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"Arctic Sunrise" schafft Eiszeit

Streit um Greenpeace-Schiff vertieft Krise zwischen Rußland und Niederlanden

Von Gerrit Hoekman *

Die Beziehungen zwischen Rußland und den Niederlanden sind seit einigen Monaten ein wenig frostig. Der Streit um das Greenpeace-Schiff »Arctic Sunrise« ist da nur die Spitze des Eisbergs. Mitte September kaperte die russische Küstenwache den unter niederländischer Flagge fahrenden Eisbrecher und schleppte ihn in den Hafen von Murmansk, wo er seitdem an der Kette liegt. Die Aktivisten der Umweltschutzorganisation hatten im Polarmeer die russische Ölplattform »Prirazlomnaja« attackiert. Weil Rußland das Schiff festhält und die 30 Besatzungsmitglieder inhaftiert hat, klagte Den Haag vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg. Die 21 Richter aus aller Welt verurteilten Moskau am vergangenen Freitag dazu, die »Arctic Sunrise« herauszugeben und die Besatzung aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Die Niederlande müssen dafür bis zur Verhandlung eine Kaution von 3,6 Millionen Euro hinterlegen. Rußland war zu dem Verfahren nicht erschienen, weil es den Seegerichtshof in diesem Fall als nicht zuständig betrachtet. Es gehe um die Souveränität des Landes, nicht um den Schutz in internationalen Gewässern.

Fast zeitgleich mit dem Richterspruch in Hamburg hatte Moskau bereits begonnen, nahezu die gesamte Greenpeace-Mannschaft gegen eine Bürgschaft zu entlassen. Sie dürfen St. Petersburg, wo sie inhaftiert waren, allerdings nicht verlassen. Einzig der Australier Colin Russell muß weiterhin im Gefängnis bleiben, über die Gründe machen die russischen Behörden keine Angaben. Präsident Wladimir Putin gibt sich um Schlichtung bemüht: »Traten sie für ein nobles Ziel ein? Ja. Durften sie auf eine Plattform klettern? Nein. Aber natürlich muß der Staat Gnade walten lassen«, zitierten ihn am Wochenende niederländische Zeitungen. Als Putin im April nach Den Haag kam, um mit Königin Beatrix feierlich das »Russisch-Niederländische Jahr 2013« zu eröffnen, waren die Beziehungen noch bestens. So war es meistens, seit sich 1697 der grausame Zar Peter I auf einer Werft bei Amsterdam vier Monate lang unter falschem Namen zum Schiffszimmermann ausbilden ließ und zum Holland-Fan wurde.

Aber im Rußland-Jahr war der Wurm drin, nicht nur wegen der »Arctic Sunrise«. Die rigiden Gesetze der russischen Regierung gegen Homosexuelle haben in Den Haag für wütenden Protest gesorgt. Außenminister Frans Timmermans kündigte an, Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender aus Rußland könnten ihre Sexualität in den Niederlanden in Zukunft als Asylgrund geltend machen. Er forderte, die Verhandlungen zwischen Rußland und der EU über einen visafreien Reiseverkehr müßten an eine deutliche Verbesserung der Situation für Schwule und Lesben verknüpft werden. »Das ist absurd«, zitierte das Nachrichtenportal Nu.nl dagegen einen Sprecher des russischen Außenministeriums.

Anfang Oktober stürmte dann ein Sonderkommando der niederländischen Polizei das Haus des russischen Botschaftsrats Dimitri Borodin in Den Haag und nahm den Diplomaten vorübergehend fest. Nachbarn hatten ihn angezeigt, weil er angeblich seine Kinder schlägt. Moskau protestierte scharf und fordert eine Strafe für die verantwortlichen Beamten, die niederländische Regierung lehnt das aber ab. »Die neue holländische Krankheit: ab sofort darf die Polizei in Den Haag Diplomaten schlagen und verhaften«, twitterte der prominente Außenpolitiker Alexei Puschkow. Die Beamten sollten sich in Zukunft lieber um Pädophile kümmern als um russische Botschaftsangehörige.

Nur ein paar Tage später überfielen Unbekannte den niederländischen Vizebotschafter Onno Elderenbosch in seiner Wohnung in Moskau, verletzten ihn leicht und hinterließen die Parole LGBT – das englische Kürzel für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Da paßte der kleine Zwischenfall beim Staatsbesuch des niederländischen Königspaars in Moskau Anfang November genau ins Bild: Eine Tomate verfehlte Maxima und Willem-Alexander nur knapp. Der Werfer, offenbar ein Mitglied der Nationalbolschewistischen Partei, wollte an den russischen Oppositionellen Alexander Dolmatow erinnern, der sich Anfang des Jahres in einer Zelle in den Niederlanden umgebracht hatte. Er hatte Angst, abgeschoben zu werden.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 27. November 2013


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