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Die Reform des Österreichischen Bundesheers im Trend EUropäischer Entwicklungen:

Aufgaben, Zielsetzungen und Alternativen
Von Thomas Roithner*

Am 23. September 2004 diskutierte der Deutsche Bundestag über die "Zukunft der Bundeswehr", womit im Grunde nichts anderes gemeint ist als die Anpassung der militärischen Kapazitäten an die von den Regierenden herbei geredeten neuen "Herausforderungen": Weltweite Militäreinsätze zur Bekämpfung von Terrorismus, Menschenrechtsverletzungen, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen u.ä. Diese Umstrukturierung steht im Zusammenhang mit der Militarisierung der Europäischen Union und betrifft daher alle EU-Mitgliedstaaten - auch die "Neutralen". Insofern ist die Entwicklung im Nachbarland Österreich, das sich 1955 per Verfassung zur "immerwährenden Neutralität" verpflichtete, auch für uns von großem Interesse.

Der folgende Beitrag von Thomas Roithner befasst sich mit den Plänen zur Umstrukturierung des österreichischen Bundesheeres und benennt die wichtigsten Positionen der innenpolitischen Akteure.



"Feindbilder sind sicher nicht die Ursache für einen Krieg -
sie erleichtern aber das Marschieren."

Max Frisch

1. Vorbemerkungen

Die politischen und militärischen Eliten Österreichs sehen im Zuge der außen-, sicherheits- und militärpolitischen Entwicklungen in der EU einen Reformbedarf für das Österreichische Bundesheer (ÖBH) und setzten zu diesem Zwecke die Bundesheerreformkommission unter der Leitung des sozialdemokratischen Wiener Alt-Bürgermeisters Helmut Zilk ein. Die Zusammensetzung dieser Kommission widerspiegelt die Erfahrungen der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung anlässlich der nur mit Regierungsstimmen erfolgten Beschlussfassung des Österreichischen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin und des eigentlich in diesen Fragen anzustrebenden "nationalen Konsenses". Der Diskussionsprozess in der Kommission umfasste einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und bezog VertreterInnen der Parlamentsparteien, der Ministerien, die SozialpartnerInnen, Jugendorganisationen, die HochschülerInnenschaft, zivile Persönlichkeiten und Militärs ein (BHRK: 141). Zustimmung zum Endergebnis kam von allen Parteien. Das "Ja" zum nunmehr vorliegenden Bericht verweigerten die vertretene Zivildienstplattform, die Sozialistische Jugend, ein FPÖ-Abgeordneter und der ÖGB (vgl. ÖGB 2003: 5-7), der sich der Stimme enthielt.

Die parteipolitische Auseinandersetzung um die Zukunft der österreichischen Sicherheitspolitik weist für Außenstehende zum Teil kafkaeske Züge auf. Nach offiziellen Erklärungen der Parteien ging Österreich 1994 - seinerzeit unter einer SPÖ-ÖVP-Regierung - als neutraler Staat in die EU. Die Entwicklung um die Militarisierung der EU sorgte zwischen den Regierungsparteien zwar für Diskussion, diese wurde jedoch in der breiten Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Offener Dissens herrschte jedoch in Fragen eines möglichen Beitritts Österreich zum Militärpakt NATO vor. Der Optionenbericht der SPÖ-ÖVP-Bundesregierung aus dem Jahre 1998 scheiterte an dieser Frage. Die ÖVP hatte sich auf einen NATO-Beitritt durch einen Parteitagsbeschluss vom 14.7.1997 als eine der Optionen Österreichs festgelegt. Durch den vor allem für beide Regierungsparteien aus unterschiedlichen Gründen geführten "NATO-Streit in Österreich" (Heidegger/Steyrer) wurden die Fragen der Militarisierung der EU aus der (ver-)öffentlich(t)en österreichischen Debatte weitgehend herausgehalten. Das Informationsdefizit betreffend der militärischen Aspekte der EU besteht bis dato. Die Neutralität Österreich genießt in der Bevölkerung heute eine beinahe konstante Zustimmung zwischen 60 und 85 %. Eine offene und ehrliche öffentliche Auseinandersetzung mit der EU-Militärpolitik und der Rolle Österreichs würde heute unverzüglich die Debatte nach der möglichen Unvereinbarkeit von Neutralität und EU-Mitgliedschaft auf die Tagesordnung rücken. Der in den Beratungen befindliche "Österreich-Konvent" wird auch sicherheitspolitische Veränderungen bringen.

2. Die Militarisierung im Kontext der Bundesheerreform

Durch den größeren Kontext sicherheitspolitischer Entwicklungen in der EU und in Österreich erschließen sich manche Positionen, Analysen und Empfehlungen der Bundesheerreformkommission deutlicher. Zu diesem Zweck wird in diesem Abschnitt ein Abriss über die Militarisierung der EU, die EU-Sicherheitsstrategie, die EU-Verfassung und die österreichische Sicherheits- und Verteidigungsstrategie eingegangen.

2.1. Die Militarisierung der EU

Die Bedeutung der EU-Militärpolitik für die politischen Eliten drückt die französische Verteidigungsministerin Michčle Alliot-Marie im Februar 2004 aus: "Die Irak-Krise hat die Verteidigungszusammenarbeit in der EU nicht zurückgeworfen, das Gegenteil ist der Fall. Die Verteidigung ist ein Schüsselelement des europäischen Einigungsprozesses geworden. Sie kommt schneller voran als die Währungsunion" (FAZ 2004). Die Integrationsprozess der EU definiert sich ab nun scheinbar militärisch.

Die Union verfügt heute über eine einsatzbereit erklärte militärische Interventionstruppe von 60.000 SoldatInnen, die 4 000 Kilometer rund um die EU (wobei dies nur als planerische Größe angenommen wird, Der Standard 2000) im gesamten "Petersberger Spektrum" (von humanitären Einsätzen bis zu Kampfeinsätzen) autonom innerhalb von 60 Tagen eingesetzt werden kann. Die Interventionstruppe ist nicht als stehendes Heer konzipiert, sondern setzt sich multinational zusammen. Das größte Kontingent mit 18.000 SoldatInnen stellt Deutschland. Am Balkan ("Concordia") und im Kongo ("Artemis") war diese Truppe - teilweise bereits autonom - im Einsatz. Ständige Fortschritte erzielt die EU in der rüstungspolitischen Zusammenarbeit sowie in der Entwicklung militärischer Strukturen (EU-Militärausschuss, EU-Militärstab). Angesichts der geplanten - und aufgrund der sozialen Verwerfungen öffentlich wenig auf Akzeptanz stoßenden - Rüstungsprogramme verlangt die EU von ihren Mitgliedsstaaten "kreative Lösungen" (EU-Rat in Laeken 2001) zur Finanzierung dieser Vorhaben. Seit den Terroranschlägen in den USA am 11.9.2001 gehört die Terrorbekämpfung für die EU zum "Kernstück der Außenpolitik". Eine auch militärische Solidaritätsklausel bei einem Terroranschlag in der EU (Beistand im Terrorfall) wurde nach den Anschlägen von Madrid im März 2004 aus der Verfassung vorgezogen. Die Bestrebungen der Mehrheit der EP-Abgeordneten, aus der EU einen klassischen militärischen Beistandspakt zu machen (EP 2000: Punkt 67 sowie auch EP 2002: Punkt 28), werden vorerst nicht in dieser Form realisiert. Ab dem Jahr 2000 wurde auch von der Mehrheit der EP-Abgeordneten die "verstärkte Zusammenarbeit" in Fragen der Rüstungs-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik angestrebt (EP 2000: Punkt 65). Im Prozess der GASP werden die UNO und die OSZE zu Gunsten eigener Interventionskapazitäten in kleinen Schritten marginalisiert. Ernstgemeintes ziviles Krisenmanagement - welches diesen Namen auch verdient - bleibt budgetär und von der politischen Prioritätensetzung weit im Schatten der EU-Militärpolitik, auch wenn in diesem Bereich große Fortschritte erzielt wurden. Die EU-Sicherheitspolitik ist nach wie vor in wichtigen Punkten noch von nationalen Interessen geleitet.

