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Weitere fünf Jahre für Sargsjan

Amtsinhaber wurde bei Präsidentenwahl in Armenien bestätigt

Von Irina Wolkowa, Jerewan *

Keine Überraschungen brachten die Präsidentenwahlen in Armenien am Montag: Das neue Staatsoberhaupt ist das alte.

Die Verdienste Sersch Sargsjans bei der »Festigung der Eigenstaatlichkeit Armeniens« seien »unbestritten«. Eigentlicher Sieger der Präsidentenwahlen am Montag, die den 2008 gewählten Sargsjan mit knapp 59 Prozent der Stimmen für weitere fünf Jahre im Amt bestätigten, sei jedoch das armenische Volk. Das sagte jedenfalls der Zweitplatzierte auf einer Pressekonferenz am Montagabend: Raffi Owannisjan, einst Außenminister, hatte bei der Abstimmung rund 37 Prozent eingefahren. Die anderen fünf Kandidaten bekamen zwischen 0,24 und 2,2 Prozent der Stimmen.

Die Wahlbeteiligung lag bei nur 60,5 Prozent und war damit niedriger als je zuvor. Beobachter erklärten die Abstinenz mit dem Fehlen einer »realen Alternative«. Teile der liberalen Opposition hatten die Abstimmung boykottiert, sie und viele der 3,2 Millionen Wahlberechtigten hatten Zweifel, ob bei der Auszählung alles mit rechten Dingen zugehen werde. 2008 waren Proteste gegen Manipulationen zu Massenunruhen mit Toten und Verletzten eskaliert. Derzeit deutet nichts auf eine Wiederholung hin.

Die Mehrheit der Armenier den 58-jährigen Sargsjan zwar für einen nur mittelmäßig begabten Krisenmanager, aber für den derzeit besten unter den schlechten. Überdies ist der Präsidentenposten in Armenien angesichts der enormen wirtschaftlichen und sozialen Probleme eine Herausforderung, mit der selbst Titanen überfordert wären. Das rohstoffarme Land im Südkaukasus leidet schwer unter den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise und unter einer langjährigen Blockade. Die Grenzen zu Aserbaidshan sind seit Beginn des Streits um die Region Berg-Karabach geschlossen. Aus Solidarität mit den ethnischen Auch die Türkei, mit den Aserbaidshanern ethnisch und religiös verwandet, machte 1991 ihre Grenzen zu Armenien dicht. Die Republik ist seither gezwungen, ihren Außenhandel über den georgischen Schwarzmeerhafen Poti, vor allem aber über Iran abzuwickeln. Investoren halten sich daher zurück und der Fremdenverkehr kommt nicht auf die Füße, obwohl Armenien reich an historischen Sehenswürdigkeiten und Naturschönheiten ist. In den Maschinen der Fluggesellschaft Armavia sitzen daher vor allem Auswanderer: Junge, gut ausgebildete und motivierte Leute, die von dem Elend zu Hause die Nase voll haben. Die Arbeitslosenquote liegt bei 16 Prozent, gut ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, der Rest mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von umgerechnet knapp 300 US-Dollar nicht weit davon entfernt.

Der 39-jährige EDV-Ingenieur Aschot Bagramjan macht für die Misere Clanwirtschaft und alte Denkstrukturen verantwortlich. Junge Leute, meint er, müssten an die Macht, sie würden den Karabach-Konflikt mit Aserbaidshan einvernehmlich lösen, das Verhältnis zur Türkei normalisieren und wirtschaftliche Reformen vollenden. Um deren Modalitäten ging es schon bei den ersten von bisher sechs Präsidentenwahlen seit dem Ende der Sowjetunion. Damals kehrten Oppositionsparteien, die schon vor der Oktoberrevolution gegründet worden waren und die Sowjetära im Exil mit Geldern der armenischen Diaspora überstanden hatten, in die Republik Armenien zurück. Doch nicht sie machen bei Wahlen das Rennen, sondern Neugründungen der im Lande gebliebenen Eliten. Die meisten sind der politische Arm von Clanbündnissen. Seit Ende der 90er Jahre hat der Karabach-Clan die Nase vorn. Zu ihm gehören sowohl Sargsjan als auch dessen Amtsvorgänger und politischer Ziehvater Robert Kotscharjan.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. Februar 2013


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