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IWF hat Argentinien an den Rand des Ruins geführt ...

... zum Nutzen europäischer und nordamerikanischer Gläubiger

Unter dem Titel "Illegitime Forderungen" veröffentlichte die junge welt eine kritische Stellungnahme zu den finanzpolitischen Hintergründen der gegenwärtigen Staatskrise in Argentinien. In der selben Ausgabe (9. Januar 2002) wurde auch über die Fernwirkung dieser Krise in Spanien berichtet.

Der Sturz des argentinischen Präsidenten Fernando de la Rúa, schrieb der US-amerikanische Ökonom und Autor des linken Z-Magazins Mark Weisbrot am 25. Dezember in der Washington Post, könne niemanden überrascht haben. »Die Implosion Argentiniens trägt eindeutig den Fingerabdruck des Internationalen Währungsfonds (IWF).« Dem Land war letztlich die feste Bindung an den US-Dollar zum Verhängnis geworden. Wie in anderen sogenannten Schwellenländern wurde am Rio de la Plata 1991 der Kurs der Landeswährung gegenüber dem Dollar fixiert. Seinerzeit galt das bei Fonds und Weltbank als das Non-Plus-Ultra einer soliden Wirtschaftspolitik. Doch beim IWF will man von einer Mitschuld am argentinischen Dilemma nichts wissen: Noch im September, nachdem das Land bereits seine ersten Generalstreiks gegen das Diktat des Fonds hinter sich hatte, behauptete Thomas Dawson, IWF-Direktor für auswärtige Angelegenheiten, in der Los Angeles Times, daß sich die Dollarbindung in Argentinien breiter Unterstützung erfreue. Die argentinische Regierung würde die Armen vor den schlimmsten Folgen der Anpassung schützen und »Kürzungen der Löhne und Renten begrenzen«. Auch einen Tag nach de la Rúas Rücktritt zeigte sich Dawson auf einer Pressekonferenz weiter uneinsichtig. Auf wiederholte Nachfragen von Journalisten, ob der IWF für die Unruhen in Argentinien verantwortlich sei, ließ er schließlich wissen, man habe »sicherlich eine Beziehung zur argentinischen Regierung unterhalten«. Ansonsten könne er auf eine so allgemeine Frage keine Antwort geben.

Anfang Dezember hatte eine Entscheidung des Fonds, eine Kredit-Tranche in Höhe von 1,28 Milliarden US-Dollar nicht auszuzahlen, der argentinischen Wirtschaft den letzten Stoß versetzt. Obwohl im Jahr 2001 bereits rund 30 Milliarden Dollar an Zinsen und Rückzahlungen geleistet worden waren – circa neun Prozent des Bruttosozialprodukts und mehrere Milliarden Dollar mehr, als zur gleichen Zeit an Waren exportiert wurden –, war das Land mit der Weigerung des IWF, weitere Hilfskredite zur Verfügung zu stellen, zahlungsunfähig. Begründet wurde das Unterlassen der Hilfestellung damit, daß die derzeitige Politik der Regierung in Buenos Aires nicht geeignet sei, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zu erreichen.

Angesichts der hohen Auslandsschulden von über 140 Milliarden Dollar hätte allerdings ein weiterer Kredit das Elend nur verlängern können. Über die Hälfte seines Staatshaushaltes hatte Argentinien in den letzten Jahren in den Schuldendienst stecken müssen, und doch war der Schuldenberg ständig gewachsen, da die Zinsen in den Himmel schossen. Angesichts der Überbewertungen von Dollar und Peso, die sich seit Mitte der 90er herausgebildet hatte, ließen Argentiniens Gläubiger sich nämlich ihr Risiko teuer bezahlen. Denn je mehr die argentinischen Exporte wegen des teuren Peso lahmten und je mehr die Verschuldung wuchs, desto wahrscheinlicher wurde der jetzt eingetretene Fall von Zahlungsunfähigkeit und Abwertung. Die hohen Zinsen hatten zudem wiederum das ihre dazu beigetragen, unter anderem, indem sie die Inlandskonjunktur erdrosselten. Von einem bestimmten Zeitpunkt an war das ein Teufelskreislauf, den der IWF mit immer neuen Krediten und mit Auflagen weiter anheizte, die die Inlandsnachfrage auf ein Minimum herunterdrückten. 40 Milliarden Dollar hatte es alleine im Jahre 2000 gegeben. Eine Summe, die noch vor wenigen Jahren, das heißt bis zur Asienkrise, auch von Fachleuten für astronomisch gehalten worden wäre, inzwischen aber schon fast normal ist.

Im Ergebnis dienten die IWF-Kredite dazu, den Schuldendienst solange wie möglich aufrecht zu erhalten und dafür noch die allerletzten Ressourcen Argentiniens zu mobilisieren. Bereits während der Krise in Asien einige Jahre zuvor war der Fonds wegen dieser Politik als Schuldeneintreiber des Nordens bezeichnet worden.