2.2. Die EU-Sicherheitsstrategie

Am 12.12.2003 wird die von Javier Solana erarbeitete EU-Sicherheitsstrategie "Ein sicheres Europa in einer besseren Welt" (Solana 2003) beschlossen. Armut, Hunger, Unterernährung, Flüchtlinge, globale Erwärmung u.v.a. werden unter den "Globalen Herausforderungen und Hauptbedrohungen" genannt. Solana skizziert als Hauptbedrohungen den Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, Scheitern von Staaten ("failed states") und organisierte Kriminalität. Die Sicherheitsstrategie betont durchaus, dass größere Angriffe gegen Mitgliedstaaten nunmehr unwahrscheinlich geworden sind. Die Parallelen zu den US-Bedrohungen sind jedoch angesichts der Zerwürfnisse nach dem Irak-Krieg nicht zufällig gewählt. Die "failed states", die nicht bereit sind, in die Gemeinschaft zurückzukehren "sollten sich im Klaren sein, dass sie dafür einen Preis bezahlen müssen". "Wir müssen fähig sein zu handeln, bevor sich die Lage in Nachbarländern verschlechtert, wenn es Anzeichen für Proliferation gibt und bevor es zu humanitären Krisen kommt. Durch präventives Engagement können schwierigere Probleme in der Zukunft vermieden werden." Im welcher Form erfolgt präventives Handel bei Proliferationsanzeichen? "Bei den neuen Bedrohungen", so das EU-Papier "wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art. Die Proliferation nimmt immer mehr zu." Proliferation wird damit zum Grund für präventive EU-Militärinterventionen im Ausland. KritikerInnen der EU-Sicherheitsdoktrin führen an, dass sich die EU-Doktrin in dieser Hinsicht nicht von der US-Präventivkriegsdoktrin ŕ la Irak unterscheidet.

Gescheiterte Staaten sind nicht selten ein Produkt von Armut und einer Weltordnung, die diesen Akteuren in den internationalen Beziehungen keine angemessenen Chancen zur Entwicklung gibt. Statt vorbeugendes militärisches Engagement oder diesen Staaten irgendwelche "Preise" abzupressen soll die EU im Sinne einer zivilen Krisenprävention die gemeinsame Außenpolitik dazu nutzen, um die versprochenen 0,7 % des BSP für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, dies auch von anderen Staaten einzufordern und vor allem die Armut durch ihre gewichtige Stimme in der WTO und Weltbank (z.B. Abschaffung armutsfördernder Agrarsubventionen) zu beseitigen versuchen. Nicht zufällig betont die EU in der Sicherheitsstrategie mehrfach, dass Sicherheit eine Vorbedingung für Entwicklung ist. Auf einen auch umgekehrten Zusammenhang wird nicht eingegangen. Die Energieabhängigkeit der EU ist für Solana "Anlass zur Besorgnis". Im Gegensatz zur Bush-Regierung macht die EU aber offiziell ihren Wohlstand von einer funktionierenden multilateralen Weltordnung abhängig und betont die zivilen Aspekte der Sicherheitspolitik. Die Auswirkungen der globalen Lage auf die europäische Politik sieht Solana wie folgt: Sie muss aktiver sein. Ausgeführt wird dabei, dass die EU in der Lage sein sollte, "mehrere Operationen gleichzeitig durchführen" zu können. Die "Einrichtung einer Rüstungsagentur (...) führen uns in die richtige Richtung." Es sei eine "Strategie-Kultur" (sic!) zu entwickeln, ein "nötig robustes Eingreifen" zu begünstigen. Neben der Kohärenz ist noch die Handlungsfähigkeit gefragt. Es "müssen die Mittel für die Verteidigung aufgestockt und effektiver genutzt werden". Das ist eine der wichtigsten Botschaften, die auch in der EU-Verfassung Niederschlag fand. Betont wird die besondere Bedeutung der NATO und der transatlantischen Beziehungen: "Im gemeinsamen Handeln können die Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine mächtige Kraft zum Wohl der Welt sein."

2.3. Die EU-Verfassung

Am 6.8.2004 wurde die vorläufig letzte Version des Vertrages für eine Verfassung für Europa der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dem einleitenden Bekenntnis zu Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden, globaler nachhaltiger Entwicklung und gerechtem Handel stehen die konkreten Vereinbarungen der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik gegenüber. Die für die Bundesheerreformkommission relevanten Teile des vorliegenden Verfassungsentwurfes legen als zentralen Punkt Militärinterventionen außerhalb der Union fest und setzten dabei auf die "Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen" (I-41.1). Diese Interventionspolitik "berührt nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten", wobei dezidiert jene Staaten angesprochen sind, "die ihre gemeinsame Verteidigung in der Nordatlantikvertrags-Organsation verwirklicht sehen". Die Interpretation dieses Artikels I-41-2 lässt damit auch den besonderen Charakter der Neutralität Österreichs, Irlands, Finnlands, Schwedens und Maltas zu. Der Artikel I-41.3 schreibt gemäß den von der österreichischen Reformkommission, dem EP und der EU-Sicherheitsstrategie ebenso geäußerten Wunsch nach Erhöhung der Rüstungsbudgets als Verpflichtung vor. "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird eine Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) eingerichtet." Im Thessaloniki-Entwurf der Verfassung von Juli 2003 wurde die "Verteidigungsagentur" noch als "Amt für Rüstung" bezeichnet. Innerhalb der Agentur können nach dem Kerneuropaprinzip noch "spezielle Gruppen" gebildet werden, "die gemeinsame Projekte durchführen" (III-311.2). Militärinterventionen nach dem Artikel I-41 werden vom Rat einstimmig erlassen. Nach Artikel I-41.5 kann der Rat eine Gruppe von Staaten zur Durchführung einer Militärintervention nach den Regeln der Artikel III-309 und III-310 beauftragen.

"Im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderung" konnten die EU-Mitgliedstaaten "untereinander festere Verpflichtungen" eingehen und eine "ständige Strukturierte Zusammenarbeit" (SSZ) begründen (I-41.6). Damit begründet die EU in ihrer Verfassung ein Kerneuropa (Wolfgang Schäuble und Karl Lamers oder "Gravitationszentrum" oder "Avantgarde"-Europa nach Joseph Fischer), welches militärisch nicht potente oder unwillige Staaten von einer Militärinterventionspolitik abkoppelt und sie auch aus dem diesbezüglichen Entscheidungsprozess ausschließt (III-312.3), der aber dennoch unter dem Banner der 12 gelben Sterne steht. Die Mitglieder der SSZ werden von Rat aufgelistet (III-312.2). Die Teilnahme ist nach dem Protokoll 23 über die SSZ an den Ausbau der multinationalen Streitkräfte, die Beteiligung an den wichtigsten EU-Rüstungsprogrammen und an die intensivere Tätigkeit in der "Verteidigungs"agentur gebunden. Die Fähigkeiten - bewaffnete Einheiten, die taktisch als Gefechtsverband konzipiert sind - für die SSZ sollen spätestens bis 2007 zur Verfügung zu stellen. Diese sollen innerhalb von 5 bis 30 Tagen im Gefechtsfeld verfügbar sein und für 30 Tage - eine Ausdehnung ist bis auf 120 Tage (durch Rotation) möglich - die Mission aufrechterhalten. Auch mit dem bereits seit Beginn des neuen Millenniums intensiver diskutierten Kerneuropaprinzip haben die politischen Eliten der EU aus dem irischen Nein zu Nizza (das einzige Referendum in der EU) und ihrem allzu engagierten Pochen auf die irische Neutralität ihre praktischen Lehren gezogen: Der EU-Prozess darf nicht ins Stottern geraten. Unwillige Staaten innerhalb der EU sind abzukoppeln und aus den konkreten Projekten auszuschließen.

