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Neue Pleite für Nabucco

Nichts zu befördern: EU-Gasleitungsprojekt vor dem Aus. Russische Dominanz ungebrochen. Lieferant Aserbaidschan bevorzugt anderen Kunden *

Nabucco ist an der kapitalistischen Konkurrenz gescheitert. Die geplante Gaspipeline galt als politisches Projekt. Maßgeblich von der EU-Kommission unterstützt sollte es die Dominanz russischer Pipelinebetreiber in Europa brechen und die Staaten der Union »unabhängig« von Moskau machen. Doch Nabucco war bisher eine leere Hülle, denn dem Vorhaben fehlten die einspeisenden Gasquellen. Nun ist auch das als letzte Hoffnung geltende aserbaidschanische Gasförderkonsortium Shah-Deniz II als potentieller Lieferant ausgefallen. Es erteilte dem Konsortium Trans-Adria-Pipeline (TAP) den Zuschlag für die Einspeisung des fossilien Energieträgers. Das teilte der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV am Mittwoch mit, der als einer der Projektführer von Nabucco gilt.

Politisch ist das voraussichtlich endgültige Scheitern eine Klatsche für Brüssel und all jene, die darauf erpicht waren, eine Gasversorgung Westeuropas ohne Rußland und dessen halbstaatlichen Konzernriesen Gasprom auf die Beine zu stellen und deren Einfluß auf die Belieferung der EU-Staaten zurückzudrängen. Einer der bekanntesten Lobbyisten für dieses politisch motivierte Anliegen war der frühere deutsche Außenminister und Grünen-Politiker Joseph (»Joschka«) Fischer. Auch für die von Energieimporten abhängige Türkei galt die Pipeline als Hoffnungsträger. Nabucco sollte Erdgas über die Türkei, Bulgarien und Ungarn bis Wien transportieren und dann zu weiteren Abnehmern liefern – bei einer Durchleitung des aserbaidschanischen Gases aus den riesigen Vorkommen im Kasischen Meer sollten die Türken mit einem Teil des Brennstoffs bezahlt werden.

OMV hat bislang rund 50 Millionen Euro in Nabucco investiert. Dies seien die bisher angefallenen Planungskosten, sagte Konzernchef Gerhard Roiss am Mittwoch. Das Geld sei jedoch für den Konzern nicht verloren und könne für andere Pipelineprojekte herangezogen werden. »Das Shah-Deniz-Konsortium hat entschieden, aserbaidschanisches Gas über Griechenland nach Süditalien zu leiten«, sagte Roiss. Das ist die geplante Route des Nabucco-Konkurrenzprojekts TAP. Grund dafür seien die höheren Gaspreise in Griechenland und Italien gewesen. Das TAP-Konsortium wollte sich dazu nicht äußern. Offiziell will der aserbaidschanische Lieferant die Entscheidung erst am Freitag bekanntgeben. »Zunächst einmal ist das Projekt Nabucco für uns beendet«, so Roiss.

Der Zuschlag von Shah-Deniz für TAP war offenbar einer für das bessere Angebot. Das deutete am Mittwoch auch die konservative Athener Zeitung Kathinerini auf ihrer Homepage an. Vorangegangen war dem Deal offenbar ein Treffen des Regierungschefs Antonis Samaras mit Vertretern des Konsortiums in der griechischen Hauptstadt. Eine TAP-Sprecherin wollte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa keinen Kommentar dazu abgeben. Die Pipeline soll von der Türkei aus durch Griechenland und Albanien nach Italien verlaufen.

Aus Kreisen des griechischen Finanzministeriums hieß es, die endgültige Entscheidung für die TAP solle am Freitag oder am Wochenende in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku veröffentlicht werden. Das Konsortium besteht aus E.on Ruhrgas (15 Prozent), dem norwegischen Konzern Statoil und dem schweizerischen EGL (jeweils 42,5 Prozent).

Russischen Medien zufolge hatten sich Vertreter des Lieferantenkonsortiums am Dienstag in der aserbaidschanischen Botschaft in Budapest mit Vertretern des TAP- und des Nabucco-Konsortiums getroffen. Dabei sei dem TAP-Direktor Kjetil Tungland und dem Geschäftsführer für die Nabucco-Pipeline, Reinhard Mitschek, die Entscheidung der ehemaligen Sowjetrepublik mitgeteilt worden.

Das Gasfeld »Shah Deniz II« unter dem Kaspischen Meer birgt nach aktuellen Erkenntnissen riesige Vorkommen. Gefördert werden könnten Schätzungen zufolge jährlich bis zu 20 Milliarden Kubikmeter.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 27. Juni 2013

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