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Fernöstlicher Gigantismus

Forum für asiatisch-pazifische wirtschaftliche Zusammenarbeit

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Das Forum der Staaten für Asiatisch-Pazifische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (APEC), das am Sonntag in Wladiwostok, im Fernen Osten Russlands, beginnt, ist nicht zuletzt eine Art Generalprobe für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi.

Der eigentliche Gipfel der Staatschefs findet am 7./8. September statt, zuvor treffen sich die Business-Eliten der Region, es gibt Investment-Foren und jede Menge Kultur. Einziger Wermutstropfen für Gastgeber Wladimir Putin: US-Präsident Barack Obama kommt nicht und ließ sich schon im Frühsommer mit Wahlkampf entschuldigen. Experten vermuten, der eigentliche Grund der Absage liege in der erneuten Abkühlung des amerikanisch-russischen Verhältnisses nach dem Machtwechsel im Kreml.

Reichlich vier Jahre hatte Russland für die Vorbereitung des Mega-Events Zeit und sparte dabei weder Anmut noch Mühe. Wladiwostok und die vorgelagerte Insel Russki - der eigentliche Tagungsort - wurden mit Planierraupen, Baggern und Kränen für die Moderne fit gemacht. Hunderte Kilometer Straßen wurden neu gebaut oder instandgesetzt, Paläste aus Glas und Stahlbeton zieren die Skyline, als wahres Wunder der Architektur gilt die vorige Woche eingeweihte Hängebrücke. Über zwei Kilometer lang, spannt sie sich über die Bucht des Goldenen Horns und verbindet beide Stadthälften. Die Fahrbahn ist fast 29 Meter breit, allein das Gewicht der Trossen an denen sie hängt, liegt bei 1755 Tonnen.

Über der Insel Russki wird zum Abschluss des Gipfels auch ein gigantisches Feuerwerk gezündet. Dafür hat Regierungschef Dmitri Medwedjew beim Finanzministerium fast eine viertel Milliarde Rubel locker gemacht - das sind umgerechnet etwa 6,4 Millionen Euro. Eine astronomische Summe, doch damit konnte Vizepremier Igor Schuwalow auf einer Pressekonferenz zum Thema am Dienstag kaum jemanden beeindrucken angesichts der Gesamtkosten.

Forum und Gipfel kosten den russischen Steuerzahler mindestens: 660 Milliarden Rubel - 16,5 Milliarden Euro - und damit das Vierfache dessen, was ursprünglich geplant war. Russland, so Schuwalow, müsse auf zwei Beinen stehen: dem europäischen und dem asiatischen Bein. Wladiwostok soll als Finanzplatz im Fernen Osten gleiche Bedeutung wie London für Europa erlangen.

Moskau will damit offenbar auch der schleichenden Invasion Chinas Grenzen setzen. Zehntausende Händler und Gewerbetreibende aus dem ganze 150 Kilometer entfernten Reich der Mitte haben sich hier bereits niedergelassen und drängen weiter in die dünn besiedelte Region vor. Die Einheimischen verfolgen es mit Sorge. Wer kann, setzt sich selbst nach Zentralrussland ab. Der Plan für die Entwicklung der strukturschwachen Region, wo die Uhren der Moskauer Zeit um sieben Stunden voraus sind, gehört daher zu den wenigen Förderprogrammen, die nicht gekürzt werden.

Beamte behaupten, die Baumaßnahmen zum Gipfel würden sich letztendlich für den Bürger auszahlen. Die Opposition ist sich da so sicher nicht. Als das Bauprogramm 2007 aufgelegt wurde, nörgelt der Vizechef des Haushaltausschusses im Parlament der Region Primorje, der Abgeordnete Igor Bespalow von der Kommunistischen Partei, sei von »nur« 145 Milliarden Rubel (3,7 Milliarden Euro) Finanzbedarf die Rede gewesen. Bald habe sich jedoch herausgestellt, dass das nicht reicht. 20 Objekte habe die Region daher mit eigenen Mitteln bauen müssen. Kostenpunkt: 48 Milliarden Rubel.

Dafür, so Bespalow, werde im Sozialbereich gespart, Polikliniken und Kitas in ländlichen Gegenden würden reihenweise geschlossen, die neue Straße zum Flughafen habe keine Anbindung an die umliegenden Ortschaften und sei nur Protokollstrecke. Auch seien die meisten Aufträge nicht an lokale, sondern an Moskauer Firmen vergeben worden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 01. September 2012


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