Im Verfassungsentwurf vom Juli 2003 wurde hinsichtlich der Beistandsverpflichtung (als Wesensmerkmal eines Militärpaktes) noch ein Kerneuropakonzept ("engere Zusammenarbeit im Bereich der gegenseitigen Verteidigung") vorgeschlagen, welches in der Fassung vom August 2004 (I-41.7) auch in seiner Aussage verändert wurde: "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates müssen die anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt." Die Regierung äußerte sich bereits im Regierungsübereinkommen und die Spitzen der österreichischen Regierung Schüssel, Gorbach, Platter und Molterer in der Diskussionsphase des EU-Beistandspaktes positiv zum EU-Militärbeistand (Die Presse 2003).

Das EU-Parlament als einzige vom Volk gewählte Institution wird dabei "regelmäßig gehört" (I-41.8). Die nach den Terroranschlägen vom März 2004 in Madrid vorgezogene "Solidaritätsklausel" (I-43) sieht vor, dass die "alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel" mobilisiert, um "terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden" (also auch präventiv). Aus der Erklärung des Artikel I-43 und III-329 geht hervor, dass keine der erwähnten Bestimmungen darauf abzielt, "das Recht eines anderen Mitgliedstaats zu beeinträchtigen, die geeignetesten Mittel zur Erfüllung seiner Verpflichtungen zur Solidarität gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu wählen." Der Artikel I-44 regelt gemäß dem Kerneuropaprinzip die "verstärkte Zusammenarbeit" um "die Verwirklichung der Ziele der Union zu fördern, ihre Interessen zu schützen und ihren Integrationsprozess zu stärken." An der Zusammenarbeit muss mindestens ein Drittel der Mitgliedstaaten beteiligt sein und wird vom Rat als "letztes Mittel" zur Verwirklichung der EU-Ziele erlassen (I-44.2). Die Tragweite der Verfassung und nicht zuletzt die öffentliche Debatte in allen Mitgliedstaaten der EU machen Volksentscheide zu einer politischen Notwendigkeit, wenn sich die EU nicht noch weiter von den BürgerInnen entfernen will und ihre Tagungsorte zum Schutz vor Protesten nicht weiter zu Festungen verwandeln will.

In der Verfassung sucht man vergeblich nach einem Verbot von Massenvernichtungswaffen. Die von Großbritannien und Frankreich eingegangene Verpflichtung zur atomaren Abrüstung (Nonproliferation Teaty) wird in der Verfassung nicht festgeschrieben. Wenn sich die EU sehr allgemein für "Frieden" ausspricht wäre auch ein Verfassungsartikel zur Ächtung des Krieges und alternative präzise Artikel für Maßnahmen zur zivilen Lösung von Konflikten nötig.

2.4. Die österreichische Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin

Parallel zu den EU-Entwicklungen wurde in Österreich die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin mit der dünnen Stimmenmehrheit von ÖVP und FPÖ umgebaut. Der Grundsatz von der Option auf militärische "Zwangsmaßnahmen" nimmt eine zentrale Stellung im "Analyseteil" (Expertenentwurf vom 23.1.2001) ein. Friedenspolitisch "gute Dienste" sind in einer "Solidargemeinschaft" - damit ist die militarisierte EU gemeint - nicht mehr gefragt, so die von der ÖVP-FPÖ-Regierung eingesetzte ExpertInnengruppe. Ablehnende Stellungnahmen gibt es gegen die Neutralitätspolitik: sie widerspreche dem "Gerechtigkeitsgebot". Die UNO und vor allem die OSZE werden teils vollkommen marginalisiert, an den sicherheitspolitischen Rand gedrängt oder überhaupt nicht mehr erwähnt. Gespielt wird mit diffusen Angst- und Bedrohungsbildern (totalitäre Ideologien und fundamentalistische Religionen, organisierte Kriminalität, Umweltgefahren, Bevölkerungs- und Migrationsdruck, Energie- und Ressourcenprobleme und Ernährungsprobleme) und es wird versucht, durch diese gänzlich nichtmilitärischen Bedrohungen eine Legitimation für militärische "Konfliktlösung" und Interventionismus zu suggerieren. Neben anderen Gefahren- und Risikopotenzialen sieht die ExpertInnengruppe der Bundesregierung die Verfügbarkeit von ballistischen Raketen und Marschflugkörpern, subkonventionelle Gefahren und subversive terroristische Angriffe für Österreich (sic!) als Problem. Insgesamt hat sich das Bundesheer in den 90er Jahren von einer "Friedensarmee" zu einer "Einsatzarmee" gewandelt, so die Doktrin. Die Qualität der Einsätze wandelte sich "vom traditionellen Einsatz leichtbewaffneter Blauhelme unter UN-Flagge vor allem in Nahen Osten (Golan, Zypern) zu robusteren, schwerer bewaffneten und umfassender mandatierten NATO-geführten Peace-Enforcement-Einsätzen (...), die eine Friedensdurchsetzung notfalls mit militärischen Gewaltmitteln einschließen." Im zweiten Teil der Sicherheitsdoktrin - den "Empfehlungen" - wurden der nationale Sicherheitsrat, europäischer nachrichtendienstlicher Austausch, sicherheitspolitische Forschung oder die Sicherstellung lebensnotwendiger Ressourcen wie Energie und Rohstoffe festgeschrieben. Betont wird auch die Mitwirkung Österreichs an Kampfeinsätzen, die auch "aufgrund eines Beschlusses der EU möglich ist". Die Option zum NATO-Beitritt wird im Auge behalten (Entschließungsantrag 7.12.2001). Anders als beim Optionenbericht 1998 - der an der NATO-Beitrittsoption scheiterte - hatte die ÖVP zur Sicherstellung für die Beschlussfassung ihren Koalitionspartner FPÖ für die NATO-Option in der österreichischen Doktrin gewonnen, wenngleich beide Parteien den Beitritt zur NATO aufgrund der Ablehnung der Bevölkerung kaum öffentlich thematisieren. Beim Studium der österreichischen Sicherheitsstrategie ist vor allem die Frage nach dem Sicherheitsverständnis zu stellen. Ist Sicherheit gegenüber bestimmten Akteuren oder mit anderen Akteuren zu erreichen?

3. Orientierungen der Bundesheerreformkommission 2004

Die Vorgaben der durch die Bundesregierung auf EU-Ebene eingegangenen militärischen Verpflichtungen sind eine umfassende Aufgabe für das österreichische Heer: Vorbereitung auf Kerneuropa, Bereitstellung von "battle groups" für die EU, mitunter militärische Solidarität für jene EU-Mitglieder, die durch ihre Außenpolitik ins Visier von TerroristInnen geraten, robustes Eingreifen in Kampfeinsätzen, Beitrag zur Rüstungsagentur, verfassungsmäßige Aufrüstungsverpflichtung etc.

Der 190 Seiten starke Bericht der Kommission umfasst Positionspapiere, Empfehlungen sowie Analysen und Erkenntnisse zu den Bereichen Verteidigungspolitik, Streitkräfteentwicklung, zu Bundesheer und Gesellschaft sowie zu CIMIC (zivil-militärische Zusammenarbeit) und Alltag im Bundesheer.

