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Mehr Geld, weniger Jobs

Drei ASEAN-Staaten erhöhen Mindestlohn. In Thailand gelten nun eine Million Arbeitsplätze als gefährdet. Regionale Unterschiede bleiben

Von Thomas Berger, Bangkok *

Das neue Jahr hat für viele Arbeiter in Südostasien mit spürbaren Einkommensverbesserungen begonnen. Gleich in drei ASEAN-Mitgliedstaaten (Association of Southeast Asian Nations) traten zum 1. Januar neue amtliche Mindestlöhne in Kraft. So müssen Firmen in Malaysia umgerechnet mindestens 9,80 US-Dollar (7,50 Euro) pro Tag zahlen. Die erstmals festgelegte Mindestvergütung beläuft sich auf 900 Ringgit monatlich auf der Malayischen Halbinsel, 800 Ringgit sind es in den Teilstaaten Sabah und Sarawak im malaysischen Teil der Insel Borneo. Arbeiter in Vietnam erhalten nun umgerechnet mindestens 3,20 Dollar täglich in den ländlichen Gebieten, während Beschäftigte in Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt und anderen urbanen Ballungsräumen ab 3,76 Dollar erhalten. In Thailand hat die Regierung zum Jahreswechsel den Mindestlohn auf landesweit 300 Baht (9,45 US-Dollar) pro Tag vereinheitlicht, was vor allem in mehreren ländlichen Regionen eine deutliche Anhebung bedeutet.

Gerade in kleineren Provinzen abseits der Wirtschaftszentren des Königreiches steigen damit die Mindesteinkommen nahezu auf das Doppelte, wie das Beispiel Phayao zeigt. Dort galten bisher 159 Baht als Minimalbetrag. Rund um die Hauptstadt Bangkok, wo schon bisher mehr gezahlt wurde, ist die Neuregelung hingegen ohne unmittelbaren Effekt. Allerdings dürfte es mittelfristig zu einem Lohnanstieg kommen, denn wenn für zumeist ungelernte Arbeitskräfte neue Sätze gelten, dürften entsprechend auch die Einkommen von Facharbeitern angepaßt werden. Insofern zeichnen sich auch für jene Beschäftigten noch Verbesserungen ab, die bislang leer ausgehen.

Die Regierung von Premierministerin Yingluck Shinawatra hat mit dem Gesetz auf eine stetig wachsende soziale Kluft im Land reagiert. Nun sollen auch jene ein wenig profitieren, denen das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre in erster Linie zuzuschreiben ist. Selbst Wirtschaftsforschungsinstitute, die sich sonst nicht sonderlich für die Lage der Beschäftigten interessieren, begrüßen die Neuregelung ausdrücklich. Kritik kommt in erster Linie von den Unternehmerverbänden. Die verweisen darauf, daß viele kleine und mittlere Firmen Schwierigkeiten hätten, die mit höheren Löhnen (und nachfolgend Sozialabgaben) steigenden Produk­tionskosten aufzubringen. Entlassungen und Betriebsschließungen könnten die Folge sein, heißt es.

Zu Wochenmitte protestierten 200 Beschäftige in der Provinzstadt Saraburi, nachdem ihr Unternehmer völlig überraschend zum 1. Januar die Fabrik dichtmachte, in der sie bisher Unterwäsche produziert hatten. Noch bei Betriebsversammlungen am 25. und 27. Dezember, berichtete die englischsprachige Tageszeitung Bangkok Post am Donnerstag unter Berufung auf die Protestierenden, habe die Firmenleitung erklärt, alle neuen Leistungen zahlen zu wollen.

Andere Unternehmen haben sich Presseberichten zufolge mit ihren Arbeitern darauf »geeinigt«, daß der Lohnanstieg erst irgendwann im Laufe des Jahres wirksam werden solle. Dies wäre, selbst wenn die Belegschaft formal zugestimmt habe, ein Fall für die Justiz, heißt es dazu aus dem Arbeitsministerium. Sein Haus werde strikt auf die Einhaltung des Gesetzes achten, betonte der Generaldirektor für Arbeitsrechte und Wohlfahrt, Pakorn Amorncheewin. Wenn sich bei Kontrollen herausstelle, daß der neue Mindestlohn irgendwo nicht gezahlt werde, führe das zu empfindlichen Geld- und Gefängnisstrafen. Zudem könnten säumige Unternehmer selbst zwei Jahre nach dem Stichtag noch dazu verdonnert werden, geprellten Arbeitern die ausstehenden Mehrleistungen nachzuzahlen.

In den Medien wird spekuliert, daß im Laufe des Jahres 2013 bis zu eine Million Geringverdiener auf der Straße stehen könnten. Gerade Kleinstbetriebe können die von der Regierung im Gegenzug beschlossene Absenkung der Körperschaftssteuer um zehn Prozentpunkte kaum ausnutzen. Davon profitieren in erster Linie die großen. Noch wird in Bangkok über weitere Beihilfen nachgedacht. Allerdings wird der Wunsch der Spitze des Dachverbandes Föderation der Thailändischen Industrie nicht erfüllt. Die hatte die Übernahme von 75 Prozent der Zusatzkosten durch den Staat im ersten Jahr, 50 Prozent im zweiten und 25 Prozent im dritten gefordert. Dies würde aber nicht nur dem Ansatz widersprechen, Arbeiter an Unternehmensgewinnen aus der jüngeren Vergangenheit stärker teilhaben zu lassen, sondern auch den ohnehin wegen Flutschadenbehebung und anderer Großmaßnahmen angespannten Staatshaushalt mit 50 Milliarden Baht (1,25 Milliarden Euro) belasten, wie die Tageszeitung The Nation zum Thema schreibt.

In den zehn ASEAN-Staaten, wo mit dem Fall erster Zollbarrieren ein gemeinsamer Binnenmarkt immer mehr Gestalt annimmt, sind die neuen Mindestlöhne in den drei Mitgliedsländern ein wichtiger Schritt, auch bei der Entlohnung stufenweise zu einer Angleichung zu kommen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, wie allein schon der Vergleich zwischen Thailand und Malaysia auf der einen und den um zwei Drittel geringeren Löhnen in Vietnam zeigt. Schlußlicht sind Vietnams Nachbarstaat Kambodscha und Myanmar. In Kambodscha gelten wenig mehr als umgerechnet zwei US-Dollar als Tages-Mindestlohn – und in Myanmar (Burma) liegt der Satz bei umgerechnet knapp 60 US-Cent. Befürchtet wird nun, daß einige Firmen aus den höher entwickelten Staaten des Verbundes in diese Billiglohnländer abwandern könnten. Zudem bleibt abzuwarten, ob staatliche Kontrollen tatsächlich wie angekündigt erfolgen.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Januar 2013


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