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Australien rechnet vor

In zehn Jahren könnte Stromversorgung des Kontinents mit erneuerbaren Energien gesichert sein. Wissenschaftler der Universität Melbourne zeigen Merkel, daß es geht

Von Wolfgang Pomrehn *

Australien, gemessen an den Pro-Kopf-Emissionen weltweit einer der größten Klimasünder, könnte in nur zehn Jahren seine Stromversorgung völlig auf erneuerbare Quellen umstellen und so seine Treibhausgasemissionen halbieren. Das ist das Ergebnis einer Studie, die vergangene Woche in Sydney vorgestellt wurde. Wissenschaftler der Universität von Melbourne haben zusammen mit einem Ingenieur-Büro und Umweltschützern einen Plan aufgestellt, wo auf dem fünften Kontinent Windanlagen und Solarkraftwerke errichtet werden könnten. Rund 26 Milliarden Euro müßten dafür jährlich investiert werden, was für eine 21-Millionen-Einwohner-Nation nicht wenig, aber auch nicht unbezahlbar ist, zumal in Australien eine Erneuerung des Kraftwerkparks ohnehin ansteht. Wie auch in Europa und Nordamerika sind viele der bestehenden Kraftwerke in den 1960er und 1970er Jahren ans Netz gegangen und müssen demnächst ersetzt werden.

BRD-Regierung vorgeführt

Der Bericht wurde für die australische Diskussion geschrieben, denn »down under« streiten sich die Parteien schon seit Jahren heftig über den Klimaschutz. Nachdem die konservative Vorgängerregierung sich lange an die Verhinderungsstrategie der USA angelehnt und mit diesen in den internationalen Klimaverhandlungen eifrig gebremst hatte, war Labour bei den letzten Wahlen 2007 mit dem Versprechen einer radikalen Wende in der Umweltpolitik gewählt worden. Doch geschehen ist seitdem wenig.

Die australischen Wissenschaftler führen aber auch die Berliner Regierung vor. Die hatte erst kürzlich den »Nationalen Aktionsplan Erneuerbare Energien« verabschiedet, der entgegen der großen Worte, mit denen er verkündet wurde, nicht viel hergibt. Bis 2020 will die Bundesregierung den Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Versorgung nur von zehn auf 20 Prozent verdoppeln. Im Stromsektor, auf den sich der australische Bericht konzentriert, soll der Anteil von jetzt gut 16 Prozent auf 38,6 Prozent steigen. Schon vor eineinhalb Jahr hatten hingegen Vertreter der Windenergiebranche und andere der Bundeskanzlerin in einem Memorandum vorgerechnet, daß allein bei der Fortschreibung der derzeitigen Entwicklung 2020 schon knapp 50 Prozent des Stroms durch erneuerbare Energien geliefert werden könnten. Voraussetzung ist dafür allerdings, daß die Stromkonzerne die Netze endlich erneuern und bedarfsgerecht umbauen und daß keine Hindernisse gegen den Ausbau aufgebaut werden. In den südwestlichen Bundesländern organisieren Unionsparteien und zum Teil auch die Liberalen noch immer den Widerstand gegen Windanlagen, so daß sich in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg bisher kaum ein Rad dreht. Auch die Verlängerung der AKW-Laufzeiten wird künftig den weiteren Ausbau der »Erneuerbaren« behindern. Die Meiler liefern nämlich rund um die Uhr Strom, und zwar auch dann, wenn bei guten Windbedingungen viel elektrische Energie aus Windkraftanlagen zur Verfügung stünde.

Daß das nicht nötig wäre und ein schneller Umstieg möglich ist, hat die besagte australische Studie nun erneut vorgerechnet. Dabei startet das Land von einem deutlich niedrigeren Niveau als Deutschland, das bereits eine gut entwickelte industrielle und handwerkliche Infrastruktur in den relevanten Sektoren hat. Hierzulande sind insbesondere Besitz und Standorte der Wind- und Solaranlagen weit gestreut, was nicht nur für die Versorgungssicherheit von Vorteil ist, sondern auch vielen ländlichen Gemeinden nützt. Die bekommen so Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen.

Mit Sonne und Wind

Die Autoren der australischen Studie setzen hingegen ganz auf einen zentralistischen Ansatz. Mag sein, daß sie sich nicht vorstellen konnten, in der gewählten kurzen Zeit derart kleinteilige Strukturen aufbauen zu können. 60 Prozent der elektrischen Energie soll künftig von zwölf riesigen solarthermischen Kraftwerken geliefert werden. In derartigen Anlagen wird die Energie der Sonneneinstrahlung mittels Spiegel konzentriert und mit deren Wärmeenergie Dampf erzeugt, der wie in einem konventionellen Kraftwerk eine Turbine antreibt. Mit flüssigem Salz läßt sich die Wärme lange genug speichern, um auch in der Dunkelheit oder bei Bewölkung noch Strom liefern zu können. Da Australien reich an Sonnenschein und dünnbesiedelt ist, dürften die benötigten 2760 Quadratkilometer leicht zu finden sein. Hierzulande wäre diese Technik allerdings nicht sinnvoll, weil die Sonneneinstrahlung dafür im Jahresmittel nicht intensiv genug ist.

Weitere rund 40 Prozent der elektrischen Energie wollen die australischen Forscher mit 23 ebenfalls riesigen Windparks liefern. Damit das Konzept aufgeht, müssen alle Netze des Kontinents miteinander verbunden werden. Nur dann können alle Regionen stetig mit Strom versorgt werden, auch wenn es örtlich mal gerade nicht weht oder eine längere Schlechtwetterperiode ein Solarkraftwerk lahmlegt. Für verbleibende Engpässe könnten noch einige Biomasse-Kraftwerke gebaut werden.

* Aus: junge Welt, 16. August 2010


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