3.1. Bedrohungsbild für Österreich

Die Reformkommission geht in ihren Positionspapieren davon aus, dass Österreich auf voraussehbare Zukunft von keinen konventionellen militärischen Bedrohungen ausgehen kann (Punkt 2.1.2. im Bericht der Kommission) und die neuen Gefahren im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft und der EU bewältigt werden (2.1.3.). Daraus wird abgeleitet, dass das ÖBH "seine internationalen Aufgaben (...) mit den Streitkräften der EU und den Partnerländern (PfF) unter Zugrundelegung der Zielvorstellungen der EU, zum wesentlichen Faktor der Entwicklung seiner Kapazitäten zu machen" (2.2.1.).

Der Terrorismus nimmt als Bedrohung im Papier der Reformkommission einen zentralen Stellenwert ein. Damit folgt die Kommission einem Trend, der verstärkt seit dem 11.9.2001 in der EU und der Sicherheitsdoktrin Österreichs als Bedrohungsgrundlage und Legitimation für militärisches Vorgehen bzw. das Militär im Allgemeinen gebraucht wird. Polizeilichen und politischen Maßnahmen gegen den Terrorismus werden angesichts der stark betonten militärischen Seite an Bedeutung genommen.

Als Faktor für die Bedrohungs- und Risikoanalyse der Streitkräfte wird als erster Punkt ein völlig variabler und frei - je nach politischen Gegebenheiten - interpretierbarer Bedrohungsbegriff als Grundlage herangezogen: Es sind "(...) jene Gefährdungen als Maßstab heranzuziehen, denen Kontingente, die an friedensunterstützenden Einsätzen im Ausland teilnehmen, auf Grund ihrer Aufgaben ausgesetzt sind." (Kapitel 3.1.3.). Für militärische Einsätze muss es - was bei den von den USA erklärten "permanenten Krieg gegen den Terror" in Afghanistan und Irak nicht der Fall war - ein ganz klar definiertes Mandat geben, eine klare Ausstiegsvariante, klare demokratische Regeln und ehrliche Öffentlichkeitsarbeit.

Das Papier der Reformkommission sieht - wie bereits die Österreichische Sicherheitsdoktrin - vor, einen verbesserten nachrichtendienstlichen Austausch zu forcieren. Statt demokratiepolitisch höchst umstrittene Maßnahmen (z.B. Militärbefugnisgesetz, Informationssicherungsgesetz) zu setzen, wären vorhandene Möglichkeiten gemeinsam innerhalb der EU zu nützen. Dazu zählt der EU-Haftbefehl oder das Vorgehen gegen Geldwäsche. In diesen Bereichen gibt es auch von der Seite Österreichs großen Nachholbedarf.

3.2. Militärinterventionismus

Für Auslandsaufgaben hält die Reformkommission den Einsatz von bis zu 2 Bataillonen auch in getrennten Einsatzräumen - wie auch die EU-Sicherheitsstrategie vorsieht - für erforderlich. Für klassische Peacekeeping-Einsätze sollten auch zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung gehalten werden (2.2.2.). Kaderpersonal soll für derartige Einsätze künftig verpflichtet werden (2.2.3.) - ein Vorstoß der noch 1999 für heftige Reaktionen sorgte (Salzburger Nachrichten 1999 b: 1). Für die Erbringung der neuen Aufgaben des Heeres wird ein Streitkräfteumfang von 50.000 Personen - statt bisher 110.000 Personen - für erforderlich erachtet (3.2.) und der Grundwehrdienst soll frühesten 2007 auf 6 Monate angepasst werden (3.2.4.). Eine quanitative Verschlankung des Heeres ist in Zeiten nicht vorhandener militärischer Bedrohungen für Österreich erforderlich und wünschenswert. Allerdings muss in der Streitkräfteentwicklung mitberücksichtigt werden, dass es neben der quantitativen Abrüstung der europäischen Heere zu einer qualitativen Aufrüstung für militärischen Interventionismus kommt. Für diesen Zweck brauchbare Berufheerkomponenten werden selbstverständlich nicht verkleinert, sondern weiter professionalisiert. Für künftige EU-Einsätze werden hochmobile und gut ausbildete SoldatInnen gebraucht. GrundwehrdienerInnen haben bei Auslandsinterventionen keine Funktion. Innerhalb der EU verfügen Belgien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Niederlande und Spanien über ein Berufsheer (Wiener Zeitung 2003: 6). Italien, Tschechien, Ungarn und Slowenien steigen in den nächsten Jahren auf ein Berufsheer um. Bereits 1997 hat der Salzburger Völkerrechtler Michael Geistlinger in einem Gutachten den "Dienst im österreichischen Bundesheer nicht als neutralitätskonform" und als Widerspruch zu geltenden Verfassungsgesetzen bezeichnet (Geistlinger 1997).

Die Reformkommission empfiehlt, dass Österreich die Voraussetzungen für die militärische Beteiligung am Krisenmanagement im Ausland schaffen soll. Es wird die "angemessene Mitwirkung Österreich an allen durch die EU eingerichteten oder genutzten permanenten oder anlassbezogenen gebildeten militärischen Führungsstrukturen" (3.1.2.1.) empfohlen. Nach den politischen Willensbekundungen der Bundesregierung stellt sich auch das Bundesheer u.a. auf Kampfeinsätze im Rahmen der Kerneuropastrategie einschließlich der EU-"battle groups" ein. Die enge Zusammenarbeit mit der NATO im Rahmen der PfP hat für die Reformkommission eine besondere Bedeutung. Unbestritten ist für die Reformkommission die Teilnahme am gesamten Spektrum der Petersberger Aufgaben. "Während geplant ist, den umfassenden Streitkräfteansatz des Helsinki Force Catalogue weiterzuführen, wird zusätzlich die Bildung rasch verfügbarer, professioneller und hoch effizienter Einheiten (battle groups) für Aufgaben des oberen Einsatzspektrums der Petersberg-Aufgaben forciert" (4.1.1.). Im oberen Einsatzspektrum von Petersberg finden sich auch Kampfeinsätze, die auf Basis einer EU-Selbstmandatierung ohne UNO-Mandat juristisch nur durch den Verfassungsartikel 23f keine Unvereinbarkeit mit der immerwährenden Neutralität aufwerfen.

Die Beurteilungskriterien für die EU-"battle groups" orientieren sich stark an den Anforderungen der NATO Response Force (NRF) und der Prague Capabilities Commitment (PCC) und sind höher als die Kriterien für die bisherigen Beiträge zur 60.000-Mann-Interventionstruppe der EU. Die Entscheidung, ob ein Staat an den EU-"battle groups" teilnimmt, wird sein künftiges Gewicht in der ESVP bestimmen (4.1.1.). Die Reformkommission konstatiert, dass das sicherheitspolitische Umfeld Österreichs durch ein enges Zusammenwirken von EU und NATO geprägt sein wird. Regionale Bindungen von europäischen Streitkräften sollen zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten genützt werden (vgl. dazu Hauser 2003).

Ein Ziel der Reformkommission ist auch die Schaffung von Interventionskräften in unterschiedlichen Bereitschaftskategorien. Für Kapazitäten, die innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit sein müssen, ist eine Verweildauer im Einsatzraum von zumindest 1 Jahr vorgesehen, wobei der Einsatz alle 3 bis 4 Jahre wiederholbar sein muss. Bis zu 2 Bataillone sollen zeitlich unbegrenzt sowie auch in getrennten Einsätzräumen (parallel 2 oder mehr Militärinterventionen) tätig sein (3.2.1). Die EU unterscheidet Readiness-Kategorien von A bis D. Kategorie A (Spezialkräfte) sind in weniger als 5 Tagen im Einsatzraum verfügbar, während Kategorie D-SoldatInnen (Kampf- und Kampfunterstützung) in weniger als 30 Tagen im Kampfgebiet verfügbar sein müssen (4.2.1.).

