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Argentinien geht ins Risiko

Obwohl wirtschaftlich bereits angeschlagen, hält die Regierung den Hedgefonds Stand

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Die Rating-Agenturen haben Argentinien auf zahlungsunfähig herabgestuft. Zuvor gingen die Verhandlungen zwischen Argentinien und zwei Hedgefonds in New York ohne Einigung zu Ende.

»Die Geierfonds haben unser Angebot eines Schuldenumtauschs nicht akzeptiert«, sagte Axel Kicillof. »Sie verlangten, dass wir mehr zahlen als an die übrigen Gläubiger. Das kann der argentinische Staat nicht tun«, so der argentinische Wirtschaftsminister. Kicillof erläuterte im Detail, dass seine Delegation den Hedgefonds angeboten habe, auch jetzt noch den in den Jahren 2005 und 2010 vereinbarten Umschuldungen beizutreten – was für sie entsprechend den heutigen Konditionen sogar eine 300-prozentige Profitmarge brächte. »Aber sie akzeptierten dieses Angebot nicht, weil sie mehr wollen«, kritisierte der Minister. Der von einem USA-Gericht eingesetzte Vermittler Daniel Pollack erklärte ebenfalls das Scheitern. »Die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens steht unmittelbar bevor«, sagte Pollack.

Vorausgegangen war eine sechsstündige Verhandlungsrunde zwischen Kicillof, Pollack und Vertretern der Hedgefonds NML Capital und Aurelius. Spätestens bis Mitternacht New Yorker Zeit hätte eine Einigung über den Umgang mit den Forderungen der Hedgefonds in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar plus Zinsen erzielt werden müssen. Erst dann hätte Richter Thomas Griesa die Blockade von Tilgungszahlungen über die US-amerikanische Depotbank Depotbank BNY Mellon an andere Gläubiger Argentiniens aufgehoben. Da die Zahlungen nun weiter auf Eis gelegt sind, wird Argentinien von den Ratingagenturen als zahlungsunfähig eingestuft, obwohl die Gelder an Mellon längst überwiesen wurden.

Die Agentur Standard & Poor's hatte argentinische Schuldverschreibungen bereits nach dem New Yorker Bankenschluss am Nachmittag auf »partieller Zahlungsausfall« herabgesetzt. Es steht zu erwarten, dass weitere Agenturen folgen.

Neben den offiziellen Gesprächen hatte ein Zusammenschluss argentinischer Privatbanken noch bis kurz vor Ablauf der Frist versucht, mit einer Garantiesumme in Höhe von 250 Millionen Dollar die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Argentinische Medien berichteten, die Privatbanken verhandelten zwischenzeitlich sogar über den Aufkauf der gesamten Schuldentitel, die sich in Besitz der Hegdefonds befinden. Diese Verhandlungen wurden letztlich ebenfalls ergebnislos abgebrochen.

Auch die legalen und schwarzen Finanzmärkte am Río de la Plata hatten auf einen positiven Ausgang gesetzt. Der Aktienindex der Börse in Buenos Aires war am Mittwoch um 3,75 Prozent gestiegen, argentinische Staatsanleihen auf Dollarbasis verteuerten sich um satte elf Prozent und der Dollar verbilligte sich auf dem Schwarzmarkt um rund einen halben Peso.

Argentiniens Regierung hat mit dem Scheitern gerechnet. Kicillof hatte bereits in New York die Linie vorgegeben. »Die jetzige Situation ist nicht als Default (Zahlungsunfähigkeit) definiert. Argentinien zahlt. Hat Geld. Und wird seine fälligen Verbindlichkeiten begleichen«, sagte der 43-Jährige, der den Zustand in Anspielung auf den New Yorker Richter Thomas Griese als »Griefault« bezeichnete. Kicillof kam damit einer Aufforderung von Präsidentin Cristina Kirchner nach, die bereits vor einigen Tagen davon sprach, dass für diesen Zustand ein neuer Begriff erfunden werden müsse.

