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Argentiniens Kampf gegen die Staatspleite

Dreizehn Jahre nach der Staatspleite 2001/2002 einigte sich Argentinien im Mai mit den Gläubigern

Von Klaus Fischer *

Mai 2014: Dreizehn Jahre nach der Staatspleite 2001/2002 einigt sich Argentinien im Mai mit den Gläubigern seiner Staatsschulden auf die Rückzahlung von deren Forderungen. Verhandelt wurde um umgerechnet rund sieben Milliarden Euro. Die im »Pariser Club« vertretenen früheren Investoren waren von dem Staatsbankott betroffen und hatten 2005 sowie 2010 von Buenos Aires vorgeschlagenen Umschuldungen (inklusive Forderungsteilverzicht) zugestimmt. Mehr als 90 Prozent der seinerzeit von der Insolvenz betroffenen Geldgeber steht damit die Zahlung in Aussicht.

Juni 2014: Das oberste US-Gericht bestätigt ein Urteil des New Yorker Richters Thomas Griesa. Der mittlerweile hochbetagte »Judge« war vor 40 Jahren noch von Richard Nixon in sein Amt berufen worden.

Griesa ist seit Ende der 90er Jahre »zuständig« für den »Fall«. Damals stimmte die Regierung Argentiniens zu, ihre Schuldverschreibungen nach US-Recht zu emittieren und bei Streitfällen das Urteil des New Yorker Gerichts anzuerkennen. 2012 urteilte Griesa. Anlaß war die Klage von »Geierfonds«, die die Schuldscheine nach der Pleite Argentiniens für einen Bruchteil des Nennwertes »erworben« hatten. Die Fondsmanager hatten sich geweigert, die Umschuldungen 2005 und 2010 zu akzeptieren. Der Richter sprach den Fonds um NML Capital die volle Rückzahlung ihrer Forderungen zu, inklusive deren Verzinsung. Zudem verfügte er, daß Argentinien andere Gläubiger nicht auszahlen dürfe, ehe die Forderungen der Hedgefonds bedient sind. Anderen Gläubigern, wie den vom Pariser Club vertretenen, dürfe Argentinien kein Geld überweisen. Banken, die solche Transaktionen dennoch auszuführen gedenken, geraten ins Visier der US-Justiz.

Es ging und geht um rund eine Milliarde Euro plus Zinsen.

Juli 2014: Argentinien ist nicht isoliert. Nach der Gruppe der 77 (einem losen Staatenverbund von rund 130 Mitgliedern) und dem »gemeinsamen südamerikanischen Markt« MERCOSUR versichern auch die Staats und Regierungschefs Brasiliens, Rußlands, Indiens, Chinas und Südafrikas (BRICS) dem Land ihre Solidarität.

August 2014: Argentinien wird von den für Bonitätsbewertungen »zuständigen« Ratingagenturen als pleite definiert. Wirtschaftsminister Axel Kiciloff indes bekräftigt regelmäßig: Unser Land ist solvent, Argentinien bedient seine Schulden. Eine Einigung mit den »Geierfonds« scheint keine politische Priorität zu haben. (kf)

Argentinien ist keine US-Kolonie. Das können Richter nicht wissen

Argentinien ist pleite. Zumindest den lückenhaften Regularien zufolge, nach denen ein Staatsbankrott definiert wird. Inhaber alter Schuldverschreibungen hatten in New York geklagt, dem seinerzeit zwischen Argentinien und den Gläubigern vereinbarten Gerichtsstand. Das war vor der Pleite 2002, vor den Schuldenschitten 2005 und 2010, an denen sich mehr als 90 Prozent der Gläubiger beteiligt hatten. Richter Thomas Griesa entschied in vollem Umfang für die klagenden Hedgefonds, gegen den Staat. Es war keine Überraschung.

Schulden müssen gezahlt werden. Nicht in erster Linie wegen irgendwelcher Regelungen auf dem Papier, sondern aus der Logik heraus, neue machen zu können. Das gilt für Privatpersonen, Unternehmen und im Prinzip auch für Staaten. Sind Normalmenschen pleite, wird gepfändet. Mindestens. Melden Unternehmen Insolvenz an, werden sie entweder saniert bzw. zwecks Sanierung veräußert. Oder sie werden zerlegt, verwertet, oft aber »mangels Masse« aus der Wirtschaftsgeschichte getilgt.

