Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Argentinien vor Ultimo

Technischer Bankrott? Frist für alte Staatsschulden läuft aus. Bislang verhindert Urteil eines US-Richters zugunsten von Hedgefonds die Zahlung

Von Johannes Schulten *

Es ist kurz vor ultimo. Nach einem mehrstündigen Verhandlungsmarathon am Dienstag in New York wurden die Gespräche zwischen der argentinischen Regierung und US-amerikanischen Hedgefonds am Mittwoch fortgesetzt. Dies teilte der argentinische Finanzminister Axel Kiciloff am Morgen (Ortszeit) am Verhandlungsort mit.

Die Signale aus der Finanzmetropole waren zweideutig. Der gerichtlich bestellte Mediator Jason Pollack sagte in der Nacht zum Mittwoch (Ortszeit), daß die Themen »die beide Seiten spalten«, »ungelöst blieben«. Argentinische Medien werteten die Präsenz von Kiciloff, der zum ersten Mal an den Verhandlungen teilnahm, hingegen als Zeichen dafür, daß es Fortschritte geben müsse. Zum Stand des Verfahrens wollte sich der Finanzminister nicht äußern.

Fest steht bisher, daß in der Nacht zum Donnerstag (Ortszeit) eine Entscheidung ansteht; ansonsten droht Argentinien der »technische Staatsbankrott«. Bis dahin muß das Land umgerechnet rund 540 Millionen Euro an Staatsschulden bei internationalen Gläubigern begleichen. Der 83jährige US-Bundesrichter Thomas Griesa hatte jedoch angeordnet, daß Argentinien zunächst den beiden Hedgefonds NML Capital und Aurelius 1,5 Milliarden US-Dollar (1,2 Milliarden Euro) zahlen solle. Bis diese Forderung nicht beglichen ist, darf das Land die anderen Gläubiger nicht bedienen.

Die Fonds hatten kurz vor der Staatspleite 2001 argentinische Anleihen weit unter Nennwert gekauft. Anders als 93 Prozent der Gläubiger verweigerten sie sich in den Jahren 2005 und 2010, einen von Buenos Aires initiierten, Schuldenschnitt zu akzeptieren und verlangen den Nennwert der Anleihen zurück. US-Gerichte hatten Argentinien zur Zahlung verpflichtet.

Die Regierung von Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner verweigert das bislang, u.a. mit dem Argument, daß eine Bedienung der Hedgefonds die gesamte Umschuldung des Landes gefährden würde. Denn dann verstoße es gegen eine Vereinbarung mit den internationalen Gläubigern, die sogenannte RUFO-Klausel. Diese verbietet es, bestimmte Gläubiger besserzustellen als alle anderen. Ein Bruch könnte im Extremfall Nachzahlungen in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar bedeuten. Am Ende des Jahres läuft diese Klausel aus. Doch Richter Griesa weigert sich beharrlich, die Verhandlungen bis dahin zu unterbrechen.

In Buenos Aires wird derweil offenbar an Möglichkeiten gebastelt, die Hedgefonds zufriedenzustellen, ohne den Vertrag zu brechen. Wie die konservative Tageszeitung La Nación berichtete, soll es ein Abkommen zwischen der Regierung in Argentinien und einer Gruppe von Privatbanken über eine Art Sicherheitsfonds in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar geben. Dieser soll den Hedgefonds Gewähr bieten, daß sie ihr Geld bekommen, allerdings erst am Ende des Jahres. So könnte das Land den Staatsbankrott verhindern, und beide Seiten hätten mehr Zeit zu verhandeln.

Von einem kleinen Hoffnungsschimmer berichtete auch die Financial Times am Dienstag. Demnach hat eine Gruppe von Gläubigern angeboten auf die RUFO-Klausel zu verzichten. Die Gruppe habe dem Schlichter Pollack einen Brief geschickt und ihn aufgefordert, seine Anordnung bis Anfang 2015 auszusetzen. Dies sei »der beste Weg, eine Verhandlungslösung in dieser Sache zu erreichen und eine Staatspleite zu verhindern«.

Auch über die Folgen eines Bankrotts wird debattiert: So hält der regierungsnahe Wirtschaftswissenschaftler Agustín D’Atellis die Folgen eines technischen Staatsbankrotts für weniger gefährlich als die möglichen Folgen einer Bedienung der Hedgefonds: »Eine Zahlungsunfähigkeit wird weder schwerwiegende Folgen für den Arbeitsmarkt haben, noch makroökonomisch gravierend sein«, so D’Atellis in der Tageszeitung página 12 vom Dienstag. Im Gegensatz zu 2001 verfügt Argentinien über ausreichend Devisenkredite, um einige Monate nicht auf die Kapitalmärkte angewiesen zu sein.

Auch der Ökonom Carlos Heller, der für die oppositionelle Sozialistische Partei im Parlament sitzt, unterstrich, daß es ein sehr viel größeres Risiko wäre, dem Richterspruch von Griesa Folge zu leisten, als einen Staatsbankrott zu riskieren.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 31. Juli 2014


Zurück zur Argentinien-Seite

Zur Argentinien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage