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Greenpeace-Aktivisten droht Verfahren wegen Piraterie

Umweltschützer beklagen ihrerseits russischen Rechtsverstoß

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Nicht mehr und nicht weniger als ein Prozess wegen Piraterie droht den rund 30 Greenpeace-Aktivisten, die in der vergangenen Woche versucht hatten, eine russische Ölbohrplattform in der Petschorasee, einem Randgewässer der Barentssee, zu besetzen.

Die Plattform »Priraslomnaja«, die die Greenpeace-Aktivisten entern wollten, gehört dem staatsnahen russischen Monopolisten Gazprom. Gemeinsam mit dem britisch-niederländischen Ölgiganten Shell will Gazprom 2014 mit der Förderung beginnen. »Käme es auf dieser Plattform zu einem Unfall«, warnte Roman Dolgow, Chef des Arktisprogramms von Greenpeace schon im August vergangenen Jahres, »würde ein Gebiet doppelt so groß wie Irland verseucht.« Auf 3500 Kilometer Länge könnte die Küste mit einer giftigen Ölschicht überzogen werden, die sich in der Arktis kaum abtragen lässt. Betroffen wären auch Naturschutzgebiete mit bedrohten Tierarten wie Walrossen und Weißwalen, die nur 50 Kilometer von der Bohrinsel entfernt sind.

Umweltschützer, die mit Booten vom Greenpeace-Schiff »Arctic Sunrise« übergesetzt hatten, versuchten vor einer Woche, die Bohrinsel zu erklimmen. Deren Wache setzte zur Abwehr Wasserwerfer ein, zuletzt auch Metallteile. Dann seilten sich von einem Hubschrauber der russischen Küstenwache Spezialkräfte auf das Deck der »Arctic Sunrise« ab, die unter niederländischer Flagge fährt. Das Schiff wurde anschließen in den Marinehafen Seweromorsk geschleppt, die Aktivisten selbst – nur vier sind Bürger Russlands, der Rest vor allem US-Amerikaner, Finnen, Schweden, Niederländer – wurden Dienstagabend in verschiedene Untersuchungshaftanstalten in Murmansk gebracht, wo sie derzeit vernommen werden. »Zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden alle Personen, die die Plattform attackiert haben, unabhängig ihrer Staatsangehörigkeit«, betonte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde bei der russischen Generalstaatsanwaltschaft, die zunächst sogar wegen Terrorismus ermitteln wollte. Die Umweltschützer hätten nicht nur einen »Anschlag auf die Souveränität des Staates« verübt, sondern auch auf die ökologische Sicherheit. Der Zwischenfall auf der Bohrinsel hätte zu einer Havarie mit irreversiblen Folgen führen können, erklärte der Sprecher.

Das Kapern der »Arctic Sunrise« verstoße gegen internationales Recht, hieß es dagegen bei Greenpeace, die Bohrinsel liege nicht in russischen Hoheitsgewässern, sondern in der 200-Meilen-Wirtschaftszone, wo es keine Einschränkungen für die internationale Schifffahrt gibt. Zuvor hatte Wladimir Tschuprow, bei Greenpeace Russland Chef der Energieabteilung, die sofortige Freilassung aller Festgenommenen verlangt.

Die Greenpeace-Aktivisten seien zwar ganz offensichtlich keine Piraten, gab Russlands Präsident Wladimir Putin zu. Sie hätten jedoch versucht, »sich der Bohrplattform zu bemächtigen«, und damit das Völkerrecht verletzt, sagte der Staatschef am Mittwoch beim internationalen Arktis-Dialogforum im subarktischen Salechard, wo es ebenfalls vor allem um Umweltschutz geht. »Unsere Rechtsschutzbehörden, unsere Grenzer, wussten nicht, wer versucht, diese Bohrplattform unter dem Deckmantel der Greenpeace-Organisation einzunehmen«, versicherte Putin und bedauerte, dass die Greenpeace-Aktivisten nicht an dem Forum teilnehmen, wo man Sorgen äußern und über Lösungsvorschläge mitdiskutieren könne.

Die Reaktionen der russischen Öffentlichkeit sind zwiespältig. Sogar kritischen Medien wie Radio »Echo Moskwy« geht die versuchte Besetzung der Bohrplattform zu weit. Die Aktivisten hätten jedoch keine Waffengewalt angewendet und gehörten daher allenfalls wegen Rowdytums vor den Richter. Mit den Piraterie-Vorwürfen fange sich die Macht lediglich neue internationale Kritik wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit ein.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. September 2013


Dazu weitere Meldungen aus Russland

Russland will weiter nach Arktis-Öl bohren

MOSKAU, 26. September (RIA Novosti). Russland erschließt weiterhin Vorkommen auf dem arktischen Festlandsockel, schreibt die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ am Donnerstag.