Für Staaten gibt es keinen allseits akzeptierten Mechanismus. Recht zwischen Staaten basiert auf freiwillig geschlossenen Verträgen, leitet sich nicht von einer höheren Autorität ab. Man soll sich hüten, das Paragraphendickicht als so etwas zu betrachten. Die alte Formulierung, Recht sei der in Gesetzesform gebrachte Wille der jeweils herrschenden Klasse, bleibt unwiderlegt. Besonders im Falle Griesa-Hedgefonds-Argentinien. Ganoven werden keine Gutmenschen, nur weil ihre Machenschaften rechtlich gedeckt sind.

Fälle wie der Argentinien versus Geierfonds gehören nicht in die Hände von Rechtsverdrehern. Sie müssen transparent und fair politisch gelöst werden – so wie die »Sicherheit von Investitionen« in anderen Staaten nicht vor »Schiedsgerichte« mit ihren strukturell korruptionsanfälligen Privat­akteuren gehört.

Die Insolvenz eines Staates kann viele Erscheinungsformen annehmen. Eines ist jedoch sicher: Bezahlen für politische Fehlentscheidungen müssen immer die Unbeteiligten. Hier gibt es Änderungsbedarf.

* Aus: junge Welt, Samstag 16. August 2014


»Das Land funktioniert«

Zwei Wochen nach der technischen Staatspleite kämpft Argentinien mit altbekannten Problemen. Einschnitte dürften unvermeidlich sein. Die Frage ist, wo gespart wird. Ein Gespräch mit Matías Kulfas **

Matías Kulfas ist argentinischer Wirtschaftswissenschaftler. Zwischen 2012 bis 2013 war er Geschäftsführer der argentinischen Zentralbank, davor leitete er die Banco de la Nación und war im Industrieministerium für kleine und mittelständische Unternehmen zuständig.

Seit etwa zwei Wochen gilt Argentinien auf den internationalen Finanzmärkten als zahlungsunfähig. Wie ist die Situation im Land?

Das Land funktioniert mehr oder weniger wie immer. Das heißt, wir kämpfen mit den Problemen, die wir schon seit einigen Jahren mit uns herumschleppen: der hohen Inflation oder der abflauenden Konjunktur. Das hat relativ wenig mit der Entscheidung aus New York zu tun. Die Gründe liegen tiefer.

Die Regierung um Präsidentin Fernández de Kirchner betont bei jeder Gelegenheit, daß es sich um keinen Staatsbankrott handelt. Warum ist es für sie so wichtig, daß das Land nicht als zahlungsunfähig angesehen wird?

Der Regierung möchte zeigen, daß Argentinien seinen Schuldendienst weiter erfüllen kann und will. Auch wenn das Geld gerade nicht zu den Gläubigern kommt, hat die Regierung es ja an die Clearingbanken überwiesen. Doch die dürfen es auf Veranlassung von Richter Griesa nicht weiterleiten.

Es gibt also kein Problem mit der Solvenz wie bei der Staatspleite 2002?

Wenn Sie so wollen, erleidet das Land einen partiellen Staatsbankrott. Die Regierung befürchtet aber, daß die seit etwa zehn Jahren erfolgreich betriebene Restrukturierung der Auslandsschuld durch die Entscheidung des New Yorker Richters und das Verhalten der (US-)Hedgefonds gefährdet wird. Man muß es so sagen, wie es ist: Diese Geierfonds haben mit argentinischen Anleihen spekuliert. Sie sind nichts anderes als Agenten eines perversen Kapitalismus. Sie erfüllen keinerlei gesellschaftliche Funktion.

Warum ist es für die Regierung so wichtig, sich wieder an den internationalen Finanzmärkten verschulden zu dürfen? Argentinien fuhr ja bisher ganz gut damit, keine weiteren Verbindlichkeiten einzugehen und unabhängig zu bleiben.