Und wie in Ost- und Südostasien hatte auch diesmal die Bevölkerung die Kosten zu tragen: Lohnkürzungen wurden durchgesetzt, die Bezüge der Staatsangestellten beschnitten, ebenso die Renten. Das Bildungssystem und die Gesundheitsversorgung sind nur noch ein bloßer Schatten ihrer selbst und öffentliche Einrichtungen wie Telefongesellschaft, Energieversorgung und Erdölindustrie längst an das europäische oder nordamerikanische Ausland veräußert.

Die deutsche »Erlaßjahr-Kampagne« hat angesichts der argentinischen Krise ihre Forderung nach einem Insolvenz-Verfahren für Staaten erneuert, das eine Entschuldung und damit einen Neuanfang ermöglichen würde. Entscheidend wird allerdings sein, den entsprechenden politischen Druck aufzubauen, damit hiesige Banken, die zu den wichtigsten internationalen Gläubigern gehören, tatsächlich auf ihre Forderungen gegenüber Argentinien verzichten. Denn die sind allemal illegitim. Zum einen, weil die Schulden, wie in den meisten Entwicklungsländern, längst durch Zinszahlungen zurückgezahlt wurden, zum anderen, weil sie ihren Ursprung zumeist in der Zeit der Militärdiktatur haben, die das Land in den 70er und frühen 80er Jahren beherrschte. Seinerzeit nahmen die Generäle Kredite bei europäischen und US-amerikanischen Banken auf, um sich unter anderem mit Waffen einzudecken. Wolfgang Pomrehn

Aus: junge welt, 9. Januar 2002


Talfahrt in Madrid
Argentinien-Krise schwappt nach Westeuropa. Spanien besorgt über Entwicklung in Buenos Aires

Von Ralf Streck

Wie ein Blitzschlag ist das Notprogramm der argentinischen Regierung in die Madrider Börse gefahren. Die Werte der spanischen Unternehmen, die in dem südamerikanischen Krisenland engagiert sind, stürzten zu Wochenbeginn ab. Insgesamt verloren die Firmen an der Börse etwa zehn Milliarden Euro an Wert. Der Börsenindex Ibex gab um 3,4 Prozent nach. Spanien ist von der Krise am Rio de la Plata im Vergleich zu anderen EU-Ländern stark betroffen, weil es in den letzten zehn Jahren am stärksten in Südamerika investiert hat, 45 Milliarden Euro allein in Argentinien.

Am härtesten traf es den Erdölkonzern Repsol-YPF, der fast acht Prozent an Wert verloren hat. Der Telekomriese Telefónica und die spanische Großbank Santander Central Hispano (BSCH) gingen 4,4 Prozent in die Knie. Die Großbank, Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA), deren Einlagen sich in Argentinien auf rund 16,7 Milliarden Euro belaufen, mußte 3,3 Prozent Abwertung hinnehmen.

Börsianer erklärten, die Abwertung sei durch Anleger aus Nordamerika provoziert worden, die alle Aktien abstießen, die etwas mit Argentinien zu tun haben. Nur logisch, denn diese Unternehmen in Spanien erwarten wegen der Umstellungen der Rechnungen von Dollar auf Peso und durch Sondersteuern einen Verlust von mindestens 3,5 Milliarden Euro.

»Die Resultate von Repsol können sich deutlich verschlechtern«, sagte José Luis Alonso, Analyst von Bolsomania. Er sprach damit die Sondersteuer an, die 20 Prozent der gesamten Erlöse der Auslandsgeschäfte der Firma in die Kassen der argentinischen Regierung spülen soll. Repsol-YPF, das 70 Prozent der Erdölausfuhren Argentiniens kontrolliert, rechnet mit Einbußen von einer Milliarde Euro.

Mit dem Geld will der neue argentinische Präsident, Eduardo Duhalde, zum Teil die Banken für die Verluste entschädigen, die aus der Umwandlung der Dollar- in Pesoschulden entstehen. So erklärt sich, warum die Banktitel weniger stark an Wert verloren haben. Doch den Finanzhäusern steht noch einiges bevor, schließlich haben sie Dollar ihrer Anleger in Argentinien verliehen, bekommen aber nun den um 28,5 Prozent abgewerteten Peso zurück.

Madrid ist besorgt. Deshalb unterbrach Regierungschef José María Aznar sein Kurzurlaub und griff sofort zum Telefon, als das Notprogramm in Buenos Aires bekannt wurde. Er forderte von Duhalde Garantien für die spanischen Unternehmen. In die gleiche Kerbe schlug auch der Finanzminister, Rodrigo Rato. Er forderte, alle Entscheidungen müßten »im Konsens« mit den Betroffenen fallen. Doch damit meinte er nicht die von der Krise geschüttelte argentinische Bevölkerung, sondern die »Unternehmen und Gläubiger«.

Aus: junge welt, 9. Januar 2002


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