Russland sondiert Karabach-Lösung
Moskau mit Baku und Jerewan im Gespräch
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die Sondierungen seien in einem »fortgeschrittenen Stadium«, die Konfliktparteien scheinen bereit
zu sein, nach einer »realen Lösung zu suchen«. So bilanzierte Russlands Präsident Dmitri
Medwedjew die Ergebnisse seiner jüngsten Gespräche mit dem armenischen Staatsoberhaupt
Sersh Sarkisjan in Jerewan.
Zentrales Thema der Gespräche in Jerewan waren Bemühungen um eine Friedenslösung für
Bergkarabach – eine Region, die formell zu Aserbaidshan gehört, aber von Armeniern bewohnt wird
und sich 1988 in die Unabhängigkeit verabschieden wollte. Der anschließende fast sechsjährige
Krieg, bei dem sich Armenien mit regulären Einheiten auf der Seite der Separatisten engagierte,
machte 1,3 Millionen Menschen zu Flüchtlingen, 25 000 Aseri und 17 500 Armenier kamen ums
Leben. Friedensverhandlungen unter Ägide der von der OSZE eingesetzten Minsker Gruppe, die
1994 einen Waffenstillstand erzwang, treten seither auf der Stelle.
Aserbaidshan will über den Status Bergkarabachs erst verhandeln, wenn die Armenier zuvor jene
aserbaidshanischen Gebiete zurückgeben, die sie besetzt haben, um einen Korridor zwischen der
strittigen Region und dem »Mutterland« Armenien herzustellen. Armenien wiederum besteht vor der
Rückgabe auf einem Referendum, weigert sich jedoch, auch die Aseri, die bis 1988 in Karabach
lebten, an der Abstimmung über die Zukunft der Region zu beteiligen.
Russland, das zu den Garantiemächten des Waffenstillstands gehört, stand beim
Konfliktmanagement bisher auf Seiten seines traditionellen Verbündeten Armenien, obwohl das ölund
gasreiche Aserbaidshan auf längere Sicht der attraktivere Partner ist. Es ließ daher aufhorchen,
dass Medwedjew Aserbaidshan bereits Anfang Juli – lange vor der Reise nach Armenien – seinen
Antrittsbesuch abstattete. Er bot seinem aserbaidshanischen Kollegen Ilham Alijew an, die gesamte
Gasförderung der Republik zu Weltmarktpreisen aufzukaufen. Moskau wollte verhindern, dass
Aserbaidshan sich am Nabucco-Projekt beteiligt, einer Rohrleitung, mit der sich die EU unter
Umgehung Russlands den Zugriff auf die Gasfelder der Kaspi-Region sichern will. Gastgeber Alijew
indes machte seine Zustimmung von Fortschritten bei den Verhandlungen über Bergkarabach
abhängig.
Das und der August-Krieg mit Georgien, in dessen Ergebnis Russland seine Position im
Südkaukasus erheblich verbessern konnte, sorgten dafür, dass auch der Westen den eingefrorenen
Konflikt um Bergkarabach wieder entdeckte. Ende September reiste Matthew Bryza, Washingtons
bisher erfolgloser Sonderbeauftragter für den Südkaukasus, nach Baku und Jerewan. Fast zeitgleich
präsentierten Aserbaidshan und die Türkei einen Plan, der vorsieht, auch Armenien am Nabucco-
Projekt zu beteiligen, wenn dessen Führung sich in Sachen Bergkarabach bewegt. Überdies wollen
Ankara und Baku in diesem Falle ihre seit 1993 geschlossenen Grenzen zu Armenien öffnen. Für
die rohstoffarme Republik, die momentan nahezu den gesamten Außenhandel über Iran abwickeln
muss, ist das ein verlockendes Angebot.
Russland ist sich dessen bewusst und sieht Handlungsbedarf – schon deshalb, weil Armenien durch
wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen mittelfristig auch zu einem Wechsel des politischen
Lagers verführt werden könnte. Der aber würde den Bodengewinn, den Moskau durch die
Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens in der Region verbuchen kann, wieder
zunichte machen. Einen Ausweg aus der verzwickten Lage könnten neue Karabach-Verhandlungen
unter russischer Schirmherrschaft weisen.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2008
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