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Opium: Lebenselixier für Kriegsherren und Regierungen Zentralasiens

Drogenhandel destabilisiert eine sensible Region

Nicht nur in Lateinamerika (z.B. Kolumbien) ist der Anbau und der Handel mit Drogen (vom Haschisch bis zum Opium) zu einem einträglichen Geschäft geworden. Nicht für die Produzenten, oftmals arme Kleinbauern, die zum Kokaanbau keine Alternative sehen, sondern vor allem für die Händler, hinter denen nicht selten internationale Banden mit beträchtlichem Einfluss auf Regierungen und Bürgerkriegsarmeen stehen. Im folgenden Bericht aus der Neuen Zürcher Zeitung geht es um den Drogenhandel und den Drogenkrieg in Zentralasien, in deren Zentrum Afghanistan steht. Dieser Krieg droht eine ganze Region (z.B. die zentralasiatischen Staten der früheren Sowjetunion, den Iran, Pakistan) zu destabilisieren.

Rohopium als Lebenselixier Afghanistans

Der Drogenhandel destabilisiert Zentralasien

Afghanistan baut weltweit am meisten Schlafmohn an, aus dem Rohopium gewonnen wird. Während die Drogenderivate in Laboratorien der Region hergestellt werden, ist der Handel international organisiert. Die Hauptrouten führen derzeit über Zentralasien. Dort wächst die Sorge über die politischen, ökonomischen und sozialen Folgen.

In der usbekischen Hauptstadt Taschkent sind vor kurzem hochrangige Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der Uno-Drogenkontrollbehörde, der Regierungen der fünf zentralasiatischen Staaten sowie Delegierte aus 67 Ländern und von 44 Nichtregierungsorganisationen zu einer zweitägigen Konferenz zusammengekommen. In derenMittelpunkt standen der stark zunehmende Drogenanbau, -handel und -konsum in Zentralasien und die Auswirkungen auf die Sicherheit und die Stabilität der Region. In ihrem Abschlusscommuniqué betonten die Teilnehmer ausdrücklich die enge Verbindung zwischen Drogenhandel, Terrorismus und organisiertem Verbrechen. Eine Reihe von Rednern wies dabei anklagend auf Afghanistan; bezeichnenderweise waren jedoch Repräsentanten der zwei Kriegsparteien des Landes, der Taliban und der Nord-Allianz, in Taschkent nicht anwesend.

Wirtschaftliche Sachzwänge

Afghanistan produziert weltweit mit deutlichem Abstand am meisten Rohopium. Ausserdem exportiert es in beträchtlichem Umfang Haschisch, das aus dem Harz der Hanfpflanze hergestellt wird. Sowohl in den von den Taliban kontrollierten Landstrichen als auch in den noch wenigen unter der Herrschaft der Nord-Allianz stehenden Gebieten wird Schlafmohn kultiviert, aus dem Rohopium - die Grundlage für Opium, Morphin und Heroin - gewonnen wird. Die Hauptanbaugebiete liegen in denProvinzen Helmand, Nangarhar und Balkh (Taliban) sowie in Badakhshan (Nord-Allianz), wobei die Taliban entsprechend ihrer Geländegewinne inzwischen rund 96 Prozent aller Schlafmohnfelder in ihren Händen halten dürften.

Das Land am Hindukusch besitzt eine grosse Tradition in der Produktion und Raffinerie von Drogen-Rohstoffen. In den zurückliegenden Jahrzehnten war es vor allem Haschisch gewesen, das ganze Generationen aus Westeuropa via Persien oder Indien nach Kabul pilgern liess, weil dort das Rauschgift in einer einzigartigen Qualität zu konkurrenzlos tiefen Preisen konsumiert werden konnte. In den achtziger Jahren wurde das Drogengeschäft für die gegen die Rote Armee kämpfenden Mujahedin zu einem militärischen Überlebensfaktor, weil mit den Erträgen aus dem Drogenhandel Waffen gekauft werden konnten. Angebaut und weiterverarbeitet wurde immer mehr Schlafmohn, der vor allem in den pakistanischen Grenzregionen kultiviert wurde - unter stiller Duldung, erwiesenermassen aber auch aktiver Partizipation des pakistanischen Geheimdienstes ISI, der Armee und des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Im Vordergrund stand damals derKampf gegen die sowjetischen Besetzungstruppen in Afghanistan. Wie der Krieg im Einzelnen finanziert wurde, war sekundär.

