Annäherung in Ost- und Südostasien
Erweiterter ASEAN-Gipfel in Kuala Lumpur
Von Werner Birnstiel
Am heutigen Mittwoch wird in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur Geschichte geschrieben.
Denn der Ostasien-Gipfel könnte Beginn eines Asiens ohne Grenzen werden. Eine besondere Rolle
spielt dabei China.
Ein weiteres Kraft- und Machtzentrum in einer multipolaren Welt gewinnt an Kontur. Denn das heute
in Kuala Lumpur beginnende und zum Ostasien-Gipfel aufgewertete 11. Treffen der ASEAN-Staaten
soll ein weiterer Meilenstein für das allmähliche Zusammenwachsen der Staaten Ost- und
Südostasiens werden. Diese Wertung treffen hochrangige chinesische Diplomaten, obwohl
Ministerpräsident Wen Jiabao ein Treffen mit seinem japanischen Amtskollegen Junichiro Koizumi
absagte, nachdem Koizumi Mitte Oktober demonstrativ nun zum fünften Mal seit seinem Amtsantritt
2001 den umstrittenen Yasukuni-Schrein besucht hatte.
China geht es in Kuala Lumpur vor allem darum, den Prozess des Zusammenwirkens der so
genannten 10+3-Staaten, also der ASEAN-Mitglieder, Chinas, Südkoreas und Japans
voranzutreiben, um sich der Errichtung einer Freihandelszone bis 2010 zu nähern. Peking kann
dabei von einer günstigen Grundstimmung in den ASEAN-Ländern und Südkorea profitieren. Denn
wurde China bis in die jüngste Vergangenheit noch als macht- und sicherheitspolitische Bedrohung
empfunden, so hat sich der Wind inzwischen gedreht. Vor allem seit 2003 wird zunehmend
anerkannt, dass gute Beziehungen zur Volksrepublik der eigenen Entwicklung dienlich sind.
Wichtigste Grundlage dafür ist ein Schub in den wirtschaftlichen Beziehungen. Denn im
Außenhandel mit den ASEAN-Staaten wird alljährlich ein Rekordvolumen erreicht, Japan hat seine
Wirtschaftskrise besser als erwartet bewältigt (Außenhandel mit China 2004: 142,72 Milliarden Euro)
und Südkorea verzeichnet ein Austauschvolumen, das etwa anderthalb Mal so hoch ist wie das
Chinas mit Deutschland (2004: 76,6 Mrd. zu 53,45 Mrd. Euro). Zudem hatten sich die
Anrainerstaaten 2004 auf einen Verhaltenskodex für den seit Jahrzehnten schwelenden Streit um
die territoriale Zugehörigkeit der Inselarchipele im Südchinesischen Meer geeinigt.
Die friedliche Aufteilung und Nutzung reicher Rohstoffvorkommen und die Nachschubsicherung für
den steigenden Energiebedarf, vor allem aber die rasch wachsenden Wirtschaftsbeziehungen
erfordern inzwischen aber auch Schritte in Richtung einer politischen Integration. Vor allem
Ökonomen und Unternehmer drängten deshalb seit Frühjahr dieses Jahres, das jetzige
Spitzentreffen in Kuala-Lumpur zur Keimzelle einer »Ostasiatischen Gemeinschaft« zu machen, in
der die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Großregion »gestaltbar bleibt«. An Bedeutung
gewinnt der Ostasien-Gipfel in Malaysias Hauptstadt überdies, weil neben den ASEAN+3-Staaten
auch Indien, Australien und Neuseeland am Verhandlungstisch sitzen und einer »Deklaration von
Kuala Lumpur« unter dem Motto »Eine Idee, eine Vision, eine Gemeinschaft« verabschieden wollen.
Die bisherige regionale Hegemonialmacht USA bleibt davon ausgeschlossen. Da Washington
dadurch seine geostrategischen Interessen gefährdet sieht, wurden in den letzten Monaten alte
Verbündete wie Japan, Australien und Singapur mobilisiert und neue Partner wie Indien unterstützt.
Auch Indonesien und Vietnam sollen in den Genuss kommen, »neue strategische Partner« der USA
sein zu dürfen. Im Kern geht es den Vereinigten Staaten darum, die Herausbildung einer regionalen
Sicherheits- und Wirtschaftsstruktur zu verhindern, an der sie nicht beteiligt sind – in der aber China
mit seiner Politik »Frieden und Entwicklung« eine führende Rolle spielt.
Wie problematisch vieles dabei noch ist zeigt sich darin, dass etwa Australiens Premier John
Howard politisch-militärisch im Sinne der USA ein »Recht« auf militärische Präventivschläge
beanspruchte. Zugleich möchte er sein Land wirtschaftlich stärker an die ASEAN und China binden,
um am Entwicklungsboom in der Region teilhaben zu können. Wie sich das im Verhältnis gegenüber
Peking auswirkt, zeigte sich im vergangenen Jahr: Da China gut zahlt und sich langfristig bindet,
akzeptierte einer der weltgrößten Rohstoffkonzerne, der australische Bergwerkskonzern BHP
Billiton, chinesische Stahlunternehmen mit einem Anteil von 40 Prozent als Partner für neue
Erzminen. Zugleich wurden Erzlieferungen im Wert von neun Milliarden US-Dollar vereinbart. Umfangreich sind auch australische Lieferungen von Flüssiggas.
So drängt sich die Frage auf, ob hinter Koizumis Besuch im Yasukuni-Schrein nicht doch mehr
steckt als reaktionäres Beharren gegenüber China und Südkorea. Tatsache ist, dass es Japan und
seinem politisch-militärischen »Übervater« USA darum geht, die strategische Führerschaft in Ost-
und Südostasien nicht zu verlieren und Konkurrenten wie China, Indien oder die ASEAN-Staaten
weiterhin in Schach zu halten. Dieser Politik Washingtons und Tokios dürfte sich die Mehrheit der
Staaten in Kuala Lumpur jedoch mehr oder weniger offen widersetzen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2005
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