Ohne Ausweg
Schuldenlast, Druck des IWF und neoliberale Wirtschaftspolitik treiben Argentinien ins Chaos
In Argentinien geht es drunter und drüber. Eine große Rolle spielt eine offenbar gescheiterte Wirtschafts- und Finanzpolitik. Im Folgenden eine erste Einschätzung möglicher Hintergründe.
Von Klaus Fischer
Nach Massenprotesten und der tagelangen Hungerrevolte in
Argentinien hat Präsident Fernando de la Rua aufgegeben und
ist am Donnerstag (Ortszeit) zurückgetreten. Zwar muß das
Rücktrittsgesuch de la Ruas vom Parlament formell noch
angenommen werden, aber Senats- und Vizepräsident Ramon
Puerta war bereits am Donnerstag damit beschäftigt, eine
Übergangsregierung zusammenzustellen. Damit fällt die Casa
Rosada, der Präsidentenpalast, zunächst wieder in die Hände
der Peronisten. Aber die Probleme des Landes werden jeden
Nachfolger vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen.
Auf den rund 37 Millionen Argentiniern lastet eine
Staatsverschuldung von 132 Milliarden Dollar. Das ist,
gemessen am Bruttoinlandsprodukt von etwa 230 Milliarden
Dollar pro Jahr (1999) zwar viel, würde aber bei einer
prosperierenden Wirtschaft nicht zwangsläufig in den Kollaps
führen. (Erinnert sei, daß die 80 Millionen Deutschen mit circa
1,2 Billionen Dollar in der Kreide stehen.) Problematisch war
und ist für das Land am Rio de la Plata die Mischung aus
neoliberaler Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre,
wuchernder Bürokratie und seit mehr als 40 Monaten
rückläufiger Wirtschaftsleistung. Unter dem Druck des
Internationalen Währungsfonds (IWF), mit dessen nicht
gerade billigen Krediten die Zahlungsfähigkeit Argentiniens
bisher recht und schlecht gewährleistet wurde, kürzte die
zurückgetretene Regierung den Haushalt drastisch.
Sogenannte Sparmaßnahmen, wie Kürzung von Pensionen,
verband der berühmt-berüchtigte Wirtschaftsminister Domingo
Cavallo mit Steuererhöhungen an anderer Stelle. Im Ergebnis
wurden die Armen im Lande nicht nur immer ärmer, sondern
weite Kreise des bislang etablierten Mittelstandes gerieten in
den sozialen Abwärtssog. Die Intensität der Proteste und auch
der Sturm auf Geschäfte und Supermärkte in den vergangenen
Tagen machten deutlich, wie schnell bei rasanter Verarmung
ehemals recht gut gestellter Menschen sozialer Sprengstoff
entsteht. Immerhin hat Argentinien mit etwa 7700 US-Dollar
das höchste Pro-Kopf-Einkommen Lateinamerikas.
Cavallo selbst ließ am Donnerstag nach seinem Rücktritt seine
Familie ins Ausland verfrachten. Wahrscheinlich wird er folgen.
Denn an ihm, dem bisherigen Präsidenten de la Rua, aber auch
an dessen Vorgänger Carlos Menem – gegen den wurden
kürzlich erst die Ermittlungen wegen Korruption mit
fadenscheinigen Begründungen eingestellt – erhitzen sich Wut
und Volkszorn. Cavallo, der bereits als Präsident der
Staatsbank in den letzten Monaten der Militärdiktatur dafür
sorgte, daß private Auslandsschulden verstaatlicht wurden,
führte auch die Eins-zu-Eins-Bindung des Peso an den
US-Dollar ein. Eine verhängnisvolle Entscheidung bei
schrumpfender Wirtschaftsleistung. Wird, wie Experten jetzt
erwarten, der Peso wieder freigegeben, verschärft sich die
ohnehin explosive Lage im Lande nochmals. Denn dann stürzt
die Landeswährung ab – Fachleute schätzen um bis zu 50
Prozent. Für die Mehrzahl der argentinischen Firmen, aber
auchder Privatpersonen brächte das eine Verdoppelung ihrer
Schulden – denn sie sind alle, dank Cavallo, in Dollar
verschuldet.
Dies wird zu Massenpleiten führen, einem Szenario, das nicht
nur auf das Land selbst verheerende Auswirkungen haben
dürfte. Auch die ebenfalls im neoliberalen Bannkreis
befindlichen Länder wie Brasilien, Mexiko oder die Türkei
könnten in den finanzpolitischen Abgrund gezogen werden.
Diese sogenannten Schwellenländer, über Kredite des IWF am
Gängelband Washingtons und der Wall Street, dümpeln mit
extremen Auslandsschulden am Rande des Zusammenbruchs
ihrer Finanz- und Währungssysteme. Argentinische
Schuldverschreibungen sind nichts mehr wert, wer soll da noch
auf brasilianische oder türkische etwas geben? Einer
deutlichen Peso-Abwertung dürften der Real und die Lira kaum
widerstehen, und auch die Regierungen in Brasilia und Ankara
hätten nichts entgegenzusetzen. Außerdem, wenn es um den
Profit geht, spielen für die Weltfinanzjongleure soziale oder
innenpolitische Aspekte eines Landes keine Rolle. Das hat
nicht zuletzt die sogenannte Asienkrise in den Neunzigern
deutlich gemacht, als gezielt gegen die Währungen einzelner
Staaten spekuliert wurde, die sich davon bis heute nicht erholt
haben.
Noch fühlt man sich beim IWF in Washington sicher, das
Problem auf Argentinien begrenzen zu können. Daher auch die
Rigorosität, mit der sich der Währungsfonds gegen weitere
Überbrückungskredite an Buenos Aires sperrt.
Aus: junge welt, 22. Dezember 2001
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