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Zanon in Arbeiterhand

Eigentümer der argentinischen Kachelfabrik staatlich enteignet

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Die Provinzregierung der Region Neuquén hat den alten Eigentümer der argentinischen Kachelfabrik Zanon enteignet. Alles, inklusive der Rechte an dem Markennamen Zanon, geht an die Cooperativa FaSinPat (Fábrica Sin Patrones - Fabrik ohne Chefs) über.

Das Unternehmen Cerámica Zanon S.A. war 1979 während der Militärdiktatur entstanden. In den 1990er Jahren mauserte es sich zur größten und modernsten Keramik- und Porzellanfabrik Lateinamerikas. 2000 geriet das Unternehmen in die Krise. Im Oktober 2001 wurden die Öfen abgestellt, die Werkstore geschlossen und die Belegschaft ausgesperrt. Mit richterlicher Genehmigung durften sie zunächst die Fabrik wieder betreten. Im Folgemonat wurden die 380 Mitarbeiter entlassen. Im März 2002 nahmen 230 Arbeiter die Produktion wieder auf - ohne jegliche staatliche Unterstützung. 2004 gründeten sie die Kooperative FaSinPat. Heute zählt die Belegschaft rund 470 Personen.

Zanon ist eine von rund 200 Fabricas Recuperadas (wieder funktionierende Fabriken), die seit 2002 nach der schweren Wirtschaftskrise in ganz Argentinien entstanden sind. Doch die Arbeiter der Kachelfabrik in der Patagonienprovinz Neuquén waren immer politischer und kämpferischer ausgerichtet als viele der ebenfalls erfolgreich produzierenden Fabricas Recuperadas.

Zanon, das ist nicht nur einen Markenname für gute Keramik, sondern auch ein politischer Begriff. Die Belegschaft wollte nicht nur die Produktion wieder anfahren, sondern die entschädigungslose Enteignung und staatliche Übernahme des Betriebes. Die Unterstützung durch die Bevölkerung wuchs. Zahlreiche Musiker und Künstler gaben Solikonzerte. Politisch wehte ihnen der patagonische Wind frontal ins Gesicht. Unter dem damaligen Provinzgouverneur Jorge Sobisch bestand keine Aussicht auf eine Anerkennung. Mit dem Antritt von Jorge Sapag als neuer Gouverneur im Jahr 2007, obgleich von derselben Partei wie Sobisch, drehte sich der Wind. Erstmals signalisierte die Provinzführung Unterstützung.

Begleitet von 3000 Menschen marschierten die rund 470 Arbeiterinnen und Arbeiter von Zanon am 12. August, dem Tag der Abstimmung, zum Parlament der Provinz Neuquén. Vom Monument des argentinischen Nationalhelden San Martín waren sie vor das Parlamentsgebäude gezogen. Dort lauschten sie der nach draußen übertragenen Debatte der Parlamentarier. Und es schien, als würde die ganze Provinz lauschen, denn eigens für diesen Tag und zu diesem Anlass waren die Provinzangestellten zu einem 24-stündigen Ausstand aufgerufen. Mit einer Mehrheit von 26 gegen 9 Stimmen votierte das Provinzparlament schließlich für die Enteignung des alten Eigentümers Luis Zanon von allen Besitzgütern seiner 2001 zusammengebrochenen Firma.

»Heute feiern wir den fast neunjährigen Kampf gegen die Macht der Politik und der (regierungsfreundlichen) Gewerkschaften, gegen ihre Schlägerbanden und Bedrohungen, denn was heute im Parlament diskutiert wird, ist auch eine Anerkennung des Rechts auf eine Arbeiterverwaltung, die wir hier verwirklicht haben«, sagte Raúl Godoy, Arbeiter bei Zanon und Sekretär der Keramikgewerkschaft.

Jedoch haben sich die Arbeiterinnen und Arbeiter von Zanon nicht ganz durchsetzen können. Ihr Vorschlag sah die Enteignung und Verstaatlichung des Betriebes unter der Kontrolle der Arbeiter vor, ohne Altschulden zu übernehmen oder gar zu bezahlen. Die Provinzregierung folgte dem aber nur soweit, dass Zanon zwar enteignet, aber nicht verstaatlicht wurde. Zudem wird nur ein Teil der Altschulden erlassen. Gleichfalls wird die Provinz die Zahlung von rund 5 Millionen Euro an zwei internationale Gläubiger übernehmen.

Das stößt denn auch auf vehemente Kritik. »Es ist richterlich bestätigt, dass man Zanon hat ausbluten lassen und dass die Gläubiger Teil des betrügerischen Zusammenbruchs waren, denn sie haben dem Eigentümer Kredite gewährt, die nie in den Betrieb investiert wurden. Wenn also etwas zurückgezahlt werden muss, dann soll es Luis Zanon tun, der auch wegen Steuerhinterziehung angeklagt ist«, so Omar Villablanca, ebenfalls Arbeiter bei Zanon.

Auch für Raúl Godoy ist die Enteignung und definitive Übernahme durch die Arbeiter nur ein Teilerfolg. »Es ist ein wichtiger Schritt nach vorn, der uns hilft, die endgültige Verstaatlichung der Fabrik zu erreichen. Denn wir wollen, dass Zanon im Dienst des Volkes steht.« Außerdem geht es jetzt darum, den Betrieb auf Hochtour zu fahren und neue Arbeitsplätze zu schaffen, so der Keramikgewerkschafter.

* Aus: Neues Deutschland, 28. August 2009


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