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In der Schuldenfalle

Globale Wirtschaftskrise zwingt Argentiniens Regierung zur Rückkehr auf die Finanzmärkte. Notenbankchef bleibt im Amt

Von Johannes Schulten *

Die Unabhängigkeit der Zentralbank gilt als heilige Kuh neoliberaler Ideologie. Daß jegliche Kritik an diesem Credo mit sofortiger Aberkennung aller wirtschaftspolitischern Vernunft bestraft wird, muß derzeit die argentinische Regierung um Cristina Fernández de Kirchner schmerzhaft erfahren. Diese hatte am 7. Januar den obersten Währungshüter des Landes, Martín Redrado, entlassen. Der hatte sich geweigert, Reserven in Höhe von umgerechnet etwa sechs Milliarden US-Dollar für einen Sonderfonds zur Bedienung fällig gewordener Auslandsschulden freizugeben. Die Reaktionen waren einhellig. Während große Teile der Opposition die Maßnahme in gewohnter Manier als einen weiteren Beweis für die Alleinherrschaftsansprüche der »Kirchners« werteten, warnten »anerkannte« Ökonomen in nationaler und internationaler Presse vor den Folgen der »finanzpolitischen Willkür« der Regierung. Nachdem Redrado vor Gericht Einspruch gegen seine Absetzung eingelegt hatte, stilisierte ihn die Financial Times Deutschland gar zum »Che Guevara der Zentralbank« (11.01.2010). Inzwischen gab ein argentinisches Bundesgericht dem statt und erlaubte Redrado die befristete Rückkehr in sein Amt. Inzwischen beschäftigt der Fall eine Sonderkommission des Kongresses.

Hohe Zinsbelastung

Infolge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich die komfortablen finanziellen Handlungsspielräume des Landes, die Argentinien in den Jahren vor Krisenausbruch genoß, drastisch verringert. Das Bruttoinlandsprodukt ist nach sechsjährigem Wachstum 2009 um knapp ein Prozent gesunken, die Staatsausgaben sind fast dreimal so schnell gestiegen wie die Einnahmen. Will die Regierung ihr für 2010 geplantes Konjunkturpaket nur ansatzweise verwirklichen, braucht sie dringend Geld. Die internen Quellen sind nach der Verstaatlichung der Rentenfonds im November 2008, die fast 100 Milliarden Dollar (etwa 23 Milliarden Euro) in die leeren Kassen spülte, weitgehend ausgeschöpft.

Und auch die Chancen auf verbilligte Kredite von befreundeten Staaten, wie beispielsweise aus Venezuela, sind in Zeiten globaler Rezession bescheiden. Was bleibt, ist eine Rückkehr an die Kapitalmärkte, um wieder liquide zu werden. Doch bei den internationalen Banken und »Investoren« ist das Land nach dem Staatsbankrott von 2002 ein rotes Tuch. Durch ein erfolgreiches Umschuldungsprogramm der Regierung Néstor Kirchner im November 2005 konnte zwar der enorme Schuldenberg von 180 Milliarden US-Dollar um ein Drittel verringert werden. Das Ansehen Argentiniens auf den Kreditmärkten hat sich dadurch jedoch nicht verbessert. Während in Not gekommenen Finanzkonzernen derzeit Kredite zum Nulltarif angeboten werden, drohen Argentinien Zinsbelastungen zwischen 13 und 15 Prozent pro Jahr.

Um auf dem globalen Geldmarkt wieder salonfähig zu werden, sieht sich die Regierung nun gezwungen, die verbliebenen Ausstände partiell zu begleichen. Eine Nichtanerkennung der zu großen Teilen aus der Militärdiktatur stammenden Verbindlichkeiten, wie sie von einigen Linken gefordert wird, schließt Fernández de Kirchner kategorisch aus. Bei der aktuellen Kontroverse zwischen Regierung und rechter Opposition geht es vordergründig um die Frage, wie die Schulden getilgt werden soll.

Drängende Gläubiger

In diesem Jahr stehen der argentinischen Zentralbank Reserven in Höhe von 17 Milliarden Dollar zur Verfügung. Während die Präsidentin diese Bestände zur Befriedigung der Gläubiger nutzen möchte, pocht die Opposition darauf, die Forderungen aus dem laufenden Haushalt zu zahlen. Das Kalkül liegt auf der Hand: Eine zusätzliche Belastung der ohnehin knappen Mittel würde nicht nur das geplante Konjunkturpaket unmöglich machen, sondern die Regierung auch zu erheblichen Einschnitten in ihrer Sozialpolitik zwingen. Das würde eine mögliche Wiederwahl des Regierungsbündnisses Frente para la Victoria (Front für den Sieg) im Jahr 2011 zusätzlich erschweren.

Aus dem nun geplanten Sonderfonds sollen sieben der in diesem Jahr fälligen 14 Milliarden Dollar zur Begleichung von Verbindlichkeiten bei privaten Gläubigern und Finanzinstitutionen wie Weltbank oder Interamerikanischer Entwicklungsbank vorgesehen werden. Darüber hinaus ist geplant, bis Ende des Monats auch den Gläubigern, die sich an dem Umschuldungsprogramm von 2005 nicht beteiligt hatten und noch immer Forderungen von etwa 29 Milliarden aufrechterhalten, ein neues Angebot vorzulegen.

Doch beides steht nun auf der Kippe. Solange sich Redrado weigert, die Gelder freizugeben, können die Schuldner nicht bedient werden. Die Rückkehr an die internationalen Kapitalmärkte bleibt erst mal aus. Am vergangenen Dienstag folgte der nächste Schlag. Ein New Yorker Richter gab der Klage zweier Gläubigerfonds statt und ließ ein in den USA angesiedeltes Reservedepot der Zentralbank im Umfang von etwa 1,7 Millionen Dollar einfrieren. Er begründete die Entscheidung damit, daß die Notenbank durch die Einflußnahme der Regierung ihren Status als unabhängige Institution, die nichts mit der Staatsschuld zu tun hat, verloren habe. Die Blockade wurde zwar nach offiziellen Angaben am Freitag wieder aufgehoben. Die Zahl derer, die schon eine neue Staatskrise heraufbeschören, hat in den vergangenen Tagen jedoch bedenklich zugekommen.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2010


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