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Julia Gillard gewinnt den Machtkampf

Kevin Rudd unterliegt bei Abstimmung unter australischen Labor-Abgeordneten

Von Thomas Berger *

Julia Gillard bleibt Australiens Premierministerin und Chefin der Labor Party. Das ist das Ergebnis der Abstimmung, die am Montag unter den Abgeordneten der Regierungspartei stattgefunden hat.

Aus Gillards Sicht ließ das Ergebnis an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Nur ein knappes Drittel der Labor-Abgeordneten entschied sich für ihren Amtsvorgänger und Konkurrenten Kevin Rudd, der in der Vorwoche vom Amt des Außenministers zurückgetreten war. 71 der 102 Abstimmungsberechtigten waren für die amtierende Regierungschefin. Rudd gestand seine Niederlage ein und war ebenso wie Gillard sichtlich bemüht, einen Schlussstrich unter den Machtkampf zu ziehen. »Wir müssen den Blick nach vorn richten«, sagte die Premierministerin, die noch einmal die Verdienste Rudds in dessen Regierungszeit würdigte. Er hatte Australien durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 gesteuert und durch seine Entschuldigung bei den Aborigines viel für die Aussöhnung zwischen Ureinwohnern und weißen Australiern getan, bevor ihn Gillard 2010 aus dem Amt drängte.

Kevin Rudd seinerseits kündigte an, sein Abgeordnetenmandat behalten zu wollen und nun seine ganze Kraft für einen Sieg der Labor Party unter Julia Gillard bei den Parlamentswahlen 2013 einzusetzen. Seine Kontrahentin wiederum räumte ein, Fehler begangen zu haben. Vor allem, indem sie die Hintergründe des parteiinternen Putsches 2010 nicht ausreichend erklärt habe.

Nachdem auch Sportminister Mark Arbib seinen Rücktritt erklärt hat, sind zwei Posten im Kabinett vakant. Das bisher von Rudd geführte Außenamt hat kommissarisch Handelsminister Craig Emerson übernommen, eine Regierungsumbildung steht aber unmittelbar bevor. Julia Gillard wird sich entscheiden müssen, ob sie die fünf Minister im Team behält, die für ihren Rivalen gestimmt haben. Einerseits könnte sie ihnen mangelnde Loyalität vorwerfen, eine Entlassung würde aber als Nachtreten gegenüber dem unterlegenen Rudd-Lager gewertet werden, was die Versöhnung gewiss nicht befördern würde.

Vorgezogene Neuwahlen, die bei einem knappen Abstimmungsergebnis wahrscheinlich gewesen wären, scheinen nun jedenfalls vom Tisch zu sein. Auf solche Wahlen hatten die oppositionellen National-Liberalen spekuliert. Das Bündnis der Konservativen hätte bei einem baldigen Urnengang alle Chancen auf einen klaren Sieg, es liegt seit Langem in allen Umfragen vorn. Wenn Gillard jetzt aber ein weiteres Jahr im Amt bleibt, könnte sie das Ruder noch einmal herumreißen. Aber das Regieren hürdenreich wie bisher: Die Labor Party hat keine eigene Mehrheit, sie bleibt auf den einzigen grünen Abgeordneten Adam Bandt und das Wohlwollen dreier Unabhängiger angewiesen, deren Unterstützung für jede Entscheidung neu gesichert werden muss. Und sollte Gillard in den Umfragen weiter abrutschen, könnte auch der Machtkampf in ihrer Partei wieder ausbrechen.

* Aus: neues deutschland, 28. Februar 2012


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