Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vom Kloster in die Schubhaft

Österreich deportiert Asylsuchende nach Pakistan

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Als zehn pakistanische Flüchtlinge am Sonntag ihrer polizeilichen Meldepflicht nachkommen wollten, klickten bei acht von ihnen die Handschellen. Ihre sofortige Überstellung in ein Abschiebelager löste Proteste aus. Die Abschiebung konnte damit aber nicht verhindert werden.

Die Männer aus Pakistan hatten vor acht Monaten zusammen mit 50 weiteren Flüchtlingen für Aufsehen gesorgt. Am 24. November 2012 zogen sie, unterstützt von Menschenrechtsaktivisten, aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen in einem Protestmarsch ins Wiener Zentrum, wo eine kleine Zeltstadt aufgebaut wurde, um auf die untragbaren Zustände für Asylsuchende aufmerksam zu machen. Als die Polizei das Zeltlager am 18. Dezember gewaltsam räumte, flohen die meisten der halb erfrorenen Pakistaner in die nahe Votivkirche, wo sie drei Monate lang ausharrten. Im März 2013 übersiedelten 47 verbliebene Asylbewerber ins Wiener Servitenkloster.

Caritas und Menschenrechtsgruppen breiteten während dieser acht Monate des Kampfes um ein gerechtes Asylverfahren schützende Hände über die Flüchtlinge und versorgten sie mit dem Nötigsten. Ein mehrwöchiger Hungerstreik verschärfte die Situation. Die Zusicherung der obersten Kirchenvertreter, den Asylsuchenden zumindest bis Oktober 2013 Schutz in den klösterlichen Räumen zu gewähren, ließ viele an einen glücklichen Abschluss ihres Verfahrens glauben.

Doch für 20 Asylbewerber liegen mittlerweile abschlägige Bescheide vor. In mehreren Fällen werden dafür Formalien wie fehlende Zustelladressen während der Kirchenbesetzung verantwortlich gemacht. Eine tägliche Meldepflicht war die Folge. Dass die Flüchtlinge dafür das Kloster verlassen mussten, nutzte die Exekutive für deren Festnahme.

Ungewöhnlich heftig reagierte darauf der Wiener Kardinal Christoph Schönborn. Vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro ließ er verlauten, die Festnahme ausgerechnet am Sonntag, dem »heiligen Tag der Christen, und während des Ramadan, des heiligen Monats der Muslime«, sei »äußerst bedenklich und menschlich fragwürdig«. Und weiter: »Ich mache mir große Sorgen um ihr Leben.« Am Montag protestierten rund 100 linke Aktivisten vor dem Haftlager. Polizei löste die Kundgebung auf, wobei mindestens eine Frau verletzt wurde.

Allen Einwänden zum Trotz begannen die Behörden am Montag mit der Abschiebung. Ein Polizeisprecher hatte angekündigt, dass nach einer Befragung der Festgenommenen ihre »Überstellung ins Heimatland« erfolge. Und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sah die »Ermessensspielräume, die das Gesetz den Behörden einräumt, ausgeschöpft«. Wie viele der acht festgenommenen Pakistaner bereits außer Landes geflogen worden sind, war am Dienstag noch unklar. Für weitere zwölf Asylbewerber, deren Gesuche abgelehnt wurden, dürfte sich das Prozedere wiederholen. Weitere Proteste von Menschenrechtsaktivisten sind geplant.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 31. Juli 2013


Weg wegen Wahlen

Österreich: Proteste gegen Abschiebungen von Flüchtlingen. Innenministerin sieht in Pakistan kaum Gefahren

Von Simon Loidl, Wien **


Die Proteste gegen die Abschiebung einer Gruppe pakistanischer Flüchtlinge in Wien dauern an. Am Dienstag nachmittag verzögerte sich der Abflug einer Maschine, in der einer der Asylsuchenden saß, weil eine Passagierin gegen die Abschiebung protestierte. Zuvor hatten Aktivisten am Flughafen Wien-Schwechat Reisende auf den betreffenden Flügen aufgefordert, die Starts zu verhindern. Würden sich protestierende Passagiere nicht hinsetzen, könne der Pilot nicht abheben, hieß es auf Flugblättern. Während der letzten Tage wurden nach Polizeiangaben bereits acht Personen, die in Österreich Asylanträge gestellt hatten, via Istanbul oder Katar nach Pakistan gebracht.

