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In der ÖVP-Falle

Österreichische Koalitionsverhandlungen lassen Sozialdemokraten wenig Spielraum

Von Werner Pirker, Wien *

Wie in Deutschland stehen auch in Österreich alle Zeichen auf Große Koalition. Doch was in Deutschland die Ausnahme, ist in Österreich eher die Regel. Seit 1945 gab es dort insgesamt 40 Jahre lang ein Regierungsbündnis von Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Sozialdemokratischer (bis 1986: Sozialistischer) Partei Österreichs (SPÖ), mal unter konservativer, mal unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft. Die Regierungsform einer Großen Koalition war indes im Land an Donau und Alpen nie sonderlich populär. Sie galt stets als ein Synonym für Pfründenwirtschaft, Postenschacher und Machtabsprachen, im Volksmund »Packelei« genannt.

Doch nehmen sich die beiden »Großparteien« längst nicht mehr so groß aus wie zu Zeiten, in denen die soziale Befriedung der österreichischen Gesellschaft noch relativ reibungslos über die politische Bühne ging. Wie schon 2008 haben SPÖ und ÖVP die absolute Mehrheit gerade noch erreicht, was in beiden Parteien zur Einsicht führte, daß es ein drittes Mal wohl nicht mehr gutgehen würde. Unter dem Stichwort »Große Koali­tion neu« soll der endgültige Absturz doch noch vermieden werden. Wie der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) kundtat, müßten Reformziele definiert und »Schritt für Schritt abgearbeitet« werden. Eine Staats- und Bildungsreform wird in Aussicht gestellt, doch gerade letzte scheitert seit Jahrzehnten an einer ÖVP, die eisern an überkommenen Bildungsprivilegien festhält und die Einführung einer Gesamtschule blockiert.

Im Grunde sind es Projekte in Richtung einer technokratischen Modernisierung, die SPÖ und ÖVP vorschweben. Wie das im Bundesland Steiermark vorexerziert wurde, wo die beiden Parteien ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Menschen Bezirks- und Gemeindezusammenlegungen und die Halbierung der Landesverwaltungseinheiten durchgezogen haben, wofür sie bei den Nationalratswahlen die Quittung erhielten. Erstmals wurde die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) zur Nummer 1 in der Steiermark.

Es ist nach 2006 und 2008 das dritte Mal hintereinander, daß die SPÖ bei Nationalratswahlen zur stärksten Partei wurde, und zum dritten Mal hintereinander, daß die ÖVP für ihre Koalitionsbereitschaft einen exorbitant hohen Preis verlangt. Die »Koalition neu« müsse eine »ÖVP-Handschrift« tragen, fordert der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll, der als der eigentliche starke Mann der ÖVP gilt. Das ist eine ziemlich aggressive Kampfansage, waren doch im Grunde auch schon die beiden vorangegangenen rot-schwarzen Koalitionen von einem schwarzen Grundton gekennzeichnet. Personell durch die Übertragung von Schlüsselministerien wie denen für Äußeres, Inneres, Finanzen und Wirtschaft an die ÖVP und inhaltlich durch die Fortsetzung des von der ÖVP-FPÖ Koalition (2000 bis 2006) eingeschlagenen forciert neoliberalen Kurses.

Die »Umfaller« der SPÖ sind indessen weniger den mangelnden Steherqualitäten ihres Spitzenpersonals zuzuschreiben als dessen Glauben an die Alternativlosigkeit des Neoliberalismus. Dazu kommt eine spezifische Abhängigkeit von der ÖVP, in die sich die Sozialdemokraten durch ihre politisch korrekte Boykottpolitik gegenüber der FPÖ begeben haben. Indem die SPÖ jede andere Koalitionsmöglichkeit als die mit der ÖVP ausschließt, überläßt sie alle Verhandlungstrümpfe den »Schwarzen«, die ihrerseits wenig Skrupel haben, die »Roten« mit anderen Koalitionsoptionen unter Druck zu setzen.

Was als das »antifaschistische Gewissen« der SPÖ interpretiert werden könnte, schiebt der Rechtsentwicklung im Land keineswegs einen Riegel vor, sondern führt im Gegenteil zu deren Entfaltung. Weil erstens neoliberales Regieren, wie es von der rechtskonservativen ÖVP mit Verve eingefordert wird, an sich schon eine konzentrierte Form der Rechtsentwicklung darstellt, und weil eine so asoziale Politik es zweitens in sozialer Demagogie geübten Parteien rechtspopulistischen Typs ermöglicht, die Proteststimmung aufzugreifen und chauvinistisch zu wenden.

Es sind durchaus nicht nur sozialdemokratische »Law and Order«-Politiker, sondern auch Vertreter des eher linken Flügels in der SPÖ, die darauf drängen, aus der Gefangenschaft mit der ÖVP auszubrechen und die blaue Option nicht rechts liegen zu lassen. In einem Gastkommentar für das Wochenmagazin profil vertritt Alfred A. Noll, Universitätsprofessor und Rechtsanwalt, die Ansicht, daß zum Beispiel Forderungen nach sozialer Sicherung innerhalb und außerhalb von Beschäftigungsverhältnissen mit der FPÖ leichter durchzusetzen wären als mit der ÖVP. Eine Ansicht, die im liberalen und linken Mainstream nacktes Entsetzen ausstößt. Deren tradierte Anti-FPÖ-Reflexe haben freilich der wachsenden Rechtsgefahr bisher nicht das Geringste anhaben können.

* Aus: junge welt, Dienstag, 22. Oktober 2013


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