Streit um Bodenschätze der Arktis - neuer Ost-West-Konflikt in Sicht?
Ein Beitrag von Dirk Eckert in der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"
Andreas Flocken (Moderator der Sendung):
Viel Eis und Schnee. Der Nordpol war lange Zeit ein Gebiet, das für die große
Politik uninteressant war. Doch das hat sich mittlerweile geändert, nicht zuletzt
wegen des Klimawandels, aber auch wegen der Rohstoffe in der Arktis. Immer
mehr Staaten erheben Ansprüche. Konflikte sind damit programmiert. Informationen
von Dirk Eckert.
Dirk Eckert
"Willkommen im Abenteuer Nordwestpassage. Auf den Spuren großer Entdecker."
- Mit diesem Slogan wirbt derzeit eine große Reederei für eine Schiffsreise
durch das arktische Eismeer. Von Grönland aus geht es, vorbei am amerikanischen
Kontinent, nach Alaska. 26 Tage dauert die Reise, genauer gesagt:
die Kreuzfahrt. Denn so gefährlich wie einst ist die Nordwestpassage längst
nicht mehr. Wo früher nur Eisbrecher durchkamen, gondeln heute Touristen auf
der Suche nach den letzten Eisbären. Rund um den Nordpol ist das Eis in den vergangenen Jahren rapide zurückgegangen.
Das massive Verbrennen fossiler Rohstoffe wie Öl, Kohle und Gas in
den vergangenen hundert Jahren hat nach Ansicht der meisten Wissenschaftler
zur Erwärmung der Erde geführt, die das Eis an den Polen schmelzen lässt.
Bis 2040 könnte die gesamte Arktis eisfrei sein, warnten kürzlich Wissenschaftler
der Universität Washington und der kanadischen McGill-Universität.
Die Anrainerstaaten der Arktis sehen diese Entwicklung jedoch nicht nur negativ.
Schwindet das Eis, eröffnen sich zum Beispiel neue Handelswege. Außerdem
werden in der Arktis große Rohstoffvorkommen vermutet, die nun ausgebeutet
werden könnten. Schätzungen zufolge liegen dort ein Viertel der weltweiten
Vorkommen an Erdöl und Erdgas - aber auch wertvolle Metalle wie Eisen,
Kupfer, Nickel, Kobalt oder Gold. Anrainer wie Kanada wollen sich das zu
erwartende Geschäft nicht entgehen lassen. So sagte der kanadische Premierminister
Stephen Harper im August 2008 über die Arktis:
"Ihre ökonomische und strategische Bedeutung hat über die Jahre exponentiell
zugenommen. Die wachsende globale Nachfrage nach Energie und mineralischen
Rohstoffen hat unter den Staaten einen so genannten Kälte-Rausch in
Richtung Arktis entfacht. Mit dem Rückgang des Packeises kreuzt eine enorme
Zahl von Schiffen durch unsere nördlichen Gewässer. Kanada muss daher
schnell sein und seine Souveränität über die Inselgruppe bekräftigen und
schützen, einschließlich der schiffbaren Wasserwege und der unterseeischen
Ausdehnungen unseres Festlandsockels."
Längst hat daher ein Wettlauf unter den Anrainern eingesetzt: Jeder will sich
ein möglichst großes Stück vom Kuchen sichern. Den größten öffentlichkeitswirksamen Coup landete Russland. Im August 2007 hissten russische Wissenschaftler
mit Hilfe eines ferngesteuerten U-Bootes eine russische Fahne auf
dem Meeresboden am Nordpol -- in 4261 Metern Tiefe.
Die anderen Anrainer reagierten darauf verärgert. Allgemein wurde darauf hingewiesen,
dass alle Territorialansprüche in der Arktis nach der UN-Seerechtskonvention
zu klären sind, die 1982 auf Jamaika beschlossen wurde und der
bis heute mehr als 150 Staaten beigetreten sind. Demnach kann jedes Land
eine Zone von 200 Seemeilen vor seiner Küste als Wirtschaftszone nutzen.
Russland zum Beispiel argumentiert nun aber, dass der unterseeische Lomonossow-
Rücken, der quer durch das Nordpolarmeer verläuft, in Wirklichkeit die
Fortsetzung des eigenen Kontinentalsockels ist. Moskau beansprucht deshalb
ein Gebiet von 1,2 Millionen Quadratkilometern einschließlich des Nordpols.
Gemäß der UN-Seerechtskonvention entscheidet die Sockelkommission der
Vereinten Nationen über solche Ansprüche. Dass die Konvention das alleinige
Regelwerk ist, um Grenzstreitigkeiten zu klären, haben die fünf Anrainer Dänemark
Kanada, Norwegen, Russland und die USA im Mai 2008 ausdrücklich
bekräftigt. Um ihre Territorialansprüche vor der Kommission wissenschaftlich
untermauern zu können, haben diese Staaten in den vergangenen Jahren verschiedene
Forschungsmissionen gestartet. Dänemark untersucht zum Beispiel,
ob der Lomonossow-Rücken nicht eher von Grönland statt von Russland aus in
Richtung Nordpol verläuft und damit zu Dänemark gehört.
