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Teure Schattenwährung

Argentiniens Regierung kämpft gegen Kapitalflucht und Spekulation gegen Peso. Das neue Gesetz hat problematische Nebenwirkungen

Von Fernando Krakowiak, Buenos Aires *

Argentinien nimmt den Kampf gegen die Kapitalflucht auf. Mit einem neuen Gesetz will das Land vor allem den hohen Bestand an US-Dollars, die teils auf dem Schwarzmarkt, teils als legale Zahlungsmittel zirkulieren, reduzieren. Die Regierung um Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner hofft so, nicht nur die Probleme durch eine im Land existierende Parallelwährung zu reduzieren, auch die Reserven der Zentralbank sollen geschont werden. Denn anstatt ihre Rücklagen für die Bedienung der Staatsschulden zu verwenden, sieht sich die Notenbank immer mehr gezwungen, die enorme Nachfrage nach Dollars zu befriedigen. Allein in den ersten neun Monaten 2011, so gaben die Währungshüter kürzlich bekannt, wurden 18,351 Milliarden Dollar im Tausch gegen Peso ausgezahlt, ein neuer Rekord.

Seit dem 31. Oktober ist es Bürgern und Unternehmen deshalb u. a. verboten, ausländische Währungen ohne vorherige Autorisierung zu erwerben: Jeder, der Peso in Valuta konvertieren will, muß nun nachweisen, wo das Geld herkommt. Wirtschaftsminister Amando Bodou stellte klar, daß das Gesetz zudem darauf abziele, die Dollarspekulation zu beschränken: »Es kann nicht sein, daß einige wenige Druck ausüben und der Mehrheit des Landes damit Schaden zufügen.« Die Opposition warnte dagegen, daß die Neuregelung internationale Investoren verunsichern und den Schwarzmarkt anheizen könnte.

Die Initiative der im Oktober wiedergewählten Präsidentin gegen die Dollarschwemme kommt nicht überraschend: In keinem Land außerhalb der USA zirkulieren so viele Greenbacks pro Person wie in der La-Plata-Republik. Ob Kleinverdiener oder Unternehmer – wenn eine größere Anschaffung getätigt oder Geld zurückgelegt wird, setzt man hier auf die US-Währung. Nach Schätzungen der Zentralbank verfügen die Argentinier über bis zu 50 Milliarden US-Dollar, knapp 1300 pro Person. Weder der Werteverfall in den letzten Jahren noch der Bedeutungsverlust als globale Leitwährung haben an der Vorliebe für den Dollar etwas geändert.

Die Flucht in den Dollar hat in Argentinien Tradition. Ihre Wurzeln liegen vor allem in der enormen Krisenanfälligkeit des Landes. Seit 1912 durchlief es praktisch aller drei Jahre eine mehr oder minder schwere Rezession. Zu den Folgen zählte fast immer eine massive Währungsabwertung. Wer vorher seine Peso in Dollar getauscht hatte, konnte dieser Entwertung entgehen oder gar Gewinne machen. Wer nicht, der verlor. Zwar versicherten die jeweiligen Regierungen immer wieder, nicht abzuwerten, doch sie taten meistens das Gegenteil. Beispielhaft dafür ist die Aussage von Lorenzo Sigaut, einem der Wirtschaftsminister der letzten Militärdiktatur (1976 bis 1983). Dieser verkündete mitten in der Krise im Jahr 1981 der verunsicherten Bevölkerung, daß »jeder, der auf den Dollar setzt, verliert«. Am nächsten Tag gab Sigaut die Abwertung des Peso bekannt. Gleiches geschah 2002, als der damalige Präsident Eduardo Duhalde den Peso innerhalb von sechs Monaten um 300 Prozent abwertete. Während Millionen Kleinsparer ihre Guthaben verloren, waren es besonders die Währungsspekulanten, die gewannen.

Leidtragende war auch die Zentralbank. Um den Wechselkurs stabil zu halten, mußte sie im vergangenen Jahr Reserven in Höhe von knapp vier Milliarden Dollar aufbringen. Geld, das die Regierung lieber in die Bedienung der Schulden gesteckt hätte.

Trotz der guten ökonomischen Entwicklung seit 2003 konnte das Land der Instabilität nur bedingt Herr werden. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs bis 2008 im Durchschnitt um acht Prozent jährlich. 2009 führte die globale Krise zwar zu einer leichten Abkühlung, aber in den zwei Jahren darauf sprang die Konjunktur mit über acht Prozent jährlichem BIP-Zuwachs wieder an. Dagegen stand eine Inflation von mehr als 20 Prozent pro Jahr. Immer wieder kursierten deshalb Gerüchte über eine bevorstehende Abwertung des Peso. Zuletzt kauften Anleger im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 23. Oktober massiv Dollars – in Erwartung einer baldigen Peso-Abwertung.

Seit November können Käufe ausländischer Währungen nur noch mit vorheriger Genehmigung des Fiskus geschehen. Jede Person, die Valuta erwirbt, muß zudem die Herkunft des dafür verwendeten Geldes nachweisen und Auskunft über ihre finanzielle Situation geben. Erste Erfolge dieser Restriktionen sind bereits sichtbar. Wenn auch keine Zahlen genannt wurden, gab die Regierung bekannt, daß die Zentralbank ihre Dollarreserven erhöhen konnte.

Gleichwohl schafft die Neuregelung auch Probleme: Wer wieviel Geld umtauschen darf, soll sich nach dem monatlichen Einkommen richten. Allerdings sind die dabei angewandten Regeln undurchsichtig. Besonders für Bürger, die ihre Einkünfte oder Teile davon am Fiskus vorbei, also schwarz, erzielen und verwenden – in Argentinien tun das immerhin 40 Prozent der Bevölkerung – ergeben sich damit erhebliche Nachteile. Ihnen ist es praktisch verboten, ausreichend Devisen etwa für Reisen zu erwerben. So bleibt nur der Schwarzmarkt, auf dem Dollar und Euro etwa zehn Prozent mehr kosten.

* Fernando Krakowiak ist Wirtschaftsjournalist der argentinischen Tageszeitung página 12.

[Übersetzung: Johannes Schulten]

Aus: junge Welt, 12. Januar 2012



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