Dass Argentinien nun bereits zum zweiten Mal seit der Jahrtausendwende das Label der Zahlungsunfähigkeit aufgedrückt bekommt, liegt jedoch nicht am finanziellen Zustand des Staates, sondern am Kleingedruckten in den Kreditverträgen. 2001/2002 war das Land wirtschaftlich ruiniert und finanziell pleite. Rund die Hälfte der Bevölkerung rutschte unter die Armutsgrenze. Eine Übergangsregierung erklärte den Staatsbankrott und stellte den Schuldendienst ein. Mit dem Angebot, den Schuldendienst wieder aufzunehmen, wenn die Gläubiger auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen verzichten, wurden 2005 und 2010 von den Regierungen Néstor Kirchner und danach Cristina Kirchner Umschuldungsprogramme aufgelegt. In die neuen Kreditvereinbarungen wurde eine Klausel eingefügt, nach der der argentinische Staat bis Ende 2014 Gläubigern, die nicht an den Umschuldungsprogrammen teilnehmen, kein besseres Angebot vorlegen dürfe, die sogenannte Rufo-Klausel. Gut 92 Prozent der Gläubiger beteiligten sich an den Umschuldungen. Die übrigen knapp acht Prozent lehnten das Angebot ab und wurden von der Regierung ausgespart.

US-Hegdefonds hatten bereits kurz nach der Pleite von 2002 damit begonnen, argentinische Schuldentitel zum Schleuderpreis aufzukaufen. Sie gehören zu den acht Prozent der Gläubiger, die das Umschuldungsangebot ablehnten. Da die Schuldverschreibungen zur Investorensicherheit auf US-amerikanisches Recht ausgegeben wurden, begannen sie den Nennwert plus Zinsen bei der US-Justiz einzuklagen. So investierte NML 48 Millionen Dollar, um auf 832 Millionen Dollar zu klagen. Eine immense Gewinnspanne.

Im November 2012 verurteilte der New Yorker Richter Thomas Griesa Argentinien, bis zum 15. Dezember 1,3 Milliarden Dollar an die Hedgefonds NML Capital und Aurelius zu zahlen. Seit dem 16. Juni 2014 ist das Urteil rechtskräftig, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA einen Berufungsantrag Argentiniens abgewiesen hatte.

Durch die Blockade der Überweisung der am 31. Juli fällig gewordenen Rate an einen Teil der gutwilligen Umschuldner ist Argentinien nun technisch bankrott. Argentiniens finanzielle und wirtschaftliche Situation ist heute jedoch eine völlig andere als beim vergangenen Staatsbankrott 2002. Die argentinische Regierung hätte den finanziellen Spielraum, um die Hedgefonds auszuzahlen. Doch sie befürchtet eine mögliche Kostenlawine. Da sind zum einen potenzielle Forderungen der anderen Verweigerer, der sogenannten holdouts, die sich nicht an den Umschuldungen beteiligt hatten und die sich auf 15 Milliarden Dollar belaufen könnten. Und zum anderen könnten die umgeschuldeten gutwilligen Gläubiger wegen des Verstoßes gegen die Rufo-Klausel ebenfalls klagen: Der Streitwert beliefe sich dabei auf 120 bis 400 Milliarden Dollar – weit mehr als Argentiniens Zahlungsfähigkeit hergibt.

Anders als beim Crash 2001/2002 wird das zweitgrößte Wirtschaftsland Lateinamerikas diesmal kaum ins totale Chaos abrutschen. Argentinien ist bereits seit damals von den internationalen Finanzmärkten so gut wie ausgeschlossen. Schon deshalb werden die Auswirkungen vorerst nicht so drastisch ausfallen. Doch die ohnehin düsteren Aussichten für die Wirtschaft trüben sich weiter ein: Die Inflation ist mit inoffiziell geschätzten jährlich 30 Prozent schon jetzt eine der höchsten der Welt. 2013 summierten sich allein die Energiesubventionen auf das Doppelte des Handelsbilanzüberschusses.

Argentinien lebt wieder einmal über seine Verhältnisse. Die Zeche werden auch dieses Mal die Armen zahlen. Und damit steht Kirchners größte Errungenschaft auf dem Spiel: Laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) ist Argentinien das Land mit der geringsten Armut (4,3 Prozent) in der Region.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 1. August 2014


Im Schnitt eine Staatspleite pro Jahr

Die Zahlungsunfähigkeit eines Landes ist keine Seltenheit – oft geht sie glimpflicher aus als befürchtet

Von Hermannus Pfeiffer **


Bis heute gibt es kein geregeltes Insolvenzverfahren für Staaten. Dies lockt Geierfonds an, die bei Schuldenerlassen nicht mitziehen.

Staatsinsolvenzen haben eine lange Historie. Neu ist am Fall Argentinien nicht einmal, dass Spekulanten den Sturz auslösten. Hedgefonds wie Elliott Management erwarben in den letzten Jahren einen großen Teil der nicht umgeschuldeten Anleihen und streben eine 100-prozentige Rückzahlung vom argentinischen Staat an. Ein böser Klassiker der Jetztzeit.