Diese Absicht gab Präsident Wladimir Putin gestern auf einem internationalen Arktis-Forum im sibirischen Salechard zu verstehen. „Voriges Mal haben wir bereits darüber gesprochen, dass derzeit ein neues Kapitel in der Geschichte der Arktis beginnt, das sich als Epoche des industriellen Durchbruchs bezeichnen lässt, als intensive wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung“, betonte er. „Für uns ist offensichtlich, dass bei der Entwicklung der Arktis der Umweltschutz und die Wirtschaftsaktivitäten im Einklang stehen müssen. Besonders wichtig ist das in Bezug auf die Arktis mit ihren anfälligen Ökosystemen und ihrem sensiblen Klima, die das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten bestimmen.“ Russland wisse von seiner Verantwortung für eine stabile Umwelt, beteuerte Putin.

Laut dem Kreml-Chef ist die Nutzung der arktischen Bodenschätze mit vielen Vorbehalten verbunden. „Rechte zur Erdölförderung im Eis werden nur Unternehmen bekommen, die mit modernsten Technologien arbeiten und ihre Aktivitäten entsprechend finanzieren können“, so der russische Staatschef. Zugleich kündigte er eine Ausweitung der Naturschutzgebiete an, die derzeit mit 322 000 Quadratkilometern etwa sechs Prozent des russischen Arktis-Gebietes ausmachen.

Der Umweltschutz sollte aber nicht die wirtschaftliche Entwicklung der Region bremsen, warnte Putin. Die Frage bestehe nur darin, wie die Erschließung der Arktis und die Minimierung der Umweltschäden zu vereinbaren seien. „Das ist natürlich schwierig, aber das müssen wir anstreben. Ich bin sicher, dass wir das schaffen“, ergänzte er.

Große Zweifel an einer naturschonenden Erschließung der Arktis haben Umweltaktivisten. Wladimir Tschuprow von Greenpeace in Russland begrüßte Putins Aufruf zu „hohen Standards“ bei der Ölförderung in der Arktis. „Greenpeace wies die Behörden mehrmals darauf hin, dass viele Ölförderprojekte mit Gefahren verbunden sind“, sagte er. Als warnendes Beispiel sei die Bohrinsel „Prirazlomnaja“ angeführt worden, bei der 140 Quadratkilometer Gewässer verschmutzt werden könnten und Gazprom keinen geeigneten Plan zur Beseitigung der möglichen Folgen einer Ölpest habe.

30 Greenpeace-Aktivisten waren in der vergangenen Woche an der russischen Ölbohrinsel „Prirazlomnaja“ im Nordpolarmeer während einer Protestaktion festgenommen worden. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft wegen „bandenmäßiger Piraterie“.

Der Position von Greenpeace stimmt auch die Naturschutzorganisation WWF zu. Dem Direktor des WWF-Arktisprogramms, Alexander Schestakow, zufolge gibt es derzeit „keine Technologien zur Ölpestbeseitigung in Eisgebieten, so dass die mit den in der Projekten in der Arktis verbundenen Risiken kolossal sind.“ Dabei berief er sich auf die Ergebnisse einer Studie der Versicherungsgesellschaft Lloyd’s, deren Experten zu den gleichen Schlüssen gekommen seien.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. September 2013; http://de.rian.ru


Putin: Wer ans Arktis-Öl will, braucht High-Tech und Finanzen

SALEHARD, 25. September (RIA Novosti). Das Recht, Erdöl in der Arktis zu fördern, werden nur Unternehmen erhalten, die über Methoden für die Erschließung der Ölteppiche unter dem Eis und hinreichende finanzielle Möglichkeiten verfügen, so der russische Präsident Wladimir Putin auf dem internationalen Forum Dialograum Arktis.

„Die Grundlagen unserer Staatspolitik in der Arktis sehen auch die Schaffung von besonderen Bedingungen für die Naturnutzung vor. Insbesondere werden nur solche Unternehmen, die über modernste Technologien verfügen und natürlich ihre Arbeit in finanzieller Hinsicht sichern können, nach wie vor das Recht erhalten, Erdöl unter den Eisverhältnissen zu fördern“, so Putin.

Seinen Worten nach hat Russland die Absicht, das Netz der besonders stark geschützten Territorien in der Arktiszone zu vergrößern.

