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Viel Wasser, wenig Geld

Keine Reserven: Flutkatastrophe von Queensland trifft Australiens öffentliche Kassen hart. Zentralregierung denkt über Sonderabgabe nach

Von Thomas Berger *

Die Australier werden womöglich mit einer Sonderabgabe zur Kasse gebeten, damit der Staat die Folgen der jüngsten Hochwasserkatastrophe schultern kann. Zu den finanziellen Auswirkungen der sogenannten Jahrhundertflut im nordöstlichen Bundesstaat Queensland gibt es aktuell zahlreiche neue Schätzungen, aber keine Gewißheit. Neben den Zerstörungen in Queensland belasten auch Unwetterfolgen in Teilen des Bundesstaates Victoria im Südosten des fünften Kontinents die Schadensbilanz. Natürlich wird darum gestritten, wer was bezahlt. Die öffentliche Debatte, auf welche Weise das Geld zur Beseitigung der Schäden aufgebracht werden soll, hat gerade begonnen. Klar ist jedoch: Die öffentliche Hand ist durch die zusätzlichen Lasten völlig überfordert.

In Kreisen der Zentralregierung gilt deshalb eine Flut-Sonderabgabe als mögliche Option, trotz klammer Kassen den wirtschaftlich wichtigen Bundesstaat im Nordosten zu unterstützen, denn der kann die Milliardenschäden vermutlich nicht allein stemmen. Wer diese Idee aufgebracht hat, läßt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Fakt ist, daß sowohl Schatzamtsminister Wayne Swan als auch Premierministerin Julia Gillard vor der Presse bestätigten, daß es solche Überlegungen gebe. Die Betonung liegt derzeit auf Überlegungen, konkrete Pläne gibt es angeblich noch nicht. Doch der konservativen Gegenseite im Parlament reichte allein der offiziell geäußerte Gedanke, um lautstark Widerstand anzukündigen.

Oppositionsführer Tony Abbott hält eine Sonderabgabe für den falschen Weg, wie er sagte. Vielmehr müßte über Einsparungen (Streichungen) im aktuellen Haushalt nachgedacht werden. Der Chef der bürgerlichen Doppelfraktion aus Liberalen und Nationalen im australischen Unterhaus hat auch schon einen Vorschlag: Die Regierung solle ihr Breitbandinternet-Projekt für den ländlichen Raum aufgeben. Umgerechnet rund 30 Milliarden Euro könnte diese Investition kosten, die eine wichtige politische Komponente hat – die Sozialdemokraten (Labor), seit den Wahlen vom August 2010 nur noch in der Minderheit, hatten damit letztlich erfolgreich mehrere der unabhängigen Abgeordneten im Parlament geködert. Gemeinsam mit dem ersten direkt gewählten Grünen garantieren diese das Überleben der aktuellen Regierung.

Inzwischen sind die Pegelstände in Queensland längst wieder gesunken. Mancherorts beginnt sich schon ein Stück Normalität einzustellen. Doch die Aufnahme der Schäden ist noch lange nicht beendet. Klar ist, daß die Gesamtkosten um vieles höher liegen werden, als noch vor anderthalb Wochen auf dem Höhepunkt der Flut gemutmaßt worden war. Die pessimistischsten Angaben sprechen von umgerechnet rund 17 Milliarden Euro. So gehen die Volkswirte der einheimischen Großbank ANZ von bis zu 20 Milliarden Australische Dollar (15 Milliarden Euro) aus, die für den Wiederaufbau im Katastrophengebiet benötigt würden. Darüber hinaus belaufen sich die Einnahmeausfälle den Prognosen zufolge auf nochmals etwa drei Milliarden Australische Dollar.

Die Landwirtschaft in Queensland wird voraussichtlich Verluste im Umfang von 600 Millionen Australische Dollar (450 Millionen Euro) hinnehmen müssen, weil die Ernte vielerorts komplett vernichtet wurde. Dies betrifft insbesondere Weizen, ein wichtiges Exportgut der Region. Die Ausfälle werden nicht nur im Inland, sondern auch auf den durch zügellose Spekulation getriebenen Weltmärkten dazu führen, daß Nahrungsgüter erneut teurer werden. Nicht zuletzt auf den Absatzmärkten in Asien könnte es zu schmerzhaften Preissteigerungen kommen, wenn sich das ohnehin nicht üppige Angebot weiter verknappt. In australischen Supermärkten bekommen Kunden schon jetzt zu spüren, wie die Preise bei einzelnen Produkten nach oben gehen.

Betroffen von der Flut ist neben der Landwirtschaft auch die Steinkohleförderung, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Der Abbau des »schwarzen Goldes« allein im betroffenen Bundesstaat Queensland erbringt ein Zehntel aller Exporterlöse ganz Australiens und steht für rund zwei Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) des Landes.

Nicht alle Experten bewerten die Situation nach der Flut so pessimistisch wie die Vertreter der ANZ-Bank. Dennoch sind auch deren hochgerechnete Kosten gewaltig. So geht der Chefvolkswirt von JP Morgan Presseberichten zufolge von immerhin zehn Milliarden Australische Dollar aus, die allein für den Wiederaufbau notwendig seien. Warwick McKibbin von der australischen Notenbank bezifferte vor Reportern die Schäden auf schätzungsweise 13 Milliarden Dollar. Den verschiedenen Schadensprognosen liegt u.a. die Anzahl der von den Auswirkungen der Flut betroffenen Gebäude zugrunde. In Queenslands Hauptstadt Brisbane, mit zwei Millionen Einwohnern drittgrößte Metropole des ganzen Landes, sind aktuellen Angaben zufolge etwa 26000 Wohnhäuser zerstört oder stark beschädigt – bei der letzten »Jahrhundertflut« im Jahr 1974 waren es 6700.

Wie auch immer die endgültige Schadensbilanz ausfallen mag, eines steht bereits fest: Die Überschwemmungen zu Jahresbeginn mündeten in die teuerste Naturkatastrophe, die Australien in jüngster Zeit heimgesucht hat.

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2011


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