Heftig umstritten ist auch der Status der Nordwestpassage, der kürzesten Seeverbindung
zwischen Europa und Asien. 1985 etwa durchquerte ein Eisbrecher
der US-Küstenwache die Nordwestpassage, ohne Kanada um Erlaubnis zu
fragen. Die kanadische Regierung protestierte, aber die USA blieben bei ihrer
Auffassung, die Nordwestpassage sei internationales Gewässer. Der Konflikt
konnte damals nicht gelöst werden: Washington und Ottawa sind sich nur darüber
einig, dass sie sich nicht einig sind.
Inzwischen hat Kanada den Ton deutlich verschärft. 2007 erklärte der kanadische
Premier Stephen Harper die kanadische Arktis in markigen Worten kurzerhand
zum Bestandteil der Identität seines Landes:
"Die aktuelle Entdeckung des Ressourcenreichtums des Nordens zusammen
mit den möglichen Auswirkungen des Klimawandels hat die Region zu einer
Region des wachsenden Interesses und der Besorgnis gemacht. Kanada hat
die Wahl, wenn es darum geht, unsere Souveränität über die Arktis zu verteidigen:
Entweder wir üben sie aus oder wir verlieren sie. Und täuschen Sie sich
nicht - diese Regierung wird sie ausüben. Denn die kanadische Arktis ist zentral
für unsere Identität als nördliche Nation. Sie ist Teil unserer Geschichte.
Und sie verkörpert die enormen Möglichkeiten für unsere Zukunft."
Harper hat angekündigt, sechs bis acht neue Patrouillenschiffe zu bauen sowie
einen Tiefwasserhafen und zwei Militärbasen zu errichten, um die Kontrolle
über die Nordwestpassage ebenfalls ausüben zu können. Auch andere Staaten
weiten ihre Aktivitäten aus: Russland hat den Bau neuer Eisbrecher angekündigt,
ebenso die USA. Und George W. Bush hat wenige Tage vor dem Ende
seiner Amtszeit eine neue Direktive zur Arktispolitik erlassen. Danach müssen
die Vereinigten Staaten ihre nationalen Interessen auch in der Arktis verteidigen.
Die Nordwestpassage sei internationales Gewässer, betonte Bush. Er
sprach sich außerdem für den Beitritt seines Landes zur UN-Seerechtskonvention
aus, die der Senat bislang nicht ratifiziert hat.
Dafür ist auch die neue US-Außenministerin Hillary Clinton. Während ihres Berufungsverfahrens
im Senat mahnte sie zur Eile:
"Ich glaube, dass das Thema Arktis langfristig unsere kommerziellen, ökologischen
und Energie-Interessen berühren wird. Deswegen müssen wir jetzt anfangen,
uns damit zu beschäftigen."
Auch Obamas designierter Wissenschaftsberater, der Harvard-Professor John
Holdren, mahnt, den Wettlauf um den Nordpol nicht zu verschlafen. Vor einem
Senatsausschuss, dem er sich als designiertes Regierungsmitglied zu stellen
hatte, warnte er:
"Wir haben nur noch zwei schwere Eisbrecher bei der Küstenwache. Und beide
haben fast das Ende ihrer Einsatzfähigkeit erreicht. Das schmälert unsere Fähigkeit,
in der Arktis zu operieren. Und das in einer Zeit, in der andere Länder
ihre Aktivitäten dort sogar ausbauen."
Kanada dürfte es also auch mit der neuen US-Administration nicht einfacher
haben.
Mittlerweile schalten sich auch immer mehr Nicht-Anrainer ein. Ihr Interesse ist,
zu verhindern, dass die Arktis ausschließlich in den Besitz einzelner Länder wie
Kanada oder Russland fällt. Die EU hat im vergangenen November eine eigene
Arktispolitik formuliert, in der für eine "multilaterale Governance" der Arktis plädiert
wird, das heißt, Brüssel ist für eine gemeinsame Regierungsgewalt in der
Region. Und NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer brachte kürzlich
sogar die Möglichkeit einer militärischen Präsenz in der Arktis ins Spiel.
Zunächst aber müssen alle Anrainer ihre etwaigen Gebietsansprüche bei der
UN-Sockelkommission begründen. Für Russland läuft diese Frist in diesem Mai
ab. Andere Länder haben noch etwas länger Zeit. Danach dürfte der Wettlauf
um die Rohstoffe am Nordpol in die nächste Runde gehen.
Quelle: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 07.03.2009; www.ndrinfo.de
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