In den Analysen und Erkenntnissen stellt die Reformkommission im harmonischen Gleichklang mit EU-Dokumenten fest: "In der Entwicklung der Fähigkeiten ist eine Verschiebung von der bloßen Koordination nationaler Beiträge zu einer stärkeren Anbindung der nationalen Anstrengungen an die Analyseergebnisse von EU-Einrichtungen zur Kapazitätsplanung und Kapazitätenentwicklung festzustellen" (4.1.1.). Dazu wird die Reformkommission auch präziser: "Einsätze im internationalen Krisenmanagement können die Szenarien Conflict Prevention (CP), Seperation of Parties by Force (SOPF) und Steady State (SS) umfassen (...) Österreich bildet derzeit die Fähigkeit für ein SS-Szenario ab. Die Fähigkeit einen CP- oder SOPF-Einsatz mit entsprechenden homogenen, robust und aneinander eingespielten Truppen zu bewältigen, ist erst zu schaffen" (4.2.1.). Für diese Aufgaben sind die Streitkräfteentwicklungsvorgaben zwischen EU und NATO "mehr oder weniger korrespondierend".

EU-weit werden oder wurden die Streitkräfte umstrukturiert: weniger SoldatInnen und weniger Verteidigungswaffen, stattdessen mehr hochmobile Interventionstruppen und mehr Offensivkapazitäten. Ein gegenwärtig visionär anmutendes Ziel ist eine EU, von der keine militärische Bedrohung oder Militärintervention ausgehen kann. Es stellt sich in Bezug auf die EU nicht die Frage der Sicherheit für Europa, sondern der Sicherheit vor Europa (Michael Berndt). Der deutsche Friedensforscher und nunmehrige EU-Abgeordnete Tobias Pflüger zeigt am deutschen Beispiel stellvertretend auf: "Dieser Aufbau einer EU-Truppe passt zur Entwicklung der Bundeswehr mit einer quantitativen Abrüstung auf höchstens 280.000 Mann und Frau und einer qualitativen Aufrüstung mit der Verdreifachung der Einsatzkräfte (früher Krisenreaktionskräfte) von 53.600 auf 150.000. Die Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr wird damit enorm gesteigert" (Haydt, Pflüger, Wagner 2003: 71).

Hinsichtlich des Mandates von Auslandseinsätzen bleibt auch der Bericht der Reformkommission - wie seit dem EU-Gipfel von Köln 1999 - bedenklich unpräzise. Maßnahmen im Rahmen der ESVP erfolgen "im Einklang mit der Satzung der Vereinten Nationen", sprechen aber ein erforderliches Mandat des UNO-Sicherheitsrates nicht an (3.1.1). Diesbezüglich auffällig ist in 3.1.2.1. die politisch scheinbar gleichwertige Erwähnung der militärischen Beteiligung an "UN- und OSZE-mandatierten Einsätzen und an den zunehmend anspruchsvoller werdenden Einsätzen des EU-Krisenmanagements". Hinsichtlich des UN-Mandats für Militärinterventionen außerhalb des Bündnisgebietes ist anzumerken, dass Österreich im Rahmen der EU den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 als "notwendig und gerechtfertigt" erklärt hat (Salzburger Nachrichten 1999 a: 2).

Ein großer Sprung in Richtung ursachenorientiertem Handeln ist ein Teil der Analyse über die Ursachen von Terrorismus von Seiten der Reformkommission. Die Konsequenz aus der Erkenntnis bleibt jedoch leider im Militärischen verhaftet: Die Reformkommission konstatiert korrekt einen Paradigmenwechsel von der Gebietsverteidigung zum internationalen Krisenmanagement und ortet dadurch subkonventionelle Gefährdungen für die Krisenreaktionskräfte. "Mit der Übernahme von Führungsverantwortung in internationalen Krisenreaktionseinsätzen durch die EU und der möglichen Erweiterung des bisherigen Petersberg-Spektrums könnte sich für Europa überdies ein höherer Grad an subkonventioneller Gefährdung ergeben (...) Zudem könnte sich die Motivlage für terroristische Anschläge im Falle einer Beteiligung Österreichs an Krisenreaktionsoperationen der EU verändern" (4.1.2). Im Gegensatz zu der anfänglich propagandistisch in manchen Medien festgestellten Irrationalität des Terrorismus nach dem 11.9.2001 bietet die Reformkommission hier eine in den Ansätzen taugliche Analyse an. Dass eine Befriedung wider Willen, interessengeleiteter Militärinterventionismus oder die Unterstützung von völkerrechtswidrigen Aggressionskriegen zu Terror führt, gehört spätestens seit den zu verurteilenden Terroranschlägen am 11. März 2004 in Madrid zum sicherheitspolitischen Alphabet. Die Konsequenz für die Reformkommission ist jedoch leider nicht das Überdenken eines fragwürdigen Militärinterventionismus, sondern es wird daraus noch dazu eine Legitimität des Heeres nach innen konstruiert: "Österreich wird im eigenen Interesse, aber auch zur Erfüllung der internationalen Solidaritätspflicht einen militärischen Beitrag bei EU-Operationen einzubringen haben (...) Zur Abwehr subkonventioneller Gefährdungen auf dem eigenen Territorium hat das Bundesheer aufgrund seiner Befähigung zur gesamtheitlichen Erfassung und Beurteilung von Bedrohung, aber auch seiner personellen und materiellen Fähigkeiten einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der staatlichen Souveränität zu leisten" (4.1.2.).

Als Einsatzräume für EU-Militärinterventionen schält die Reformkommission "neben dem Balkan vor allem die afrikanische Gegenküste und mittelfristig auch Westafrika bzw. das nordöstliche Zentral- und Ostafrika (‚erweiterte Peripherie')" heraus (4.1.2.). Hinsichtlich der Einsatzbereiche präzisierte die Österreichische Militärische Zeitschrift im Jahre 2001: "Als denkbare Einsatzbereiche wurden Nordafrika, Zentralafrika, Osteuropa, der Kaukasus und der Mittlere Osten angesprochen" (Korkisch 2001: 364). Der deutsche Wehrtechnische Report gibt in Bezug auf Deutschland folgende Krisenräume an: der Balkan, Randzonen und Nachbarn Russlands, der Kaukasus, die NATO-Grenze Osttürkei, asiatische Nachfolgerepubliken ("Durch die Interessenlage beim Öl könnte auch China tangiert sein") und weitere Krisenzonen wie der Nahe Osten, die Golf-Region und der nordafrikanische Gürtel (Neuber 2000: 5). Der Genfer Journalist Andreas Zumach stellt angesichts der Einsatzszenarien der EU-Interventionstruppe zentrale Fragen: "Gegen welche Bedrohungen und Gefahren will sich die EU mit ihren neuzuschaffenden militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten wappnen? Geht es um ähnliche Konfliktszenarien, wie sie in den letzten neun Jahren im ehemaligen Jugoslawien stattgefunden haben? Wird ein militärisches Wiedererstarken Russlands befürchtet? Oder geht es darum, in 20, 30 Jahren mittels einer EU-Eingreiftruppe die europäischen Interessen an den Öl- und Gasvorräten im Kaukasus und am Kaspischen Meer zu sichern?" (Zumach 2001: 35). Zu möglichen künftigen sicherheitspolitischen Instabilitäten bemerkt Zumach: "Die Militarisierung der EU wird in einigen Jahren zu neuen Bedrohungswahrnehmungen zumindest in Moskau führen, möglicherweise auch anderswo" (Zumach 2001: 36). Neben den Einsatzräumen bemerkt das Verteidigungsministerium zu den Einsatzmotiven im Jahre 2001 auf seiner Homepage: "Für Österreich ist die Teilnahme an EU-Einsätzen mit großem Nutzen verbunden (...) Als wesentliche Zielsetzung der europäischen Sicherheitspolitik nennt Prof. DDr. Erich Reiter, Beauftragter für Strategische Studien des BMLV: (...) Kooperation mit den USA und mit Japan zum globalen Management von Konflikten und zwecks Zugangs zu strategischen Rohstoffen, der Aufrechterhaltung freien Handels und der Schiffahrt" (Bundesministerium für Landesverteidigung 2001).

