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Bahrains Regierung geht gegen Opposition vor

Offizieller Vorwurf: Organisation einer "systematischen und vielschichtigen Gewaltkampagne"

Von Karin Leukefeld *

Vor dem Hintergrund bevorstehender Wahlen in Bahrain, einem Inselstaat im Persischen Golf, geht die Regierung massiv gegen die Opposition vor.

Am vergangenen Sonntag (5. Sep.) klagte die oberste Strafverfolgungsbehörde Bahrains 23 Personen an, darunter den Vorsitzenden der oppositionellen Al-Haq-Bewegung, Abduljalil al-Singace. Er war Mitte August bei seiner Rückkehr aus Großbritannien festgenommen worden. Zwei Führungsmitglieder der Islamischen Freiheitsbewegung Bahrains, die in London im Exil leben, wurden ebenfalls angeklagt. Bis zu 250 Personen sollen seit Mitte August verhaftet worden sein, darunter auch religiöse Führer und Blogger, die der Opposition nahestünden.

Offiziell handelt es sich bei den Angeklagten um eine Randgruppe, die ein »raffiniertes terroristisches Netzwerk« gebildet und »Aktionen innerhalb und außerhalb Bahrains« organisiert habe. Sie sollen eine »systematische und vielschichtige Gewaltkampagne« gegen die Regierung organisiert haben, hieß es aus dem Büro des anklagenden Staatsanwalts. Beweise wurden bisher nicht präsentiert. Die Festnahmen sind von einer Art Medienkampagne begleitet, viele Zeitungen veröffentlichten steckbriefähnliche Bilder der Beschuldigten und übernahmen die amtliche Sprachregelung.

Oppositionelle Jugendliche protestierten teilweise gewaltsam gegen die Festnahmen. Augenzeugen berichteten von brennenden Autoreifen und Angriffen auf Polizisten mit Brandsätzen

Aktivisten von Al Haq weisen unterdessen die Vorwürfe zurück. Die Regierung versuche, die Opposition einzuschüchtern, zumal einige Anhänger von Al Haq und anderen oppositionellen Gruppen zu einem Boykott der für den 23. Oktober angesetzten Parlamentswahlen aufgerufen hätten. Die Regierung habe versprochene Reformen nicht umgesetzt, erklärte Nabeel Rajab, Leiter des Menschenrechtszentrums in Bahrain. Die Oppositionellen hätten gedacht, »sie könnten mit der Regierung zusammenarbeiten, aber jetzt haben sie festgestellt, dass die Regierung nur versucht hat, sie zu integrieren«, nicht aber ihnen mehr Rechte zu geben.

Emir Scheich Hamad bin Isa al-Khalifa, der 1999 an die Macht kam, hatte nach heftigen Unruhen in den 90iger Jahren eine Reihe von grundlegenden Reformen versprochen, darunter auch die Aufhebung repressiver Gesetze und mehr politische Partizipation für die Bevölkerungsmehrheit. Hintergrund der Spannungen ist ein historischer Konflikt zwischen dem Haus der sunnitisch-muslimischen Al-Khalifa, das seit Ende des 18. Jahrhunderts an der Macht ist und der schiitisch-muslimischen Bevölkerungsmehrheit von 60 Prozent, die auch als Baharnas bezeichnet werden.

Der häufig als religiös beschriebene Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten hat tatsächlich politische, soziale und wirtschaftliche Ursachen.

Baharnas haben es schwer, eine Anstellung oder auch angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Von staatlichen Jobs bei Ministerien, Polizei oder Armee sind sie ebenso ausgeschlossen wie aus dem Parlament.

Amnesty International forderte derweil ein faires Verfahren für die Angeklagten. Foltervorwürfe, die von den Anwälten der Inhaftierten erhoben worden waren, müssten untersucht werden.

* Aus: Neues Deutschland, 8. September 2010


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