Nach dem Abzug der Sowjets und dem Ausbruch des blutigen Machtkampfes zwischen den einzelnen Mujahedin-Fraktionen verlagerte sich das Drogengeschäft wieder stärker nach Afghanistan selbst, nicht zuletzt auch deshalb, weil die pakistanische Regierung - aufgeschreckt durch steigende Süchtigenzahlen und eine grassierende Kriminalität - entschiedener gegen die bisher geduldeten Drogenlabors im Norden des Landes vorging. Mit der schrittweisen Machtübernahme der Taliban ab 1994 veränderte sich dabei auch die Struktur des Drogengeschäftes, nicht jedoch seine Zielsetzung. Noch immer galt es für die Kriegsparteien, mit dem Drogenhandel Geld zu erwirtschaften, das in erster Linie dem Kampf gegen den Gegner und im Fall der Taliban auch dem Jihad zufloss - dem «heiligen» Krieg gegen die Ungläubigen. Die Studentenkrieger erkannten zusätzlich aber auch, dass im Opium eine der wichtigsten Einnahmequellen ihres wirtschaftlich darniederliegenden Staates steckte. In der Folge wurden Anbau, Ernte, Weiterverarbeitung und Schmuggel durch die Miliz straffer als je zuvor organisiert und «staatlich» besteuert.

Dabei orientieren sich die Taliban nach dem im Koran festgelegten traditionellen Abgabesystem für landwirtschaftliche Produkte. Nach Uno-Angaben erhalten die Bauern rund 1 Prozent, die Händler 2,5 und die regionalen Schmuggler 5 Prozent des Gewinns einer Ernte. Die Taliban besteuern diesen nach unterschiedlichen Angaben mit 12,5 bis 20 Prozent oder aber zweigen einen Anteil des Rohopiums zum Weiterverkauf ab. Sie garantieren dafür den Bauern Schutz und Sicherheit sowie eine geregelte Absatzstruktur, wobei sieoffenbar nicht nur Anbaugebiete von Soldaten bewachen lassen, sondern auch Musterbetriebeunterhalten und Transportkapazitäten zur Verfügung stellen.

Schlafmohn statt Getreide

Die Drogenlabors werden von den Studentenkriegern mit einer festen Steuer pro Kilo Heroinbelastet. 1999 soll diese bei rund 70 Dollar gelegen haben; für eine «Transportbewilligung» mussten 250 Dollar pro Kilo Heroin entrichtet werden. Weitere Abgaben sind an Strassensperren zu entrichten. Schliesslich zweigen lokale Kriegsfürsten ihren Anteil ab. Je nach Datenbasis dürften die Einnahmen der Taliban 1999 gesamthaft rund 100 Millionen Dollar betragen haben.

Auch für die Bauern ist das Geschäft durchaus lohnend, auch wenn sie von den enormen Gewinnen, die bei jeder Veredelung und jedem Weitertransport entstehen, nur marginal profitieren.Schlafmohn ist recht einfach zu kultivieren, benötigt nur wenig Bewässerung und wirft verglichen mit Getreide ungleich höhere Erlöse ab. Zudem lassen die international operierenden Drogensyndikate die Ernten durch Mittelsmänner oft schon im Voraus aufkaufen, was die bäuerlichen Einkommen weniger den saisonalen Schwankungen unterwirft. Widersinnig ist dabei, dass Afghanistan heute nicht mehr fähig ist, ohne internationale Nahrungsmittelhilfe zu überleben. Schätzungsweise ein Drittel des afghanischen Mehlbedarfs wird durch Pakistan gedeckt; das Welternährungsprogramm der Uno und unzähligeandere internationale Organisationen leisten zusätzlich Soforthilfe. Seit Jahresbeginn wurden bereits 110 000 Tonnen Lebensmittel verteilt. Mit gezielten landwirtschaftlichen Aufbauprojekten versuchen die Uno und private Organisationen seit mehreren Jahren, die Bauern dazu zu bringen, statt Schlafmohn Alternativprodukte anzubauen, mit denen die katastrophale Versorgungslage verbessert werden könnte.