Die in der ersten Jahreshälfte 2004 in die öffentliche ExpertInnendiskussion geratenen EU-"battle groups" sind Kampfeinheiten, die innerhalb von 15 Tagen im Kampffeld stationierbar sein sollen und global einsetzbar sind. Sie sollen die 60.000 SoldatInnen starke EU-Interventionstruppe nicht ersetzen, sondern für spezielle Operationen ergänzen. Das Österreichische Bundesheer strebt eine Teilnahme an diesen multinationalen Verbänden an, wenngleich nicht alle EU-Mitgliedstaaten Kontingente stellen werden. Die Einsatzdauer beträgt 30 Tage und kann mit Rotation auf 120 Tage erweitert werden. Einsatzgebiete der EU-"battle groups" sind u.a. Wüsten, Hochgebirge, Dschungel, Städte und andere Umgebungen. Informell haben die EU-"Verteidigungs"minister den Plan zur Schaffung von 6 oder 7 dieser Gruppen bis im Jahr 2007 unterstützt (Beatty 2004). Andere Erwartungen gehen von bis zu 10 dieser -"battle groups" aus (ISIS 2003). Die Initiative für diese battle groups kam von Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Neben einem finanziellen Beitrag bedeutet der mögliche Einsatz dieser Kampftruppe ohne UN-Mandat (der nicht als zwingend gilt; battle groups sollen "unter anderem für Einsätze der Vereinten Nationen zur Verfügung stehen", BMVG 2004 a) politische Probleme bezüglich der Vereinbarkeit aktiver Neutralitäts- und Friedenspolitik. Die EU-"battle groups" sind mitunter als ein Übergang einer Phase quantitativer militärischer Anstrengungen (60.000 Mann Interventionstruppe, verfassungsmäßige Aufrüstungsverpflichtung) zur Phase qualitativer Aufrüstung im Sinne des Headline Goals 2010. Interoperabiltät, Verlegefähigkeit und Durchhaltefähigkeit werden in der EU als "Dreh- und Angelpunkt des Streitkräfte-Planziels 2010" angesehen (EU 2004: 14). Das EU-Planziel 2010 sieht auch einen Zeitplan vor, der folgende Etappen enthält: Im Laufe des Jahres 2004 soll die "Verteidigungs"agentur errichtet werden, bis zum Jahre 2005 soll "die Umsetzung einer gemeinsamen Koordination des strategischen Transports der EU", die im Jahre 2010 in ein voll leistungsfähiges EU-Luftraumkommando münden soll. Bis 2007 sollen die hochmobilen Gefechtsverbände finalisiert sein, 2008 soll ein EU-Flugzeugträger mit den dazu gehörigen trägergestützten Flugzeugen und Begleitschiffen verfügbar sein und im Jahr 2010 die weltraumgestützten Kommandoausrüstungen (EU 2004: 15). Die Bezeichnungen "Verteidigung" oder defensive Ausrichtung der Truppen kann hier nur noch als Rhetorisch betrachtet werden. "Verteidigt" werden hier politische und ökonomische EU-Interessen. Bis 2010 sollen nicht nur die "battle groups" interventionsfähig sein, sondern die EU wird über Flugzeugträger und Weltraumkapazitäten (u.a. Galileo) für Militärinterventionen in aller Welt verfügen.

Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat erklärt, dass der Verteidigungsfall der Einsatzgrund mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit ist ("Viel wahrscheinlicher ist, dass auf dem Territorium anderer Länder deutsche Sicherheit verteidigt werden muss."). Sein Nachfolger Peter Struck erklärte anlässlich einer Pressekonferenz: "Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt" (Struck, 5.12.2002). Statt auf klassische Gebietsverteidigung bereiten sich die Armeen der EU-Staaten Schritt für Schritt auf künftige Militärinterventionen außerhalb des EU-Territoriums vor. "Die EU muss endlich begreifen, dass sie eine globale Macht ist und nicht nur im Hinterhof agieren kann" (Europäische Sicherheit 11/1999.), führte General Klaus Naumann - Chef des NATO-Militärausschusses während des NATO-Angriffs auf Jugoslawien - bereits Ende 1999 aus.

Zur Frage der Entwicklung des Charakters der Außenpolitik der EU hat der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, General Gustav Hägglund, treffend ausgeführt: "Man hat gesagt, die USA werden den Krieg führen und die EU wird für den Frieden zuständig sein. (...) Das war so und bezieht sich auf die Vergangenheit, aber das stimmt für die Zukunft nicht" (Spinant 2002). Robert Cooper, führend im MitarbeiterInnenstab von Javier Solana, meint: "Illusionen geben sich jene hin, die von Deutschland oder Europa als einer ‚zivilen Macht' sprechen" (Cooper 2003: 35).

3.3. Rüstung

Die Budgetstruktur des Bundesheers soll nach Vorstellungen der Kommission künftig so gestaltet werden, dass die Anteile für Investitionen mindestens ein Drittel der Gesamtausgaben erreichen (2.2.11.). Damit das Bundesheer entsprechend planen kann, wird in den Empfehlungen der Reformkommission die Bundesregierung angehalten, im Verfassungskonvent für eine entsprechende Grundlage zu sorgen. In der Transformationsphase sind ebenfalls Überschreitungen des Jahresbudgets vorzusehen (3.2.6). Beschaffungsvorhaben, die nicht den künftigen Einsatzaufgaben (Auslandsinterventionen) entsprechen, sind "unverzüglich zu stoppen" (3.2.5). Im Abschnitt der Analysen und Erkenntnisse der Reformkommission wird von einem laufenden jährlichen Verteidigungsetat zwischen 1,11 und 1,18 % des BIP ausgegangen (derzeit rund 0,8 %) (4.2.4.4). Die Anstoßreform verlange ebenfalls Finanzmittel und die Erlöse aus dem Verkauf von Liegenschaften und Vermögenswerten soll zur Finanzierung von Anschaffungen zur Verfügung stehen. Bereits heute werden einige Aufwendungen nicht aus dem Budget des "Verteidigungs"ressorts bestritten (z.B. Kosovo-Einsatz des Bundesheeres oder der ab 2007 zu bezahlende Eurofighter).

Sucht man in der EU-Verfassung und Sicherheitsstrategie vergebens kritische Worte über die EU-Atomwaffenmächte, so findet die Reformkommission gegenüber den EU-Staaten Großbritannien und Frankreich äußerst begrüßenswerte und deutliche Worte. Die Kommission ist der Auffassung, dass die ESVP "jeden Einsatz und das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen ausschließt" (3.1.2.1.).

Die Empfehlungen des Präsidiums der Reformkommission sehen auch die "permanente Luftraumüberwachung" vor. Der größte Rüstungskauf der Geschichte der 2. Republik - die Anschaffung des Kampfflugzeuges Eurofighter Typhoon - wird weiter die politische Debatte prägen. Der Eurofighter ist weniger Instrument einer defensiven Luftraumüberwachung, sondern passt in das Konzept eines offensiven und globalen militärischen Interventionismus. Der ehemalige Verteidigungsminister Scheibner hat bereits im Jahr 2001 der EU-Interventionstruppe 6 österreichische Draken-Nachfolger angeboten (Mayer 2001: 5). Dieser rüstungspolitische Beitrag ist durchaus als willkommener Beginn im Rahmen der EU-Interventionstruppe oder im sicherheitspolitischen Kerneuropa zu werten, zumal der Presse- und Informationsdienst des österreichischen Verteidigungsministeriums 2002 festgestellt hat: "Der Eurofighter ist mit voller Interoperabilität (...) am besten für internationale Einsätze im europäischen Verbund geeignet."

