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Neuer Stil in Buenos Aires

Argentiniens Präsidentin Fernández bestreitet Regierungskrise und sucht den Dialog mit den Medien. Agrarvertreter kritisieren "willkürliche Politik"

Von Timo Berger *

Seit dem Jahr 2003 hatte keine Pressekonferenz eines argentinischen Staatschefs mehr stattgefunden. Sowohl Néstor Kirchner (2003--2007), als auch Cristina Fernández (seit 2007) sprachen lieber vor ihren Anhängern der peronistischen Gerechtigkeitspartei (PJ), als sich den Fragen der Journalisten zu stellen. Das soll sich jetzt aber ändern. Nach Fernández' Abstimmungsniederlage im Kongreß Mitte Juli, bei der ihr Gesetz zur Einführung zunehmender Exportsteuern auf ausgewählte Agrarprodukte gescheitert war, hat sie ihre Strategie geändert. Statt auf Konfrontation zu setzen, versucht sie, ihre Ziele über die Medien zu vermitteln.

Kaum eine Stunde, nachdem am Samstag nachmittag die traditionelle Landwirtschaftsausstellung im Stadtviertel Palermo von Buenos Aires eröffnet worden war und Agrarvertreter mit harscher Kritik an der Staatschefin nicht gespart hatten, erklärte Fernández vor mehr als hundert Journalisten fast zwei Stunden lang die Regierungspolitik. Weitere Veränderungen im Kabinett, wie sie zuletzt von der Opposi­tion gefordert wurden, schloß sie in der Präsidentenresidenz jedoch kategorisch aus.

Der Konflikt mit den großen Agrarverbänden war Anfang März eskaliert, als der damalige Wirtschaftsminister Martin Loustau per Dekret an den Weltmarktpreis angepaßte Exportabgaben für Sojabohnen und Produkte aus Sonnenblumenkernen eingeführt hatte. Monatelang kam es immer wieder zu Streiks und Straßenblockaden der Farmer. Fernández kündigte nun einen neuen Versuch an, die progressiv steigenden Exportabgaben einzuführen. »Ich war bis zu einem gewissen Grad naiv«, räumte sie ein, denn sie habe sich »sehr mächtigen Bereichen der Wirtschaft entgegengestellt«.

Das Vorhaben war im Senat letztlich ausgerechnet an der Gegenstimme von Fernández' Vizepräsidenten Julio Cobos von der Radikalen Bürgerunion (UCR) gescheitert. Doch die Präsidentin vermied es, dessen Verhalten am Samstag zu kommentieren. Auch wenn am Montag der letzte Staatssekretär aus dem Cobos-Lager zurückgetreten ist, scheint sie gewillt, die parlamentarische Zusammenarbeit mit einem Teil der UCR, der zweiten großen Partei Argentiniens, fortzusetzen. Schließlich könnte sich aus dem bisherigen lockeren Wahlbündnis eine Art Koalitionsregierung herausbilden. Darauf ist Fernández auch angewiesen. Wie sich bei der Abstimmung über die Exportabgaben gezeigt hat, kann sie sich nicht auf eine notwendige Mehrheit im Kongreß verlassen, denn auch aus den Reihen der Peronisten kamen Gegenstimmen. Bei der Eröffnung der Landwirtschaftsausstellung am Samstag forderte der Präsident des Agrarverbandes Sociedad Rural, Luciano Miguens, eine »langfristig angelegte Landwirtschaftspolitik« und die Abschaffung aller Exportabgaben. Die bisherige Regierungspolitik sei »willkürlich«, so Miguens.

Für die Regierung Fernández bleibt die Situation angespannt. Die Inflation in Argentinien steigt weiter, und der erwartete allgemeine Preisanstieg verlangt eine Anpassung der Staatseinnahmen. Der einzige Ausweg für die peronistischen Regierung ist und bleibt die höhere Besteuerung der stetig steigenden Agrarexporte. Der nächste Konflikt ist also programmiert.

* Aus: junge Welt, 5. August 2008


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