Verlagerte Transportrouten

Wie sich das Wasser seinen Weg bahnt, wo es gerade durchfliessen kann, haben sich auch die Transportrouten für Drogen aus Afghanistan nach Europa den jeweiligen politischen Gegebenheiten angepasst. Als direkte Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen in Südosteuropa, imKaukasus und im Kurdengebiet sowie der äusserst rigiden Kontrolle der iranisch-afghanischen Grenze hat die sogenannte Balkanroute, die über Teheran via die Türkei nach Bulgarien führt, in den letzten Jahren an Bedeutung eingebüsst. Inzwischen soll laut dem Bundeskriminalamt inDeutschland rund die Hälfte des in Europa konsumierten Heroins über Zentralasien, Russland, das Baltikum und die osteuropäischen Staaten transportiert werden. Während Rohopium für den Konsum in Pakistan und Iran via Belutschistan und die nordwestliche Grenzprovinz Pakistans transportiert wird, werden Opium undHeroin nach Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan gebracht. Ein Teil der Drogen verlässtSüdasien auch auf dem Seeweg über den pakistanischen Hafen Karachi, um von dort via den Nahen Osten oder Afrika nach Europa oder in die USA zu gelangen. Der Grossteil jedoch wird auf Maultierrücken, in Lastwagen oder per Bahn transportiert. Auf gleichen Wegen findet in umgekehrter Richtung der Schmuggel der chemischenVorläufersubstanzen statt, die in den Laboratorien zur Umwandlung von Rohopium in Heroin und Morphin gebraucht werden.

Die Schmuggler, die eng mit mafiosen Organisationen sowohl in der Region als auch in den Absatzgebieten zusammenarbeiten und sich in einer kaum durchschaubaren Weise zwischen lokaler Bevölkerung, organisiertem Verbrechen und terroristischen Gruppierungen bewegen, sind mit guten Fahrzeugen, Satellitentelefonen, Nachtsichtgeräten und Waffen ausgerüstet. Damit sind sie im Vorteil gegenüber den Grenzsoldaten und -polizisten, die ihrerseits zumeist nicht nur ungenügend ausgerüstet, sondern auch vergleichsweisebescheiden besoldet sind. Korruption, passive Bestechung oder gar die aktive Beteiligung an den Drogengeschäften begünstigen den Schmuggel. Immer wieder haben auch politische und militärische Verantwortungsträger ihre Finger im Spiel. Eine unrühmliche Rolle sollen insbesondere die entlang der fast 1500 Kilometer langen tadschikisch-afghanischen Grenze stationierten russischen Truppen spielen. Einzig Iran - ansatzweise auch Pakistan - hat seit Mitte der achtziger Jahre mit drastischen militärischen Massnahmen verdeutlicht, dass es dem Drogenhandel Herr werden will. Unter anderem wurde die Grenze zuAfghanistan mit Kunstbauten und Stacheldrahtverhauen verstärkt und die Überwachung intensiviert. Laut iranischen Angaben sollen seither bereits über 2500 Mitglieder der Sicherheitskräfte bei Zwischenfällen mit Drogenhändlern ums Leben gekommen sein.

Steigende Zahl der Süchtigen

Nach Uno-Angaben wird ein Kilogramm reines Heroin in Afghanistan für rund 1000 Dollar gehandelt. Über die Grenze nach Tadschikistan gebracht, steigt sein Wert um das Vierfache. InOsch, einem wichtigen Umschlagplatz in Kirgistan, kostet das Kilo bereits 6000 Dollar. Erst einmal in Russland angekommen, ist es je nachReinheit das Zehnfache wert. In Zürich schliesslich wird derzeit bereits das Gramm zwischen 50 und 100 Franken gehandelt.

Obwohl diese enormen Summen zu einem Grossteil in die Taschen der international operierenden Drogensyndikate fliessen, üben sie aucheine ungeheure Anziehungskraft auf die Bevölkerung in den Anbaugebieten und entlang der Transportrouten aus. Gerade für Jugendliche, die mit einer mehr als düsteren wirtschaftlichen Zukunft konfrontiert sind, erscheint die Beteiligung am Drogenhandel oft als der einzige Ausweg aus der persönlichen Misere. Die auf dem Spiel stehenden Profite haben dabei zur Folge, dass rechtsstaatliche Prinzipien einer schleichenden Brutalisierung und Kriminalisierung zum Opfer fallen; die Behörden von Kirgistan etwa gehen davon aus, dass die zunehmende Verbreitung von Handfeuerwaffen und die Häufung von Gewaltdelikten in direktem Zusammenhang mit dem Drogenhandel stehen.

