellen und Überschwemmungen bedroht. Große Teile des Landes stehen immer wieder unter Wasser und damit wird den Bauern die Grundlage für ihre Arbeit und ihre Versorgung genommen. Ihre Felder werden zerstört und der Ackerboden weggespült. Die Arbeit auf den Feldern machen hauptsächlich ältere Menschen. Deshalb leiden sie besonders unter den Folgen der Klimakatastrophen. Ältere Menschen sind auch im Moment von den Katastrophen stärker betroffen. Sie bleiben zum Hüten der Habseligkeiten in den Häusern zurück, wenn Stürme und Wasser kommen. So sind sie den direkten Auswirkungen ausgesetzt, während die anderen in die Flut-Schutzbauten gehen.

Die alten Menschen haben keine Möglichkeiten sich zu schützen?

Sie sind in den Schutzprogrammen nicht vorgesehen. In die Schutzbauten muss man hochklettern, das können viele Ältere nicht. Da lässt man sie lieber gleich zu Hause. Frauen und Kinder werden im Katastrophenschutz besonders berücksichtigt, ältere Menschen nicht. Selbst nach einer Katastrophe greifen die Nothilfemaßnahmen nicht für die Älteren. Sie bekommen keine finanzielle Kompensation, keine adäquate medizinische Versorgung und bei der Verteilung von Hilfsgütern und Nahrungsmitteln stehen sie hinten oder kommen gar nicht hin, weil sie nicht die Kraft haben sich durchzusetzen. Von Programmen wie Geld-für-Arbeit oder Nahrungsmittel-für Arbeit werden ältere Menschen ausgeschlossen und auch Mikrokredite werden ihnen verwehrt.

Kümmern sich die Jüngeren nicht um die Älteren?

Sie sind in die Städte abgewandert, um dort nach Arbeit zu suchen. Sie übernehmen nicht mehr die Felder ihrer Vorfahren. Sie vergessen ihre Eltern und denken nur an sich. Sie übersehen, dass die Älteren durch die Landwirtschaft auch die Jüngeren mitversorgen. Es gibt viele Ältere, die sagen: Wir füttern euch, denkt auch an uns.

Was tun Sie, um die älteren Menschen zu unterstützen?

Beim Research Integration Centre (RIC) denken wir besonders an ältere Menschen, die von Entwicklung ausgeschlossen werden. Wir arbeiten mit den Menschen, um sie zu stärken und zu organisieren und wir machen Lobbyarbeit bei Politikern im In- und Ausland und bei Vertretern internationaler Organisationen. Wir regen die Gründung von Altenkomitees in den Dörfern an. Ältere Menschen müssen eine Stimme bekommen und mehr Zugang zu Sozialprogrammen der Regierung erhalten. Wir arbeiten seit einigen Jahren mit HelpAge International zusammen und vernetzen uns. Das Älterwerden von Gesellschaften ist ein weltweites Phänomen. Wir wollen lernen, wie andere Länder damit umgehen. Und wir kämpfen darum, dass die Einrichtung sozialer Sicherungssysteme für ältere Menschen unterstützt wird. In der Entwicklungspolitik wird das Problem des Älterwerdens bisher nicht ausreichend beachtet.

Wie können Soziale Sicherungssysteme für ältere Menschen finanziert werden?

Es ist richtig, dass die älteren Menschen keine Beiträge gezahlt haben, von denen rentenähnliche Zahlungen abhängig gemacht werden können. Deshalb muss der Staat einspringen und beitragsunabhängige Sicherungssysteme schaffen. Es gibt Studien der Internationalen Arbeitsorganisation, wonach ein bis drei Prozent des Staatshaushalts eines Landes nötig sind, um Sicherungssysteme für Ältere zu finanzieren.

Wie läuft es denn derzeit in Bangladesch?

Es gibt geringe staatliche Zahlungen, die im Monat bei etwa zwei Dollar pro Person liegen. Das ist sehr wenig. Aber die Menschen, die dieses Geld bekommen, und das sind bei Weitem nicht alle, freuen sich darüber und fühlen sich beachtet. Verschiedene Projekte zeigen uns, dass mit etwas mehr Geld viel erreicht werden kann und die Menschen auch im Alter wirtschaftlich aktiv bleiben können. Als aktiver Teil der Gesellschaft fühlen sie sich nicht abgeschoben. Ein Mann aus Afrika hat mir eine Geschichte erzählt: Als ein Dorf immer wieder von einer großen Elefantenherde bedroht wurde, haben die Bewohner alle alten Elefanten getötet. Nach einem Jahr sind auch die anderen Elefanten gestorben. Die Dorfbewohner wunderten sich und fanden heraus, dass die Elefanten von einer Flutwelle überrascht wurden, da die Alten nicht mehr da waren, um sie zu warnen. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wahr ist, aber sie passt sehr gut zu unserem Problem in Bangladesch.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009


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