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Bitte lächeln

Im australischen Wahlkampf klammern die Spitzenkandidaten die tatsächlichen Probleme des Landes aus

Von Maria Röckmann, Brisbane *

Am 21. August wählen die Australier ein neues Parlament. Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Premierministerin Julia Gillard von der Labor Party und dem liberalen Oppositionsführer Tony Abbott. Tagtäglich lächeln einem die beiden aus dem Fernsehen oder den großen Tageszeitungen entgegen, gerne mit kleinen Kindern auf dem Arm oder umringt von fröhlichen Senioren. Während selbst die Haarfrisur der Premierministerin Einzug in die mediale Debatte gefunden hat, bleiben ernsthafte Probleme auf der Strecke. Man will schließlich keine schlechte Laune verbreiten. Beide Spitzenkandidaten vermeiden geschickt jede Diskussion um die fortschreitende Umweltzerstörung oder die anhaltende Diskriminierung der indigenen Bevölkerung. Und auch die Bergbauindustrie will man nicht verärgern. Deren großer Einfluß auf die australische Politik zeigte sich erst kürzlich mit dem Sturz von Kevin Rudd als Premierminister. Rudd wollte eine Zusatzsteuer auf die Gewinne der Bergbauunternehmen einführen. Daraufhin riefen diese eine Angstkampagne gegen die Steuer ins Leben. Rudd wollte mit einer teuren Gegenkampagne darauf antworten, was viele Steuerzahler empörte. Labor sank in der Folge auf der Beliebtheitsskala so weit ab, daß Rudd gezwungenermaßen zurücktrat und Julia Gillard das Ruder überließ. Kaum im Amt, versuchte die neue Premierministerin, die Bergbauindustrie zu beschwichtigen und kürzte die geplante Zusatzsteuer. Bald darauf rief sie Wahlen aus, um sich nach eigener Aussage ihr Amt vom Volk bestätigen zu lassen, oder, wie böse Zungen behaupten, weil sie gegenüber Oppositionsführer Abbott gerade gut im Kurs stand.

In der ersten Runde des Wahlkampfes konzentrierten sich die Spitzenkandidaten darauf, gezielt Ängste vor Asylbewerbern zu schüren und lenkten so von den wirklichen Problemen des Landes ab, zum Beispiel von der sich in Australien immer weiter verschärfenden Wasserkrise. So versammelten sich Anfang des Monats aufgebrachte Landwirte und Umweltschützer vor dem Parlament in Queensland und demonstrierten gegen die Verschmutzung des knappen Wassers durch die Bergbauindustrie. Die Zentralregierung tut solche Diskussionen gern als Angelegenheiten der Bundesstaaten ab, doch es ist der australische Staat, der den Großkonzernen Exportlizenzen ausstellt und dadurch Einfluß auf ihr Verhalten hat.

Auch die Belange der indigenen Bevölkerung Australiens spielen in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle. So ist zum Beispiel nicht die Rede davon, die Repression gegen die Aborigines-Gemeinden im Norden Australiens zu stoppen. Seit drei Jahren werden dort unter dem Deckmantel des Kampfes gegen soziale Mißstände einst autonome Gemeinden einer strengen Kontrolle durch die Staatsmacht unterworfen. Die Sozialhilfe wird zum Teil nicht mehr in Geld, sondern in Warengutscheinen ausgezahlt, das Polizeiaufgebot wurde verstärkt und Grundstücke wurden zwangsweise verpachtet. Bei der unter anderem von Amnesty International und der UNO scharf kritisierten Intervention geht es darum, Kontrolle über das wertvolle Land der Aborigines zu gewinnen, so der australisch-britische Journalist John Pilger. Der Norden Australiens ist reich an Uran, und die Intervention soll großen Bergbauunternehmen den Weg freimachen. Außerdem soll das Land der Aborigines für ein Atommüllendlager herhalten. Doch anstatt Rede und Antwort zu stehen, posieren die Spitzenkandidaten lieber für noch mehr nette Fotos.

* Aus: junge Welt, 20. August 2010

Überblick: Wahlen in Australien

Von Maria Röckmann **

In Australien herrscht gesetzliche Wahlpflicht. Bei der Abstimmung am 21. August entscheiden die Bürger über die Zusammensetzung der zwei Parlamentskammern, des Senats und des Repräsentantenhauses. Die Mitglieder des Senats repräsentieren die einzelnen Bundesstaaten, während im Repräsentantenhaus Vertreter der einzelnen Wahlkreise sitzen.

Eine Besonderheit des australischen Wahlsystems ist die Präferenzwahl. Auf dem Stimmzettel für das Repräsentantenhaus müssen die Wähler den Kandidaten eine persönliche Rangfolge geben. Wahlzettel, die nicht durchgehend numeriert sind, sind ungültig. Solche Zweit-, Drittstimmen usw. können den Wahlausgang entscheidend beeinflussen, denn ein Kandidat braucht eine absolute Mehrheit, um ins Repräsentantenhaus einziehen zu können. Wenn niemand mit den Erststimmen diese 50-Prozent-Hürde schafft, fallen die Zweit-, Drittstimmen usw. ins Gewicht.

Bei den Wahlen für den Senat können die Wähler entscheiden, ob sie eine Rangfolge für die Kandidaten erstellen oder einfach für eine bestimmte Partei oder Gruppe stimmen.

Zur Wahl stehen die Australian Labor Party, die älteste Partei down under. Die andere große Volkspartei ist die Liberal Party of Australia, die sich die Freiheit der Wirtschaft auf die Flagge geschrieben hat. Traditionell gehen die Liberalen mit der konservativen National Party of Australia eine Koalition ein. Eine immer größere Rolle spielen auch die Australian Greens, eine Mitte-links orientierte Partei, die sich für mehr Umweltschutz auf dem fünften Kontinent einsetzt.

Die beiden großen Parteien haben seit 1968 durchgehend den Premierminister gestellt. Julia Gillard ist die erste Frau, die in Australien dieses Amt ausübt.

** Aus: junge Welt, 20. August 2010




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