Ein Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass Staatspleiten am Ende meist glimpflicher ausgingen als befürchtet. Schließlich hat ein Gläubiger wenig davon, wenn der Schuldner wirklich Pleite geht und die Kreditrückzahlungen ganz einstellt. Beim letzten Bankrott Argentiniens vor 13 Jahren rettete der – nicht ganz freiwillige – Teilverzicht fast aller Gläubiger sowie ein Nachfrageboom aus China nach Fleisch und Kupfer Argentinien. Heute ist China der zweitwichtigste Handelspartner und scheint auch jetzt bereit, Buenos Aires aus der Patsche zu helfen. Staatspräsident Xi Jinping kündigte während seines Besuchs nach der WM eine Finanzspritze von 7,5 Milliarden Dollar an.

Die Betonung liegt auf »Dollar«: Typisch für Staatsschuldenkrisen sind Miese im Ausland und in fremder Währung. Das war in Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg so. Erst großzügige Schuldenstreichungen und Umschuldungen der Alliierten retteten die Weimarer Republik und 1953 die junge Bundesrepublik vor dem Bankrott. Die Euro-Krise 2010 war ein Sonderfall – Griechenland, Portugal und Irland sind nicht in ausländischer Währung verschuldet, haben aber keine Möglichkeit, selbst die Notenpresse anzuwerfen. Japan wäre heute, an diesen Fällen gemessen, eigentlich mega-pleite: Der öffentliche Schuldenberg ist in Relation zum Bruttoinlandsprodukt doppelt so hoch wie in Griechenland. Doch da die Regierung in Tokio fast ausschließlich in der Schuld ihrer Bürger und Banken steht, ließe sich im Notfall die Notenpresse anwerfen.

Auch wenn nur die ganz großen Pleiten Schlagzeilen machen, kommen Staatsinsolvenzen alles andere als selten vor: Seit dem Jahr 1800 gab es weltweit 227 Fälle – dies haben die Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart ermittelt. Auch Europa traf es häufig: Die Niederlande und Italien waren zahlungsunfähig, Polen mehrfach, Deutschland und Österreich sogar sieben Mal. Doch während in Industrieländern meist Diktatoren und Kriege unbezahlbare Schulden hinterließen, werden Entwicklungs- und Schwellenländern oft Fehlinvestitionen auf Pump, ein Preisverfall bei Rohstoffen und/oder wilde Finanzspekulationen zum Verhängnis. So war es in der Schuldenkrise Lateinamerikas in den 1980er Jahren, in der Asienkrise 1997/98 und wenig später in Russland.

Lösungsversuche für überschuldete Länder laufen mehr oder weniger informell im Londoner oder im Pariser Club, wo sich hunderte Banken und Fonds, westliche Regierungen sowie arme Länder, die Kredite nicht mehr bedienen können, zusammensetzen. Einen regulären Mechanismus zum Umgang mit Staatspleiten gibt es jedoch nicht. Seit der Reorganisation der Weltwirtschaft 1944 in Bretton Woods wurde eine Vielzahl von Vorschlägen für ein Insolvenzverfahren unterbreitet – sie alle scheiterten am fehlenden politischen Willen.

Die unregulierte Situation lockt Geierfonds an, die derzeit Argentinien bedrohen. »Solche Fonds haben früher bereits Bankenforderungen gekauft und sich geweigert, Schuldenerlasse mitzutragen, die die Mehrheit der übrigen Gläubiger vereinbart hatte«, sagt ein Sprecher des Bündnisses »Erlassjahr.de«. Urteile zugunsten der Geier im Umfang von 1,965 Milliarden US-Dollar seien dokumentiert.

Die meisten bekannt gewordenen Fälle betreffen Länder, die seit 1996 unter der von Weltbank und Internationalem Währungsfonds betriebenen HIPC-Initiative teilweise entschuldet wurden, darunter Äthiopien, Kamerun und Sambia. Auch Peru wurde bereits Opfer eines Geierfonds. Das gesamte Volumen der anhängigen Klagen gegen Staaten wird auf bis zu 90 Milliarden Dollar geschätzt.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 1. August 2014


Vom Aasgeier zum Milliardär

Der knallharte Investor und Samariter Paul Singer ***

Es gibt sie seit den 80er Jahren: sogenannte Geierfonds. Ihr bevorzugtes Opfer: hoch verschuldete Staaten im globalen Süden. Ihre Strategie: Aufkauf von Staatsschulden auf dem Sekundärmarkt weit unter dem Nominalwert und danach die juristische Klage auf den vollen Wert.

