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Hartes Urteil für korrupten EU-Politiker

Österreichs ehemaliger Innenminister Ernst Strasser zu vier Jahren Haft verurteilt

Von Manfred Maurer, Wien *

Österreichs Justiz zeigte wieder einmal einem Politiker die Zähne: Ernst Strasser wurde am Montag wegen Bestechlichkeit in seiner Funktion als EU-Abgeordneter verurteilt. Er saß zwei Journalisten auf, die sich als Lobbyisten tarnten.

Mit starrem Blick verfolgte er auf der Anklagebank im Wiener Straflandesgericht die Worte des Richters. Es ließ sich nur erahnen, was in jenem Moment in Ernst Strasser vorging. In jedem Fall hatte er nicht damit gerechnet, einmal hier zu stehen und verknackt zu werden - wie die Schwerverbrecher, die er als Innenminister Österreichs einst gejagt hatte.

In den Kerker marschiert Strasser trotz Verurteilung zu vier Jahren Gefängnis vorerst nicht. Vielmehr legte sein Verteidiger Thomas Kralik sofort Berufung ein. Er betonte: »Doktor Strasser hat nichts Unrechtes getan.« Das Gericht sah es hingegen als erwiesen an, dass der heute 56-Jährige zwei als Lobbyisten getarnten Journalisten versprochen hatte, gegen Bezahlung Einfluss auf EU-Gesetze zu nehmen.

Strasser versuchte, den Vorgang als abenteuerliche Jagd auf vermeintliche Agenten darzustellen. Im November und Dezember 2010 hatte der damalige Leiter der Delegation der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Europäischen Parlament die britischen Enthüllungsjournalisten Claire Newell und Jonathan Calvert von der »Sunday Times« getroffen. Die Reporter gaben sich allerdings als Lobbyisten einer erfundenen Firma namens Bergman & Lynch aus. Die beiden sondierten, ob sich Strasser gegen Bezahlung dafür hergeben würde, den Gesetzgebungsprozess im EU-Parlament in ihrem Sinne zu beeinflussen. Strasser ließ sich auf das Geschäft ein, intervenierte sogar für einen Änderungsantrag zu einer EU-Richtlinie bei seinen Kollegen in der Fraktion der Europäischen Volkspartei. 100 000 Euro im Jahr sollte die Gage betragen. Doch zum Geldfluss ist es nicht gekommen. Die beiden »Lobbyisten« veröffentlichten nämlich im März 2011 die Videoaufzeichnungen der Gespräche mit Strasser. Das Filmchen enthielt nicht nur ziemlich belastendes Material, sondern auch Aufschlussreiches über die Arbeitsauffassung des Abgeordneten: »Die meisten Parlamentarier sind so faul wie ich, die ganze Arbeit machen die Mitarbeiter«, plauderte Strasser vermeintlich vertraulich aus dem Nähkästchen.

Das Video kostete den Abgeordneten nicht nur das EU-Mandat und die ÖVP-Mitgliedschaft, seit November musste er sich auch vor Gericht verantworten. In dem Prozess setzte Strasser ganz auf die von Anfang an belächelte Verteidigungslinie: Da seine auf Video dokumentierten Aussagen nicht zu bestreiten waren, versuchte er sie als Teil einer Strategie zur Enttarnung vermeintlicher Agenten darzustellen. Von Anfang an will er gewusst haben, dass die beiden Briten keine Lobbyisten waren. Nur um deren vermuteten Geheimdienst-Hintergrund zu enthüllen, habe er sich auf den Deal eingelassen. Die Geschichte hätte eine größere Chance auf Glaubwürdigkeit gehabt, hätte Strasser seine Abgeordnetenkollegen oder den Verfassungsschutz in Wien ins Vertrauen gezogen. Sogar Verteidiger Kralik musste in seinem Schlussplädoyer einräumen: »Die Optik ist keine sehr schöne.«

Staatsanwältin Alexandra Maruna sah nicht nur ein optisches Problem. Für sie stand fest: »Strasser wollte Geschäfte mit Bergman & Lynch machen, nicht deren wahre Identität aufdecken.« Dieser Missbrauch des Mandates »rüttelt an den Grundfesten der Demokratie«.

Das Schöffengericht schloss sich dieser Ansicht an. Dementsprechend drakonisch fiel das Urteil für den bislang unbescholtenen Bürger mit vier Jahren Gefängnis aus. Ausdrücklich wird die Möglichkeit ausgeschlossen, die Strafzeit mit einer Fußfessel daheim abzusitzen. Für Richter Georg Olschak gehört die vom Angeklagten aufgetischte Geheimdienstgeschichte »zum Abenteuerlichsten, was mir in meiner 20-jährigen Tätigkeit passiert ist«. Die Härte des Urteils begründet er mit der generalpräventiven Wirkung in einem Land, das nicht nur diesen Korruptionsskandal zu verdauen hat: »Es muss einen Unterschied machen, ob ein kleiner Gemeinderat eines Kuhdorfs sich für eine Baubewilligung, die vielleicht fünf Personen betrifft, bestechen lässt oder ein Mitglied des Europäischen Parlaments cash for law nimmt.«

* Aus: neue deutschland, Dienstag, 15. Januar 2013


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