Immer mehr zeigt sich auch, dass ein beträchtlicher Teil der Drogen in der Region bleibt und dort konsumiert wird. Nach Uno-Schätzungen von 1998 erreichte nur rund ein Drittel der gesamten Opiumproduktion Afghanistans - umgerechnet weniger als 100 Tonnen Heroin - Europaund in geringem Umfang die USA. Rund 10 Prozent der Menge wurden durch Sicherheitskräfte beschlagnahmt, ein kleiner Teil ging auf dem Weg verloren oder wurde vernichtet.

Besonders betroffen ist davon Russland, das nach offiziellen Angaben schon Mitte der neunziger Jahre mehr als sechs Millionen Drogensüchtige registriert hat. Kasachstan weist für 1998 «nur» 35 000 Süchtige aus, die Dunkelziffer jedoch dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Auch aus anderen zentralasiatischen Staaten werden alarmierende Zahlen gemeldet. Pakistan soll inzwischen vier Millionen Abhängige zählen, in Südasien generell wird seit Jahren von einer starken Zunahme gesprochen. Interessanterweise häufen sich in jüngerer Vergangenheit aber selbst in Afghanistan die Berichte, laut denen es immer mehr Süchtige geben soll - trotz den drakonischen Strafen, mit denen die stark puritanisch orientieren Taliban ab 1996 den Konsum jeglicher Drogen und Genussmittel belegt haben.

Die Studentenkrieger haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie dem gezielten Anbau von Hanf im eigenen Land durchaus einen Riegel schieben können, wenn sie das wollen. Beim Schlafmohn sind, abgesehen von einigen medienwirksam inszenierten Zerstörungsaktionen, Massnahmen zur Eindämmung bisher ausgeblieben. Der geistliche Führer der Miliz, Mullah Omar, hat am 21. März dieses Jahres zwar erneut verkündet, dass ab sofort die Opiumproduktion in Afghanistan unter Strafe stehe, nachdem er diese zuvor mit dem Argument verteidigt hatte, der Westen trage selbst die Verantwortung für sein Drogenproblem. Die Umsetzung dieses Ediktes aber, so ist aus Kabul zu hören, benötige Jahre.

Sprunghaft gestiegene Ernteerträge

Die Uno-Drogenkontrollbehörde bezifferte für 1999 die Gesamtfläche der Schlafmohn-Kulturen in Afghanistan auf 91 000 Hektaren, was einer Zunahme von fast 30 000 Hektaren innert eines Jahres entspricht. Die Rohopium-Produktion soll im gleichen Zeitraum um mehr als das Doppelte angestiegen sein. Im letzten Jahr wurden nach diesen Angaben rund 4600 Tonnen gewonnen. 1998 waren es noch 2200 gewesen. Damit produziert Afghanistan 77 Prozent des weltweiten Opiums. Zum Vergleich: Burma, das lange Zeit als das führende Anbaugebiet für Schlafmohn galt, vermochte laut Uno-Quellen 1999 eine Ausbeute von 1200 Tonnen zu erzielen. Für dieses Jahr wird für Afghanistan mit einer geringeren Ernte gerechnet, vor allem als Folge der verheerenden Dürre, die das Land in diesem Sommer heimgesucht hat. Diesen Zahlen muss allerdings mit einer gewissen Vorsicht begegnet werden. Die Abteilung für die internationale Drogenbekämpfung des amerikanischen Aussenministeriums schätzt für 1999 die in Afghanistan mit Schlafmohn kultivierte Fläche auf 51 000 Hektaren und den Rohopium-Ertrag auf etwa 1600 Tonnen. Die grosse Differenz zu den Daten der Uno ist auf unterschiedliche Erhebungs- und Berechnungsmethoden zurückzuführen. Während die Vereinten Nationen Feldmissionen durchführen und insgesamt 18 Provinzen des Landes berücksichtigen, verfügen die USA nur über Daten aus 7 Provinzen, die im Feld das letzte Mal vor 15 Jahren überprüft werden konnten. In Washington werden Erhebungen auf der Basis von Satellitenaufnahmen vorgenommen. Unterschiedlich ist auch die angenommene durchschnittliche Menge gewonnenen Rohopiums pro Hektare. Sie liegt bei der Uno mit 50 Kilogramm fast doppelt so hoch wie bei den amerikanischen Angaben.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 11. November 2000

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