Die prominenteste Figur bei diesem legalen, aber perfiden Geschäftsgebaren heißt Paul Singer. Schon seit 1977 ist der US- Amerikaner Investmentfondsmanager – auch in eigener Sache, denn Teile der Fonds sind sein Eigentum. Inzwischen hat er es zum Milliardär gebracht.

Argentinien ist beileibe nicht das erste Land, das der ausgebildete Jurist und Harvard-Absolvent zu fleddern versucht. Die Strategie geht zwar nicht immer auf und auch nicht unbedingt in voller Höhe. Doch schon mehrmals hat Singers Fonds dadurch ein extrem lukratives Geschäft zu Lasten von Schuldnerländern und deren Bevölkerung gemacht.

In Peru kaufte der Singer-Fonds Elliott Associates mit karibischem Steuervermeidungssitz auf den Cayman-Inseln 1995 für 11 Millionen US-Dollar Schuldtitel zweier peruanischer Staatsbanken mit einem Nennwert von 20,7 Millionen. Umschuldungsverhandlungen verweigerte sich Singer so wie jetzt im Falle Argentiniens. Stattdessen verklagte er das südamerikanische Land vier Jahre lang in sechs Ländern auf Tilgung, Zins und Zinseszins. Schließlich mit Erfolg: Die peruanische Regierung gab auf und zahlte dem Investmentfonds im Oktober 2000 insgesamt 58 Millionen Dollar – eine Gewinnmarge von über 400 Prozent.

Aber auch mit der Übernahme von kriselnden Unternehmen versucht Singer kräftig abzukassieren. So machte er mit Konzernpleiten wie bei der US-Fluggesellschaft TWA, der US-Telefongesellschaft MCI WorldCom oder dem Energieriesen Enron gute Geschäfte. Seine Fondsgruppe managt heute rund 25 Milliarden US-Dollar.

Singer selbst sieht sich als großer Spender und Samariter. Seine Stiftung, die »Paul E. Singer Family Foundation«, setzt sich für wohltätige Projekte ein, unterstützt Schulen, Kinder und die Polizei von New York.

Politisch ist Singer bei den Republikanern beheimatet, bei den Präsidentschaftswahlen 2012 unterstützte er Präsident Barack Obamas Herausforderer Mitt Romney. In einem Punkt weicht er aber von der Parteilinie ab: Singer, dessen Sohn schwul ist, setzt sich mit Millionenspenden für die Homo-Ehe ein. ml

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 1. August 2014


Mutige und richtige Entscheidung

Martin Ling über Argentiniens Verweigerung gegenüber den Hedgefonds ****

Nicht alles, was legal ist, ist legitim. Exorbitante Profitmargen auf Kosten der Bevölkerung durchzudrücken, hält Argentiniens Regierung für inakzeptabel. Nicht zuletzt deswegen hat sie sich den US-amerikanischen Hedgefonds nicht gebeugt, die für 60 Millionen Dollar Papiere gekauft und auf 1,3 Milliarden Dollar geklagt hatten. Das ist nach US-amerikanischem Recht legal, die Urteile zugunsten der Kläger keine Überraschung.

Ein Recht, das Gläubigerinteressen ohne jede Mitverantwortung über soziale Interessen stellt, ist Unrecht. Überschuldung von Staaten kommt in geldwirtschaftlichen Zusammenhängen systemlogisch ebenso vor wie Überschuldung von Unternehmen oder Privatpersonen. Deswegen bedarf es eines institutionellen Lösungsansatzes. Bei Unternehmen und Privatpersonen gibt es den bereits: ein geregeltes Insolvenzverfahren.

Argentiniens Fall zeigt einmal mehr, dass auch ein staatliches Insolvenzrecht überfällig ist: Ein solches Verfahren könnte einen gerechten Ausgleich zwischen dem Schuldnerland und seinen Gläubigern herstellen und die Interessen der betroffenen Bevölkerung wahren. Wie in jedem privaten Insolvenzverfahren wären auch hierbei die Investoren angemessen an den Kosten für die Insolvenz beteiligt. Das Geschäftsmodell der Hedgefonds hätte darin freilich keinen Platz. Und das wäre gut so.

**** Aus: neues deutschland, Freitag, 1. August 2014 (Kommentar)


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