Argentinien hat ein großes Problem. Seit etwa drei Jahren sinken die Devisenreserven. Bis etwa 2011 mied das Land die internationalen Kapitalmärkte, es war eine Art selbstgewählter Ausschluß. Die Priorität lag auf Entschuldung. Finanziert hat sich der Staat über laufende Einnahmen oder den lokalen Markt, teilweise durch Staatskredite. Der Schuldendienst wurde aus dem Überschuß an Dollar-Reserven bezahlt. Solange die Wirtschaft boomte, war diese Strategie absolut rational. Doch das hat sich seither geändert. 2011 hatte die Zentralbank Reserven in Höhe von 48 Milliarden US-Dollar, die sind heute auf 29 Milliarden geschmolzen.

Also hat es einen Kurswechsel gegeben, um die Bedingungen zu schaffen, wieder international kreditwürdig zu werden. Das erklärt etwa, warum das Land seit Mitte des Jahres den Schuldendienst beim Pariser Club wiederaufgenommen hat. Mit der Entscheidung aus New York könnte diese Strategie mißlingen.

Wie lange kann Argentinien ohne neue Kredite durchhalten?

Etwa 1,5 Jahre ohne Probleme. Die entscheidende Frage ist aber, zu welchen Konditionen? Sollte die bisherige Politik der Entschuldung beibehalten werden, sind Einschnitte bei den Staatsausgaben, die in den letzten Jahren stark angestiegen sind, unausweichlich.

Das wäre dann ein Bruch mit dem bisherigen Modell, das auf sozialen Ausgleich und aktive Arbeitsmarktpolitik ausgerichtet war?

Nicht unbedingt. Ein Beispiel ist die Subventionierung der Energiekosten. Sie sind in den vergangenen Jahren enorm angestiegen. Ein Kürzung hätte sicherlich negative Auswirkungen auf die Konjunktur und wohl auch auf den Arbeitsmarkt. Doch so ein Einschnitt würde die ärmsten Teile der Bevölkerung nicht treffen, sondern vor allem die mittleren und oberen Einkommensschichten. Die sind es, die am meisten Energie verbrauchen. Das gilt besonders für Buenos Aires. Die öffentliche Subventionierung von Strom und Gas ist hier besonders hoch. Natürlich wird das niemand gefallen. Im Gegenteil. Aber sozialpolitische Erfolge der Regierung wie das universelle Kindergeld oder die erhöhten Renten wären nicht gefährdet.

Welche Alternativen bleiben der Regierung in der Auseinandersetzung mit den Hedgefonds und dem US-Richter?

Momentan gibt es keine Kontakte zwischen der Regierung und den Geierfonds. Gespräche finden nur zwischen internationalen und nationalen Banken sowie den Fonds statt. Ziel ist es, eine private Regelung zu finden. Mit dieser, so hofft man, könnte die sogenannte RUFU-Klausel umgangen werden. Die verbietet es dem Staat, Gläubigern, die nicht an den Schuldenschnitten von 2005 und 2010 teilgenommen haben, ein besseres Angebot zu machen. Doch die Verhandlungen gestalten sich schwieriger als gedacht. Im Moment setzt die Regierung alles daran, die Geierfonds international anzuklagen und internationale Unterstützung zu erhalten.

An Unterstützungsbekundungen hat es in den letzten Wochen nicht gemangelt. Zuletzt hat sich das Integrationsbündnis ­MERCOSUR solidarisiert. Doch was sind solche Ankündigungen wirklich wert? Wären die Nachbarstaaten im Zweifel bereit, mit Geld oder Krediten auszuhelfen?

Viele Länder des Südens unterstützen Argentinien, weil sie selber in die gleiche Situation kommen könnten. Aber es stimmt, es ist sehr schwer, diese politische Unterstützung auch in ökonomische Hilfe zu übersetzen. Das muß man offen und ehrlich so sagen. Der MERCOSUR ist kein Hort der Einigkeit. Die Länder haben ihre eigenen Probleme. Es hat immer Konflikte untereinander gegeben – nehmen wir die Auseinandersetzungen um die Papierfabriken in Uruguay oder die Handelsstreitigkeiten mit Brasilien. Finanzielle Hilfe halte ich für unwahrscheinlich, wenn auch nicht für unmöglich.

Interview: Johannes Schulten

** Aus: junge Welt, Samstag 16. August 2014


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