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Schwieriger Balanceakt

Inflation, Tarifkampf, Generalstreik: Argentiniens Regierung versucht mit Preisstützungen für Basisversorgung soziale Spannungen zu mildern

Von Lena Kreymann *

Diese Woche startet in Argentinien die zweite Phase eines bemerkenswerten Programms: Es soll angesichts der hohen Inflation eine Basisversorgung zu gleichbleibenden Preisen über drei Monate garantieren. Am vergangenen Donnerstag hatte die Regierung die neue Liste der »geschützten Preise« veröffentlicht, wie die linke Tageszeitung página 12 am vergangenen Freitag berichtete. Am gleichen Tag kam es zu einem landesweiten Generalstreik oppositioneller Gewerkschaften, bei dem zahlreiche Fabriken geschlossen blieben und der Nahverkehr in und um Buenos Aires lahmgelegt wurde. Die Streikenden errichteten Straßensperren auf Autobahnen und wichtigen Zufahrtsstraßen. Die Gewerkschafter forderten insbesondere »freie Tarifverhandlungen« sowie Rentenerhöhungen und protestierten gegen die Inflation und die offizielle Abwertung des argentinischen Peso Ende Januar.

Mit dem im Januar gestarteten Programm sollen die staatlich festgelegten Preise als »Referenz« für die kommenden drei Monate etabliert werden – es geht um die Sicherung der Versorgung für die breite Bevölkerung. Die Liste umfaßt vorwiegend Grundnahrungsmittel wie Öl, Reis, Tomaten oder den typisch argentinischen Mate-Tee. Die Übereinkunft wurde zunächst zwischen den großen Supermarktketten und der Regierung getroffen. Der Handelssekretär Augusto Costa erklärte aber am Sonntag gegenüber página 12, eine »große Herausforderung« sei es, »den Kleinhandel zu erreichen«. Die Regierung würde versuchen, auch »alternative Handelskanäle« wie Märkte einzubeziehen.

In der zweiten Runde stehen 108 neue Produkte auf der Liste der »geschützten Preise«, das Programm umfaßt jetzt insgesamt 302 Artikel. Weitere Händler haben sich angeschlossen. Costa erklärte, den Unternehmen käme die hohe Nachfrage durch die Regelung zugute. »In allen Fällen ist die Nachfrage zwischen 200 und 1000 Prozent gestiegen.« Gerade zu Beginn des Programms berichteten argentinische Medien von Versorgungsengpässen bei einigen Waren.

Mit der neuen Liste steigt das Preisniveau im geschützten Segement um durchschnittlich 3,5 Prozent an – pro Monat also um etwas mehr als ein Prozent. Die Regierung verbucht das Programm als Erfolg, wie Wirtschaftsminister Axel Kiciloff Anfang vergangener Woche auf einer Pressekonferenz erklärte.

Der Generalstreik brachte indes den Unmut und die Zukunftsangst vieler Argentinier zum Ausdruck. Anlaß waren die aktuellen Tarifverhandlungen. Oppositionelle Gewerkschafter werfen der Regierung vor, Druck auszuüben, um die Lohnerhöhungen bei unter 30 Prozent zu halten. Diese bestreitet das. Als der Vorwurf aufkam, Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hätte gegenüber der Industriegewerkschaft UIA dafür geworben, den Lohnanstieg zu begrenzen, erklärte Kiciloff laut página 12, dies sei »eine Fehlinterpretation«. Allerdings befürchten einige Ökonomen, ein höherer Tarifabschluß könnte zu einer gesteigerten Inflation führen. So schrieb Marina Dal Poggetto am Montag in página12, die Höhe der Inflation hinge davon ab, ob die Regierung es schafft, die Lohnverhandlungen einige Punkte unter der Inflationsmarke abzuschließen – je höher der Reallohnverlust, desto geringer die Teuerungsrate. Dieser Rechnung zufolge würde ein Abschluß von 28 Prozent durch die Inflation 2014 zu einem Reallohnverlust von vier bis fünf Prozent führen. Genau diesen befürchteten Einschnitt sieht sie als entscheidenden Kritikpunkt der Streikenden vom vergangenen Donnerstag.

Zugleich kritisierten regierungsnahe Gewerkschaftsvertreter die Instrumentalisierung des Streiks. »Sie wollen die Arbeiter dazu bringen, den Rechten und den reaktionärsten Sektoren zu folgen«, erklärte der linke Generalsekretär der CTA-oficial, Hugo Yasky. Gleichzeitig äußerte er Verständnis für die Unzufriedenheit. Die am Streik beteiligten Linken prangerten insbesondere die entwertenden Maßnahmen an, die die Regierung Ende Januar ergriffen hatte. Am vergangenen Freitag schrieb die Zeitung der trotzkistischen Partei PTS, der Streik sei zur »landesweiten Anklage der Arbeiterklasse gegen die Anpassungen« geworden. Ende Januar hatte Argentinien in einem Schritt eine Entwertung des offiziellen Pesokurses von 18 Prozent beschlossen.

Auch die nicht am Streik beteiligte Kommunistische Partei Argentiniens (PCA) hatte diese Maßnahmen scharf kritisiert.

In einer Mitteilung des Generalsekretärs Patricio Echegaray vom 30. Januar heißt es, die Erfahrungen auf internationaler Ebene zeigten, daß »jeder Entwertungsprozeß angesichts des Drucks des Großkapitals sich negativ auf die Bevölkerung ausgewirkt« hätte. Sie würde »durch die Inflation der Armut« ausgesetzt, während »auf der anderen Seite die Gewinne steigen und sich zugunsten der ökonomisch Stärksten mehr konzentrieren« würden. Die Kontrolle des Schwarzmarkt-Dollars und der Spekulation könnten nicht durch den Versuch erreicht werden, den Dollarkurs bei acht Pesos zu stabilisieren, vielmehr würde sich dies in gestiegenen Preisen niederschlagen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) lobte dagegen die argentinische Regierung für den Schritt in seinem Bericht »World Economic Outlook« vom Dienstag vergangener Woche, forderte aber »einen deutlicheren Politikwechsel«. Bereits im Vorfeld der IWF-Frühjahrstagung hatte Kicillof diese Forderung scharf angegriffen. »Wir können die Krise nicht mit der Politik bewältigen, die zu ihr geführt hat«, erklärte er laut página 12 auf einem Treffen mit Vertretern der G-20-Staaten am Freitag in Washington.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. April 2014


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