„Wir haben vor, das Netz der besonders geschützten Naturterritorien in der Arktiszone wesentlich zu erweitern. Heute nehmen sie etwa sechs Prozent der russischen Arktis ein. Das sind fast 322 000 Quadratkilometer. Wir planen, ihre Fläche um ein Mehrfaches zu vergrößern“, so Putin.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 25. September 2013; http://de.rian.ru


Nur Gazprom und Rosneft dürfen Arktis-Vorkommen erschließen

MOSKAU, 24. Juli (RIA Novosti). Die Energiekonzerne Gazprom und Rosneft haben von den russischen Behörden den Zuschlag für die Erschließung der Öl- und Gaslagerstätten im Arktisschelf bekommen, schreibt die Zeitung „Nowyje Iswestija“ am Mittwoch (26. Juli).

Somit ist auch das Thema, ausländische Unternehmen an der Erschließung der Arktis-Vorkommen zu beteiligen, bei der russischen Regierung vom Tisch.

Dennoch hoffen die russischen Behörden weiterhin auf den Einstieg ausländischer Investoren in das Jahrhundertprojekt. Vor kurzem veröffentlichte die Regierung erstmals die Gesamtmenge der nationalen Öl- und Gasvorräte.

Branchenkenner führen diese Transparenz auf den Umstand zurück, dass der Rückstand der russischen Unternehmen auf die westlichen Konkurrenten, der trotz der hohen Ölpreise nicht verkürzt werden kann, nach wie vor groß ist. Da die Öl- und Gasförderung viel Geld in die Staatskasse spült, drohen der russischen Wirtschaft in mittel- und langfristiger Perspektive katastrophale Folgen, sollte sich an der aktuellen Situation nichts ändern.

Bis 2020 werde Russlands Ölförderung um 19 Prozent schrumpfen, falls nicht sofort mit der Erschließung von neuen Vorkommen in Ostsibirien und im Arktisschelf begonnen werde, warnte der Geologe Alexej Warlamow. Die jetzigen Ölfelder gingen langsam zur Neige und würden bereits in den nächsten Jahren keinen Profit mehr abwerfen, so der Experte. Die Erschließung neuer Vorkommen sei jedoch mit hohen Kosten verbunden, vor allem für den Ausbau der Infrastruktur und den Straßenbau.

60 Prozent der gesamten Ölfördermenge in Russland entfallen auf den Autonomen Bezirk der Chanten und Mansen. Allerdings werden dort seit einigen Jahren Gewinneinbußen hingenommen. Dabei entfielen auf die Öl- und Gasbranche in den vergangenen zehn Jahren 34 Prozent des BIP.

Laut der Internationalen Energieagentur IEA hat Russland nur eine Chance, einen Einbruch bei der Ölförderung zu umgehen: 700 Milliarden Dollar müssen in die Branche investiert und Steuererleichterungen vorgenommen werden.

Eine wichtige Rolle spielt auch die Schiefergas-Revolution in den USA, die für Russland als führender Erdgas-Exporteur fatale Folgen haben kann.

Aber selbst das Öffentlichmachen der Öl- und Gasvorräte löse die Probleme der Branche nicht, so der Chefanalyst des Fonds für nationale Energiesicherheit, Alexander Pasetschnik. „Wir haben uns den internationalen Standards der Rohstoffkalkulation nicht angenähert. Weltweit werden nur Ressourcen gezählt, deren Erschließung sich rentiert. Bei uns werden aber alle Vorräte dazu gezählt. Uns muss klar sein, dass die Erkundung dieser Vorkommen besonders hohe Kosten verursacht. Für Investoren ist es wichtig, zu wissen, ob und inwieweit die Erschließung in einer bestimmten Region rentabel ist“, so der Experte. „Anhand der russischen Klassifikation können sie das nicht wissen.“

Experte Pasetschnik fordert zudem mehr Klarheit in Bezug auf die Besteuerung der Öl- und Gasförderer in Russland. „Bei uns gibt es keine einheitliche Politik auf diesem Gebiet. Die der Macht nahe stehenden Unternehmen wie Rosneft genießen Steuerprivilegien. Alle anderen müssen ohne solche Vergünstigungen zurechtkommen. Für Ausländer ist aber Klarheit in dieser Frage äußerst wichtig.“

Laut Gesetz darf der Arktisschelf nur von Unternehmen erschlossen werden, an denen der Staat zu mehr als 50 Prozent beteiligt ist. Außerdem müssen sie über mindestens fünfjährige Erfahrungen auf dem Schelf verfügen. Diesen Anforderungen entsprechen nur Gazprom und Rosneft.

Für die Erschließung des russischen Arktisschelfs sind bis 2050 schätzungsweise 500 Milliarden US-Dollar erforderlich.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 24. Juli 2013; http://de.rian.ru




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