Für den Verkauf von Rüstungsgütern bzw. deren Transport durch österreichisches Hoheitsgebiet wurden in den letzten Jahren das Kriegsmaterialiengesetz, das Truppenaufenthaltsgesetz und der § 320 des Strafgesetzbuches (Neutralitätsgefährdung) bereits im Sinne von EU-Einsätzen entsprechend verändert. Neutralitätsvorbehalte wurden aus dem Gesetz gestrichen und die UNO wurde zugunsten der EU abgewertet. Weitere "rechtliche Anpassungen" (3.4.) werden von der Reformkommission angestrebt, die der europäischen gemeinsamen Rüstungsindustrie zum Durchbruch verhelfen soll. Gemeinsam mit der Bundeswirtschaftskammer hat man das Kriegsmaterialiengesetz und die Dual-use-Verordnung ins Visier genommen: "Denn sonst würde Österreich als unsicherer Partner gar nicht ernst genommen, und der Zugang zu technologischen Entwicklungen bliebe uns verschlossen", so Rudolf Lohberger von der BWK (Dengg 2004: 40). Wie auch in der Bundesheerreformkommission beschlossen, äußert sich auch Verteidigungsminister Platter (ÖVP) zur größeren Rolle des ÖBH bei der Auftragsvergabe: "Wir streben die verstärkte Einbindung in die Forschungsinstitutionen und das Forschungsmanagement Österreichs an" (Dengg 2004: 40). Die neue österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) "trägt den neuen Gegebenheiten (...) bereits Rechnung" und widmet sich dort u.a. dem EU-Satellitenprojekt Galileo. Auch auf EU-Ebene ist die Weltraumforschung mit Unionsgeldern auf der Prioritätenliste weit oben zu finden (Dengg 2004: 44). Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer gründen zur Liberalisierung der Kriegsmaterialiengesetze eine eigene Plattform, "denn", so ein aktiver Tiroler Unternehmer "wir wollen uns nicht auf die Politik verlassen, sondern dieses Thema von Anfang an selbst in die Hand nehmen" (Dengg 2004: 44). Die Bundesregierung hat prompt positiv reagiert (Nowak 2004). Schon 1993 wusste der Chef von Daimler-Benz Edzard Reuter, heute ist Daimler-Chrysler Miteigentümer der EADS, die den Eurofighter produziert: "Die Weltmärkte werden neu aufgeteilt, und wir wollen dabei sein" (ISW 1993).

Die von Österreich angekauften "Black Hawk"-Hubschrauber entsprechen den Aufgaben von künftigen EU-Militärinterventionen und sollen die Teilnahme von Österreich garantieren. "Die Grundlage der Rüstungspolitik ist der militärische Bedarf. Wir rüsten ja nicht für den Katastrophenfall", so der Leiter der Luftabteilung des Bundesheers Erich Wolf schon 1999 (Truppendienst 1999: 250). Bereits 1995 - im Jahr des EU-Beitritts - veröffentlichte die Wirtschaftszeitschrift "Trend" einen Aufrüstungsplan für das Bundesheer mit Anschaffungen in der Größenordnung von 100 Milliarden Schilling (Fahmy 1995: 45). Im Jahre 2001 hat das Bundesheer einen Investitionsrückstand von rund 10,9 Mrd. Euro (150 Mrd. öS) festgestellt (Die Presse 2001), was der Vizepräsident der Offiziersgesellschaft kurz zuvor ebenfalls kolportieren ließ (Theuretsbacher 2000: 13). Das Militärbudget müsse mindestens verdoppelt (auf rund 1,5 %), aber besser auf 2 % des BIP erhöht werden, ließ man die Bevölkerung über die Presse wissen (Die Presse 2001). In Deutschland wird über Aufrüstungskosten für die nächsten 20 Jahre in der Größenordnung von rund 150 Mrd. Euro (2100 Milliarden Schilling) spekuliert (Henken 2003: 9, 16; Unterseher 2001: 1468). Die Friedenswerkstatt Linz hat für ausgewählte EU-Rüstungsprojekte recherchiert, die ein Gesamtvolumen von 600 Milliarden Euro ausmachen (Friedenswerkstatt Linz 2003: 21 - 32). Im Geschäftsbericht 2001 der EADS wird mit Unterstützung einer NATO-Graphik bis zum Jahr 2010 prognostiziert, dass die Rüstungsausgaben von Europa und den USA um rund 50 % über jenen der Hochzeit des Kalten Krieges liegen werden (EADS 2001: 15). Die Aufrüstungswünsche sind gemessen an den tatsächlichen Bedrohungen völlig unverhältnismäßig.

Die im gegenwärtigen Verfassungsentwurf vorgesehene "Verteidigungsagentur" soll die Rüstungspläne der EU-Mitgliedstaaten harmonisieren. Diese European Defence Agency (EDA) soll helfen, Duplizierungen zu vermeiden, Forschungsaktivitäten zu bündeln und dass Kriegsmaterialien nationaler Armeen vernetzt operationsfähig sind. Die EDA wird vorerst als Netzwerk bestehender Einrichtungen wie der OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération en Matičre d'Armement), der WEAO (Western European Armaments Organisation) sowie der WEAG (Western European Armaments Group) realisiert (BMVG 2004 b).

Die Schaffung einer EU-Rüstungsindustrie und einer EU-Rüstungsagentur wird von der Mehrheit der EU-Abgeordneten bereits sehr mehreren Jahren betrieben. Bis auf die Stimmenthaltung der SP-Abgeordneten Karin Scheele stimmten alle anwesenden österreichischen ParlamentarierInnen im April 2002 für die Schaffung einer Rüstungsagentur und die Zusammenlegung des militärischen Beschaffungswesens. In diesem Zusammenhang äußerte sich das EP "besorgt darüber, dass einige Mitgliedstaaten erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung amerikanischer Rüstungsfirmen tätigen wollten", wodurch sich das rücksichtslose Durchpeitschen des Ankaufs von Kampfflugzeugen des EU-Vorzeigerüstungskonzerns EADS von Seiten der Regierung Schüssel erklären lässt.

4. Bundesheer und öffentliche Meinung

In einer im zeitlichen Umfeld des Irak-Krieges 2003 erarbeiteten Studie des Instituts für Grundlagenforschung meinten 9 % der befragten Menschen in Österreich, das Bundesheer müsse besser ausgestattet werden. Das Meinungsforschungsinstitut OGM erhob Mitte Februar 2003, dass 70 % der Befragten gegen den Kauf von Abfangjägern ist und 3 von 5 Befragten keinen US-Jets Überflugsgenehmigungen erteilen würde. Rund 10 Jahre früher - vor dem Irak-Krieg 1991 - sprach sich ein ähnlich hoher Prozentsatz für eine Erhöhung des Heeresbudgets aus: 14 %. Dreimal so viele sprachen sich für eine Kürzung des Militärbudgets aus. Die Profil-Autoren Barth und Lackner fassen die Studien über die Einstellung der ÖsterreicherInnen zum Heer wie folgt zusammen: "Das Bundesheer für einen überflüssigen Haufen zu halten, es an kurzer Budgetleine zu führen, sein Gerät zu verspotten, dem Wehrdienst durch eine Hintertür namens Zivildienst oder durch ‚Untauglichkeit' zu entschlüpfen - all dem geben sich pazifistisch gesinnte Jungintellektuelle ebenso hin wie Hausmeister aus Ottakring" (Barth, Lackner 2003: 17).

In den späten 80er und frühen 90er Jahren konnte die Bewegung "Österreich ohne Heer" zahlreiche breite und öffentlichkeitswirksame Aktivitäten setzen und sammelte Unterschriften für eine Volksabstimmung zur Abschaffung des Bundesheeres und für eine aktive, gewaltfreie Friedens- und Neutralitätspolitik. (Appell siehe z.B. Arbeiterzeitung 1.9.1990). Auch der Anfang der 90er Jahre platzierte Appell zur "Nichtbefolgung von Militärgesetzen" (Der Standard 1994: 10) wurde öffentlich wahrgenommen.