Die Vorgänge um die pakistanischen Flüchtlinge bewegen Österreich bereits seit längerem. Im November 2012 besetzten Demonstranten nach einem Protestmarsch vom »Erstaufnahmezentrum« im niederösterreichischen Traiskirchen nach Wien den im Zentrum der österreichischen Hauptstadt gelegenen Votivpark und errichteten ein Camp. Mitte Dezember wechselten etwa 30 Personen in die in dem Park gelegene Votivkirche, wenige Tage später begannen die Asylwerber einen Hungerstreik, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Den Flüchtlingen und ihren Unterstützern ging es vor allem darum, auf die schlechten Asylbedingungen in Österreich aufmerksam zu machen. Im März konnten die bis dahin in der Votivkirche Ausharrenden in ein Kloster des Servitenordens ausweichen, in dem sie vorerst bis Oktober bleiben können. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn übernahm eine »Schirmherrschaft« für 47 Flüchtlinge, was diesen mehr Schutz und mediale Aufmerksamkeit verschaffen soll. In der vergangenen Woche wurde für einige der Asylwerber von den Behörden jedoch eine tägliche Meldepflicht verhängt. Die katholische Hilfsorganisation Caritas kritisierte die Maßnahme umgehend. Sie wird in der Regel dann eingesetzt, wenn die Behörden die Gefahr vermuten, daß Asyl­bewerber untertauchen könnten. Als sich am Sonntag zehn Männer pflichtgemäß bei Polizeistationen meldeten, wurden acht von ihnen sofort festgenommen. Alle stammen aus Pakistan, die Abschiebungen begannen bereits am Montag.

Das hat in Österreich zu einer weiteren heftigen Debatte über Asylgesetze und humanitäres Bleiberecht geführt. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner kontert Vorwürfe, den Abgeschobenen drohe Verfolgung, mit Hinweisen auf Berichte über die Sicherheitslage in Pakistan. Es gebe demnach zwar »Gefährdungen« in dem Land, aber insgesamt sei die Situation so, daß Abschiebungen zu vertreten seien. Auf die Frage, ob sie garantieren könne, daß den Flüchtlingen in Pakistan nichts zustoße, antwortete Mikl-Leitner Anfang der Woche gegenüber dem Österreichischen Rundfunk: »Ich kann auch nicht garantieren, daß einem Asylwerber in Österreich kein Verkehrsunfall passiert.« Die zynische Wortwahl der Ministerin weist auf die innenpolitische Dimension der Auseinandersetzung hin. Ende September stehen Parlamentswahlen an und Mikl-Leitners konservative Volkspartei (ÖVP) versucht offenbar, sich gegenüber der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) als Law-and-Order-Kraft zu positionieren. Dabei kommt der Ministerin eine neue Entwicklung in dem aktuellen Fall entgegen. Am Dienstag wurden sechs weitere Flüchtlinge aus der Gruppe festgenommen, drei davon direkt im Servitenkloster. Ihnen wird vorgeworfen, Teil einer Schlepperorganisation zu sein, die allein in den vergangenen Monaten Millionenumsätze gemacht habe. Die nach Behördenangaben rein zufällige zeitliche Nähe von Abschiebungen und Verhaftungen von mutmaßlichen Schleppern sorgt dafür, daß die Boulevardpresse die Themen Asyl und Kriminalität einmal mehr vermischt. Am Mittwoch überschrieb das Gratisblatt Heute einen Artikel mit »3 Serviten-Flüchtlinge sind Bosse der Schlepper-Mafia«.

Für Kritik sorgte unterdessen auch das Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten. Am Dienstag wurde in sozialen Netzwerken ein Video verbreitet, in dem zu sehen ist, wie eine gegen die Abschiebungen protestierende Frau von einem Polizisten umgestoßen und daraufhin mit dem Kopf gegen eine Treppe geschleudert wird. Seitens der Behörden hieß es, es habe sich um einen »Unfall« gehandelt. In dem Video ist jedoch zu sehen, wie der Polizist mit ausgestreckten Armen direkt auf die Frau zuläuft, um sie aufzuhalten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 1. August 2013


Zurück zur Österreich-Seite

Zur Seite "Migration, Flucht, Vertreibung"

Zurück zur Homepage