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Offene Wunde Berg-Karabach

Aserbaidshans Staatschef Ilham Alijew: Unsere Geduld ist erschöpft

Von Detlef D. Pries *

Ilham Alijew steht – als Nachfolger seines Vaters Heidar Alijew – seit 2003 an der Spitze Aserbaidshans. Am Donnerstag sprach der 45-jährige Präsident in Berlin über »Aserbaidshan im 21. Jahrhundert«.

In Rufweite des Hotels »Adlon« stand, von Polizisten gut »geschützt«, ein Dutzend junger Leute unter aserbaidshanischer Flagge. »Stoppt die Diktatur«, las man auf einem Transparent. Den Präsidenten erreichte die Kritik jedoch nicht. Im Ballsaal des Nobelhotels hörte Ilham Alijew – von der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Vortrag geladen – nur Freundliches.

Mit einem Wirtschaftswachstum von mehr als 30 Prozent im letzten Jahr präsentierte Alijew Aserbaidshan als einen der dynamischsten Staaten der Welt, vor allem dank seiner Erdölproduktion, die von 9 Millionen Tonnen 1998 auf rund 50 Millionen Tonnen im kommenden Jahr ausgeweitet werden soll. Zwar sei die Mehrheit der Bevölkerung nach dem Zerfall der Sowjetunion verarmt, gab er zu, doch nachdem der wirtschaftliche Niedergang 1996 aufgehalten werden konnte, habe sich der Anteil der Armen allein zwischen 2003 und 2006 von 49 auf 20 Prozent verringert. Zweimal jährlich würden die Renten angehoben, 500 Schulen habe man gebaut, eine halbe Million Arbeitsplätze außerhalb des Ölsektors geschaffen ... Kurz: Das Land ist auf dem besten Wege. Voraussetzung dessen sei natürlich politische Stabilität.

Fast wähnte man das »Land des Feuers« sorgenfrei, wenn Alijew nicht ausführlich sein »Problem Nr. 1« beschrieben hätte – Berg-Karabach. Die armenische Bevölkerung des Gebiets inmitten aserbaidshanischen Territoriums hat sich im Dezember in einem international nicht anerkannten Referendum erneut für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Doch sein Land werde eine solche Unabhängigkeit »nie« anerkennen, versicherte Alijew. Es handle sich um historisches aserbaidshanisches Gebiet, auf dem das zaristische Russland einst Armenier angesiedelt habe, die allmählich zur Mehrheit wurden. Man biete ihnen einen hohen Grad an Selbstbestimmung an, aber unabhängig werde Berg-Karabach niemals sein. Es gebe doch schon einen armenischen Staat, wie viele Staaten wollten die Armenier denn noch, fragte der Präsident unter Hinweis darauf, dass Armenier in vielen Ländern der Welt leben. (Hätte er in seiner Argumentation die »Armenier« durch »Albaner« ersetzt, wäre übrigens eine perfekte Beschreibung des Kosovo-Problems aus serbischer Sicht herausgekommen.) Über zehn Jahr verhandle man schon mit Armenien, doch Jerewan ignoriere alle Vorschläge und Resolutionen. Dabei sollte man dort doch wissen, dass Aserbaidshan dank seines Wirtschaftsbooms auch seine Armee stärke. Sein Verteidigungsbudget belaufe sich derzeit auf 1 Milliarde Dollar, das entspreche dem gesamten Staatshaushalt Armeniens. Nein, einen Krieg wolle man nicht beginnen, aber tatenlos zusehen oder weitere zehn Jahre ergebnislos verhandeln werde man auch nicht. Die Geduld der Aserbaidshaner sei erschöpft. Die Besatzer müssten abziehen, die Flüchtlinge zurückkehren dürfen. Immerhin seien von 8,5 Millionen Bewohnern seines Landes eine Million Flüchtlinge.

Schon die Frage mit einem herzlichen Dank für die erwartete Antwort verbindend, wollte jemand aus dem Publikum zum Schluss wissen, ob zu einem modernen Staat, als den Alijew seine Heimat beschrieben hatte, nicht auch eine starke Opposition gehöre. Durchaus, entgegnete der Präsident. Auch er hätte gerne ein »normales politisches System«, nur sei es nicht seine Aufgabe, die schwache, bei Wahlen mehrfach durchgefallene Opposition zu stärken.

Die Gäste waren's zufrieden, applaudierten und strömten ans Büffet. Die Alijew-Kritiker vor dem Hotel hatten sich inzwischen auch längst zurückgezogen.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2007


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