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Fünf Millionen für die "stolen generation"

Australischer Premier unter Druck: Tasmanien legt Entschädigungsprogramm für Aborigines auf

Von Thomas Berger *

Eine »nationale Versöhnung« mit den Aborigines gehörte zu den erklärten Zielen des Ende 2007 zum Premier Australiens gewählten Labor-Chefs Kevin Rudd. Und er scheute sich im Gegensatz zu seinem stramm konservativen Amtsvorgänger John Howard auch nicht, Entschuldigungen gegenüber den australischen Ureinwohnern auszusprechen. Im dunkeln blieb dagegen bis heute, wie er einerseits mit dem durch die weißen Kolonisatoren verursachten Unrecht materiell umgehen will. Und wie die anhaltende soziale Diskriminierung der etwa 300000 Aborigines bekämpft werden soll.

Deren Benachteiligung drückt sich beispielsweise in der Lebenserwartung aus, die 20 Jahre unter der der weißen Bevölkerung liegt, und an der doppelt so hohen Kindersterblichkeit im Vergleich zur besser versorgten Mehrheit. Folglich wirkte Rudds Weigerung zu Monatsbeginn, Entschädigungen an Aborigines wegen Zwangsverschleppungen von Kindern zu zahlen, als ein fatales Signal, daß die Wahlkampfversprechungen sich letztlich als inhaltsleer herausstellen würden.

Diesem Eindruck wirkt aktuell die offizielle Politik der Regierung im australischen Bundesstaat Tasmanien entgegen. Deren Premier Paul Lennon stellte sich offen gegen die Linie seines sozialdemokratischen Parteifreundes Rudd und verkündete, daß Angehörige der »stolen generation« Entschädigungszahlungen zukommen würden. Dabei handelt es sich um Aborigines, die in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts ihren Familien entrissen wurden. 106 Antragsteller, darunter 84 Betroffene jener dunklen Ära und 22 Nachfahren bereits Verstorbener, sollen einen fünfstelligen Betrag erhalten; insgesamt werden fünf Millionen australische Dollar (etwa drei Millionen Euro) zur Verfügung gestellt.

In ganz Australien war es zwischen 1915 und 1969 offizielle Politik, Aboriginesfamilien deren Kinder zu entreißen. Diese kamen zunächst in Erziehungsheime, wurden später an weiße Ehepaare gegeben und sollten so unter Zwang assimiliert werden. Die Verfolgungs- und Verschleppungspolitik des Staates erzeugte bei den betroffenen Ureinwohner-Ethnien ein kollektives Trauma, das anhält. Bürgerrechtler klagen diese Form der Repressionspolitik bis heute ebenso an wie die Massaker, die während der frühen Phase britischer Kolonisierung Australiens verübt wurden und denen Hunderttausende oder mehr Ureinwohner zum Opfer fielen.

Lennon sieht das aktuelle »Entschädigungspaket für erlittenes Unrecht« vor allem als symbolischen Akt: »Wir wollen damit ein Zeichen setzen. Niemand kann ungeschehen machen, was es bedeutet, Familien ihre Kinder zu entreißen. Das Geld soll aber immerhin eine Anerkennung des durchgestandenen Leides infolge der Trennung sein.« Es könnte sein, daß nunmehr andere Bundesstaaten und Territorien dem tasmanischem Vorbild folgen und ähnliche Programme auf den Weg zu bringen. Eine einheitliche nationale Regelung zumindest lehnen Premier Rudd und seine Berater weiter ab. Und ob es über entschuldigende Worte hinaus soziale Entwicklungsprogramme geben wird, steht ebenfalls in den Sternen.

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2008


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