In einer von der Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) 2003 in Auftrag gegebenen Studie sprachen sich 63 % der Befragten für die Teilnahme Österreich an einer möglichen gemeinsamen Europäischen Armee aus, wobei die Bereitstellung von Sanitätseinheiten (96 %) und Zivilschutzeinheiten (90 %) als zentrale Aufgaben genannt wurden. Nur 46 % wünschen in diesem Zusammenhang, dass Österreich Bodentruppen stellt. Allgemeiner möchten 77 % friedensbewahrende Einsätze (UNO in Zypern und Golan) und nur 17 % friedenserzwingende Aktionen (Kosovo, Afghanistan). Trotz dem hohen Wunsch nach einer gemeinsamen Armee verlangen 69 % die Beibehaltung der Neutralität (ÖGfE 2003). Im Jänner 2004 befragt die ÖGfE erneut zur EU-Militärpolitik. 87 % der Befragten sehen sich gegenüber dem Terrorismus durch ausreichend heeresnachrichtendienstliche Aktivitäten, Polizei und Grenzschutz gewappnet. Nur 13 % würden ausreichend schwere Waffen anschaffen. Während 71 % dem Bundesheer im Ausland nur Mandate zur Sicherung eines Waffenstillstandes geben würde, sind nur 18 % für die Erzwingung eines Waffenstillstandes und 30 % grundsätzlich gegen eine Teilnahme des Bundesheeres an Auslandseinsätzen. 71 % der Befragten glauben nicht, dass sich Österreich von Auslandseinsätzen fernhalten kann, wenn die EU diese beschließt. Die Anwendung von Waffengewalt im Rahmen der EU halten 60 % bei einem Angriff auf ein EU-Mitglied für legitim, 50 % bei der Absicherung von Rohstoffquellen und Transportwegen, 36 % wenn ein Staat Massenvernichtungswaffen produziert und 10 % wenn es in anderen Erdteilen zu Kriegshandlungen kommt. 20 % der Befragten würde in er EU eine "immerwährende Beistandsverpflichtung" bevorzugen, wären 75 % von Fall zu Fall darüber entscheiden würden (ÖGfE 2004).

5. Aufgaben des Österreichischen Bundesheers am Beginn des 21. Jahrhunderts aus friedenspolitischer Sicht

Aus obigen Umfragen ist zu ersehen, dass der Einsatz des Österreichischen Bundesheers im Rahmen eines UNO- oder OSZE-mandatierten Einsatzes für Sanitäts- und Zivilschutzaufgaben als friedensbewahrender Einsatz fast als "nationaler Konsens" zu betrachten ist. Selbst Teile friedenspolitisch tätiger zivilgesellschaftlicher Organisationen können dies als wichtigen Beitrag Österreichs zur Sicherung des Weltfriedens, zur Stärkung der UNO und als neutralitätskonform betrachten und unterstützen. Die Übernahme derartiger peacekeeping-Aufgaben ist für Österreich auch neutralitätskonform und richtig, wenn die Vereinten Nationen eine Mission mandatieren und die Missionserfüllung der EU übertragen. Ein Ausbau dieser Aufgaben wäre aus friedenspolitischer Sicht sinnvoll. Für jeden Staat ist selbstverständlich auch gemäß der Charta der Vereinten Nationen die bewaffnete Landesverteidigung (Verteidigung nicht im Sinne der EU als Interventionismus verstanden) legitim. Sowohl die EU-Sicherheitsstrategie als auch das österreichische Heer geht davon aus, dass diese Aufgabe auf absehbare Zukunft mangels militärischer Bedrohung nicht erfüllt werden muss. Im Sinne einer aktiven Friedenspolitik sind auch auf nachhaltige Friedensstrukturen bauende zivile Einsätze im Rahmen der EU, der UNO oder im nationalen Kontext. Ingesamt bedeutet dies, einer Armee eine strikt defensive Ausrichtung zu geben. Die Mittel für Offensiv- und Interventionsstrukturen sind in supranationale, staatliche und nichtstaatliche zivile Initiativen zur Konfliktbearbeitung umzuleiten. Die gegenwärtigen Prioritäten zwischen Militärischem und Zivilem wären danach umzukehren. Entsprechend der neuen Rolle der Zivilgesellschaft in den internationalen Beziehungen sind deren Konzepte für Friedens-, Gedenk-, Entwicklungs-, Sozial- und traditionellem Zivil-Dienst zu fördern.

Eine derartige Bestandsaufnahme scheint in Zeiten des Engagements gegen den Terror nötiger als je zuvor. Auch die Reformkommission hat erkannt, dass stationierte SoldatInnen im Ausland Ziele von Anschlägen werden. Die terroristischen Anschläge der letzten Jahre sind illegitim und zu verurteilen. Die in der Öffentlichkeit breiter diskutierten Anschläge sind jedoch nicht irrational. Genährt werden diese Anschläge mitunter durch die Folgen einer imperialen Außen-, Wirtschafts- und Militärpolitik. Dazu gehört nicht nur die Unterstützung von US-Kriegen gegen arabische Länder oder "Schurkenstaaten", sondern auch die G7-dominierte und vielfach armutsfördernde Politik des IWF, humanitäre Interventionen bzw. Befriedungen anderer Staaten wider Willen oder ökonomisch geleiteter Militärinterventionismus. Der Kampf gegen Terrorismus ist eine Aufgabe von Polizei und Justiz. Die bestehenden zivilen Regelungen der EU sind effizienter zu nützen, als das Engagement gegen den Terror zu militarisieren. Armeen sind nicht für Aufgaben zu legitimieren, die sie primär nicht erfüllen können und sollen. In einer Studie über die Streitkräfte Österreich 2005 stellt ein Forscherteam rund um den Militärsoziologen Lutz Unterseher fest: "Generell ist davon abzuraten, die Streitkräfte verstärkt auf die Wahrnehmung von Sekundäraufgaben hin zu orientieren. Und zwar nicht nur wegen der sich damit verschärft stellenden Effizienzproblematik (Streitkräfte, die alles können wollen, sind eine Absage an kostensparende Arbeitsteilung), sondern auch weil sich damit diffuse Strukturgebilde ergeben würden, deren wirksame demokratische Kontrolle von der Sache her erschwert wäre" (Bebermeyer u.a. 1997: 16).

Diesen groben Linien zu folgen, würde die Änderung zahlreicher Dokumente und juristischer Rahmenbedingungen erfordern. Dazu gehört beispielsweise die Änderung des Artikel 23 f der österreichischen Verfassung, die Abbestellung des Kampfflugzeuges Eurofighter oder die Demokratisierung der Sicherheitspolitik (z.B. Militärbefugnisgesetz). Wenn Krieg kein Mittel in den internationalen Beziehungen sein soll, so ist die gesamte Gesellschaft an der Mitarbeit für die Stärkung der zivilen Mittel und der wachsamen Demokratie gefordert.

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  • Unterseher Lutz (2001): Die Mär von der unterfinanzierten Bundeswehr, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2001.
  • Wiener Zeitung (2003): Wehrpflicht im Europavergleich, 6.3.2003.
  • Zumach Andreas (2003): EUropa auf dem Weg zur Militärmacht. Alter Wein in neuen Schleuchen, in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.): Europa Macht Frieden. Die Rolle Österreichs, Agenda Verlag, Münster: Seite 123 - 129.

* Dr. Thomas Roithner, Politikwissenschaftler, Mitarbeiter im Österreichischen Studienzentrum für Friedens- und Konfliktlösung (ÖSFK), Stadtschlaining und Wien


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