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Frachter nimmt die Nordostpassage

Der Klimawandel ermöglicht der kommerziellen Schifffahrt neue Handelsrouten

Von Andreas Knudsen, Kopenhagen *

Reeder in aller Welt hoffen auf ein historisches Ereignis: Erstmals wird ein westlicher Frachter Kurs durch die Nordostpassage in der Arktis nehmen. Diese soll die Seeverbindung nach China erheblich verkürzen.

Für Ökonomen und Logistiker ein Traum, für Umweltschützer ein Albtraum – die Öffnung der Nordostpassage zwischen Nordatlantik und Pazifik ist nurmehr eine Frage der Zeit. Die globale Erwärmung und der dadurch bewirkte Rückgang des Eises in der Arktis schaffen diese Verbindung, an der einst Seefahrer wie Wilhelm Barents, Vitus Bering und James Cook gescheitert waren. Bislang wurde die Eisfreiheit dieser Strecke erst für 2020 erwartet. Wie so oft überholt die Wirklichkeit jedoch die Prognosen. Und es ist nurmehr die Frage, in welchem Tempo die kommerzielle Schifffahrt hier beginnt.

Rentabel ist die Verbindung aber nur zwischen Nord- und Nordwesteuropa und Nordasien, da der Seeweg ansonsten genauso lang ist wie über den Suezkanal. Auch können nur relativ kleine Schiffe die Reise unternehmen, da es auf einigen Teilabschnitte relativ flaches Fahrwasser gibt. Trotz Eisrückgangs und globaler Erwärmung ist die Passage vorläufig auf einige Sommermonate beschränkt.

In den kommenden Tagen wird erstmals ein nicht russisch beflaggter Frachter die Passage nehmen. Die »MV Nordic Barents« der dänischen Reederei Nordic Bulk Carriers macht sich mit 41 000 Tonnen Eisenerzkonzentrat an Bord auf den Weg vom norwegischen Hafen Kirkenes durch die Arktis und russische Gewässer nach China. Wenn alles gut geht, wird die Reise etwa drei Wochen dauern und die Reederei spart auf der rund ein Drittel kürzeren Route 180 000 Dollar Treibstoffkosten. Das Schiff der höchsten Eisklasse 1a erhielt ohne größere Probleme die Transiterlaubnis der russischen Behörden. Trotzdem werden zwei atomgetriebene Eisbrecher im östlichen Teil der Arktis die Fahrrinne öffnen müssen. Die Fahrt erfolgt in Zusammenarbeit mit der norwegischen Tschudi-Reederei, die 2006 eine Tochtergesellschaft gründete, welche das Bergwerk in Sydvaranger wiedereröffnete. Dessen Betrieb ist durch die gestiegenen Rohstoffpreise und die chinesische Nachfrage wieder attraktiv geworden.

Bereits im Juli waren zwei Schwergutfrachter der Bremer Reederei Beluga in der Arktis unterwegs, um Teile für ein neues Kraftwerk in die russische Hafenstadt Surgut zu transportieren. Im Vorjahr hatte die Reederei zwei Schiffe von Wladiwostok nach Europa über die Nordostpassage geschickt, um Erfahrungen zu sammeln sowie sich als bevorzugter Partner Russlands zu positionieren. Wenn in einigen Jahren die Grenzziehung in der Arktis geregelt ist und die intensive Rohstoffsuche beginnt, wird es eine hohe Transportnachfrage für Spezialreedereien wie Beluga oder Nordic Carriers geben.

Welche Gefahrenmomente lauern, zeigt die Versorgungsfahrt zweier russischer Tanker, die gegenwärtig nach Tschukotka unterwegs sind. Sie kollidierten vor wenigen Tagen bei schlechter Sicht. Da es sich um Doppelrumpfschiffe handelt, trat kein Öl aus. Schifffahrt nördlich der sibirischen Küste greift auf jahrhundertealte Erfahrungen zurück. Die russischen Pomoren und später Kosaken nutzten Teile des Seeweges, der erstmals 1878/79 durch den schwedischen Polarforscher Adolf Nordenskjöld mit einer Überwinterung durchfahren wurde. Für die Sowjetunion hatte der Nördliche Seeweg strategische Bedeutung, denn er war das einzige Fahrwasser, das völlig von ihr kontrolliert wurde. Das Transportaufkommen im östlichen Teil betrug aber nicht mehr als ein Zehntel dessen in Westsibirien mit seiner entwickelten Bergwerksindustrie. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebte die Schifffahrt in Ostsibirien einen starken Einbruch. Ein Teil der Bevölkerung verließ diesen Landesteil.

Neu ist, dass westliche Reedereien die Nordostpassage aktiv zu nutzen beginnen und dass die russischen Behörden es erlauben, dass nicht-russische Schiffe die Route befahren. Neben der Eisbrecherbegleitung ist es Bedingung, dass russische Kapitäne die Schiffe führen.

Umweltschützer weisen auf die Gefahren wie steigende Emissionen, Ölaustritt, Wasserverschmutzung und schrumpfende Lebensgebiete hin. Invasive Arten könnten eingeschleppt werden und die ökologische Balance verändern.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2010


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