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Aserbeidschan: Im Zweifel für Alijew

Der Testfall für die demokratische Läuterung droht zu scheitern

Von Markus Bernath*

Die Politik der sanften Reform endet in der Wahlnacht, eine halbe Autostunde von Bakus Zentrum entfernt. Dort, im Wahlkreis des aserbaidschanischen Oppositionsführers Ali Kerimli, hat die Polizei die Auszählung der Stimmen in die Hand genommen. "Alles lief normal, alle Stimmen waren ausgezählt", berichtet Kaukas Mamedow, ein kleiner Mann im Anzug, der in Surahane, im Wahlkreis des Oppositionsführers, als Beobachter im Wahllokal saß. Auf Kerimli seien 220 Stimmen entfallen, auf Ali Garahanow, den Kandidaten der regierenden Neuen Aserbaidschan Partei (YAP) 148. "Doch dann kamen plötzlich drei Polizisten herein und beschlagnahmten die Stimmzettel." Die Schule wurde kurzerhand zugesperrt, Mamedow und andere aus der Wahlkommission mussten im Gebäude bleiben. "Die ganze Welt wird sehen, dass es keine gerechten Wahlen in Aserbaidschan gibt", sagt er nun.

3.000 "Vorkommnisse" melden die Wahlbeobachter der OSZE am Abend des Wahltages aus ganz Aserbaidschan, in 43 Prozent der besuchten Wahllokale sei die Auszählung "schlecht oder sehr schlecht" gewesen, lautet das Urteil. "Aserbaidschans Verpflichtungen zu einem demokratischen Votum sind nicht erfüllt worden", sagt Alcee Hastings, als US-Kongressabgeordneter und Präsident des OSZE-Parlaments einer der Wahlbeobachter. Applaus unter den aserbaidschanischen Journalisten und den internationalen Delegierten brandet im Guba-Ballsaal des Hyatt-Hotels in Baku auf. Es ist Montag, der Tag nach der Parlamentswahl, und OSZE und Europarat sprechen vor mehreren hundert Zuhörern ihr Urteil.

Staatschef Ilham Alijew habe von Anfang an einen Kasten um diese Wahl gebaut, sagt ein britischer Beobachter später, und die internationale Gemeinschaft habe versucht, diesen Kasten zu vergrößern. So verbot die Regierung Wahlkundgebungen der Opposition in Baku: in einem Radius von 300 Metern um staatliche Behörden seien keine Demonstrationen erlaubt - daraufhin begannen OSZE-Mitarbeiter auszumessen, wo die Versammlungsfreiheit in der Stadt unter dieser Maßgabe garantiert wäre. Ein weiteres Beispiel: Die Juristen des Europarats rieten zum Einsatz von Tinte, um die Finger der Wähler zu markieren und so mehrfache Stimmabgaben zu verhindern - Aserbaidschan sei keine Bananenrepublik, entgegnete der Parlamentspräsident. Zwei Wochen vor der Wahl ordnete der Staatschef dann doch die Verwendung von Tinte an, zu spät, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen - und prompt war in einigen Wahllokalen die Tinte löslich, in anderen soll Wasser verwendet worden sein.

Aserbaidschan war für den Westen der erste Testfall eines demokratischen Übergangs, der nicht über eine zweifelhafte, von Oligarchen oder internationalen Medien getragene "Revolution" erfolgen sollte. Die ölreiche Republik an der Grenze zum Iran ist ein strategischer Pfeiler für die Weltenplaner im Weißen Haus: 13,6 Milliarden Dollar sollen ausländische Unternehmen seit dem "Jahrhundertvertrag" von 1994 in den aserbaidschanischen Ölsektor und die neue Pipeline an die türkische Mittelmeerküste investiert haben; für 2006 prognostiziert Baku ein fabulöses Wirtschaftswachstum von 38 Prozent. Washington wie die EU-Regierungen wollten wohl keinen Machtwechsel am Kaspischen Meer, doch vorzeigbare faire Wahlen - das Experiment scheint gescheitert.

"Aserbaidschan ist Europas Nordkorea", sagt Lala Schowket, die Vorsitzende der Liberalen Partei, nach dem Wahlsonntag. "Wir haben eine Dynastie. Auf Schritt und Tritt sehen wir Vater und Sohn auf Porträts. Für solche Regimes ist es wichtig zu sagen, dass das Volk noch nicht bereit für die Demokratie ist." Staatschef Ilham Alijew, der bei ähnlich manipulierten Wahlen im Jahr 2003 das Amt seines verstorbenen Vaters Haidar übernommen hatte, formuliert das zwar nicht so direkt. Vertreter der Regierungspartei und Diplomaten halten sich aber weniger zurück: Demonstrationen des Azadlyg-Bündnisses in der Innenstadt von Baku seien auch deshalb verboten worden, weil sich dessen Anhänger nicht zu benehmen wüssten und ohne Zweifel die Schaufenster der Boutiquen einschlagen würden. Die frühere Ministerin Schowket, die als "moderate Oppositionelle" gilt und selbst einen Parlamentssitz gewonnen hat, will sich nun auch an den Protesten von Ali Kerimli und Azadlyg beteiligen. "Sollen wir vielleicht zu Hause sitzen und den Mund halten, so dass die Welt denkt, das hier sei ein Sklavenstaat?"

Die drei Parteien des "Freiheitsbündnisses" - die Volksfront, die Gruppierung Musavat ("Gleichheit") und die Demokratische Partei - sind nach den Wahlen schwächer im Parlament mit seinen 125 Sitzen vertreten. Kerimlis Volksfront kommt offiziell nur noch auf zwei von vormals sechs Sitzen, die Demokraten gingen ganz leer aus. Nur Musavat wuchs leicht und entsendet sechs statt der bisherigen vier Abgeordneten. Ihre Mandate wollen sie allerdings nicht annehmen. Statt dessen rufen Kerimli und Musavat-Chef Isa Gambar dazu auf, solange zu demonstrieren, bis die Parlamentswahl für ungültig erklärt sein wird.

* Aus: Freitag 45, 11. Novem,ber 2005


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